"Man hat mich so einen Ingenieur des Theaters immer bezeichnet und hat alles auf die Technik geschoben. Das hat mich sozusagen berühmt oder man kann auch sagen berüchtigt gemacht."
Bildprojektionen, Filme, Laufbänder und turmhohe Eisenkonstruktionen – Technik pur: die maschinenbestückte Piscator-Bühne ist, sehr zum Leidwesen des wohl berühmtesten Theater-Neuerers des 20. Jahrhunderts, sprichwörtlich geworden und ist es auch über den Tod Erwin Piscators am 30. März 1966 hinaus geblieben. Trotz seiner unermüdlichen Richtigstellungen:
"Aber mein Interesse am Theater, das ich stets vertrat, war, das Theater zu einer moralischen Anstalt zu machen à la Diderot oder Schiller, und in Wirklichkeit dazu beizutragen, dass der Mensch im Theater sich erkenne und aus dem Theater seine Entwicklungsmöglichkeiten ziehe."
Man spürt, hier spricht einer, dem das Theater nicht einfach nur am Herzen lag, sondern für den Theater, politisches Theater, eine Existenz- und Überlebens-Frage war:
"Was sollen wir mit Kunst machen, wenn wir nicht eine Notwendigkeit in dieser Kunst sehen, dass sie uns zu etwas diene. Und das waren eigentlich die großen 20er-Jahre. Es war nicht der äußere Glamour der 20er-Jahre, sondern es war der innere Glaube, dass eine Veränderung der Welt noch möglich sei, ja notwendig sei, und dass das vermieden werden müsse, was uns damals in die Schützengräben gebracht hatte. Grundsätzlich das Pazifistische, den Frieden wollen und auch natürlich die sozialen Bedingungen dafür schaffen. Wir waren alle in diesem Augenblick fest davon überzeugt, das könne uns gelingen."
Nach 20 Jahren Exil wieder in Deutschland
Es war nicht nur die Erfahrung des Ersten Weltkriegs mit seinen 13 Millionen Toten, elf Millionen Krüppeln, sechs Milliarden Geschossen, wie er akribisch aufrechnete, die Piscator ideologisch formte. 20 Jahre Exil, allein fünf davon in Russland, über Frankreich dann schließlich, ab 1938, in den USA, taten ein Übriges. Ernüchtert vom real existierenden Stalinismus, vor den rigiden Häschern der CIA in der McCarthy-Ära im letzten Moment buchstäblich aus Amerika geflohen, kam Piscator 1951, 58 Jahre alt, in die Heimat zurück. Dort war er fremd, registrierte zwischen Ruinen, Stillstand und dem gerade beginnenden Wirtschaftswunder eine zunehmende Veräußerlichung des Lebens. Und da er noch immer als Kommunist und Agitator verschrien war, empfing man ihn alles andere als mit offenen Armen.
Die Zeiten des vitalen Aufbruchs an der Seite von Künstlern wie George Grosz, John Heartfield, Ernst Toller und Bert Brecht, dem er die Verfremdungs-Stichworte lieferte, waren vorbei. Überall hatte Piscator wieder von vorn anfangen müssen. Dieser Neuanfang bedeutete elf Jahre lang schlecht entlohnt als "sein eigener Epigone", wie er es nannte, an Provinztheatern zu inszenieren. Erst vier Jahre vor seinem Tod, 1962, kann er endlich die Berliner Volksbühne übernehmen und erlebt seinen größten Erfolg mit dem Stellvertreter von Rolf Hochhuth, der Jahre später auf die entstandene Lücke verweist:
"Für ihn war eine Inszenierung ein Griff in einen Gerichtssaal, historischen oder politischen oder soziologischen oder gesellschaftlichen. Er hatte so sehr auch als Person im Mittelpunkt dieser Idee vom Drama gestanden, dass das politische Theater sozusagen tot ist, seit er nicht mehr da ist, und nicht etwa, weil Peter Weiss oder Martin Walser oder Kipphardt politische Stücke nicht mehr schreiben möchten, sondern weil uns beim deutschen Theater der Mann fehlt, der sie uns abverlangt, der wirklich darauf wartet, der mit uns telefoniert und korrespondiert und sagt 'Und wie weit isses? Was wird aus dieser Figur und aus diesem Problem?' Das alles war Piscator."
Ein permanenter Aktivierungsschub im Theater
Bleibt das Bild eines Theatermannes, der mit allen zur Verfügung stehenden technischen und intellektuellen Mitteln die Wahrheit durchdringen und gegen das Vergessen ankämpfen wollte – bis zur Aufsässigkeit:
"Die Wahrheit macht unbequem. In Wirklichkeit wollte ich nie unbequem sein, sondern im Gegenteil, ich wäre gern immer charmant gewesen. Aber die Wahrheit ist eben nicht charmant. Ich glaube, ich habe an sich nie Mut gehabt, und ich habe immer nur das getan, was ich für richtig gehalten habe."
Was man in Zeiten eines um Aktualität bemühten Theaters immer noch von Piscator lernen könnte, ist sein unbestechlich neugieriges, sein Unruhe-Verhältnis zur Welt. Bloß nichts Abgeschlossenes, alles Prozess – ein permanenter Aktivierungsschub:
"Unsere Zeit muss lebendig werden, man muss herausspringen, die Menschen müssen aktiv werden, da müsste nicht nur der Schauspieler der Handelnde sein, das Publikum müsste das handelnde Publikum werden, nicht wahr, dass nicht einfach nur ein totes Museumsobjekt und ein sogenanntes Bildungstheater projektiert wird und propagiert wird oder als Programm dort steht, sondern das aktive, lebendige, junge Theater."