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Vor 50 Jahren gestorben
Fritz Bauer - Mut zum Widerspruch

Die Schaffung eines demokratischen Gewissens war das übergeordnete Ziel von Fritz Bauer. Durch die von ihm mit-initiierten Auschwitz-Prozesse sollten die moralischen Grundlagen dafür in der Bundesrepublik gestärkt werden. Am 1. Juli 1968 wurde der damalige Generalstaatsanwalt tot in seiner Wohnung aufgefunden.

Von Bernd Ulrich | 01.07.2018
    Generalstaatsanwalt Fritz Bauer im Jahr 1961.
    Generalstaatsanwalt Fritz Bauer im Jahr 1961 (picture-alliance / dpa / Goettert)
    Noch am Abend des 29. Juni 1968 war Generalstaatsanwalt Dr. Fritz Bauer in seine Frankfurter Wohnung zurückgekehrt. Sein Freund und Kollege Heinz Meyer-Velde, damals Ministerialrat im hessischen Justizministerium, erinnert sich:
    "Er war zurückgekommen an einem ganz heißen Tag, es war Juni. Aus Karlsruhe, da hatte er einen Vortrag gehalten, wenn ich mich recht erinnere, vor dem Bundesverfassungsgericht. Und das setzt natürlich einem Menschen, der kreislaufbelastet ist und Bronchitis hat, ziemlich zu."
    Vermutlich in der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli 1968 starb Fritz Bauer. Er hatte versucht, so Meyer-Velde, durch ein Bad Abkühlung zu erlangen:
    "Und ich vermute, er hat sich in kaltes Wasser gesetzt. Und das war vielleicht nicht gut. Denn in der Nacht ist er dann gestorben. Und erst, na, das war erst am Montagmorgen, als die Putzfrau kam und sein Fahrer. Ich weiß nicht, wer zuerst da war."
    Viele Gerüchte um seinen Tod
    Fritz Bauer starb - gut zwei Wochen vor seinem 65. Geburtstag - eines natürlichen Todes, auch wenn die Gerüchte zunächst nicht verstummen wollten. Bedrohungen des Juristen gab es nämlich genug. Sie kamen auch aus seinem nächsten Umfeld, nicht zuletzt nach 1956, dem Jahr seiner Ernennung zum Generalstaatsanwalt des Landes Hessen.
    Kein Wunder angesichts der vielen tief in das verbrecherische NS-System verstrickten und einst tatkräftig das Unrecht befördernden bundesdeutschen Juristen. Überliefert ist die bittere Erkenntnis Bauers, er betrete "feindliches Ausland ", wenn er sein Dienstzimmer verlasse. Die Juristin und Vertraute Ilse Staff:
    "Also, ich hab das selbst erlebt, da stellte sich bei einem Oberlandesgerichtsrat raus, er war eben Kriegsrichter gewesen, und da waren Akten aufgetaucht, bei dem anderen stellte sich das raus, da waren ja viele Dinge verheimlicht worden und - das waren zwei Welten, die auseinander klafften: Eine Widerstandswelt und eine Mit-Täterwelt."
    Trotz Anfeindungen blieb er in der Bundesrepublik
    Fritz Bauer gehörte zu dieser Widerstandswelt, und die Anfeindungen begleiteten ihn seit der Rückkehr aus dem Exil. Die Schmähungen steigerten sich noch, nachdem es ihm gegen starke Widerstände gelungen war, im Jahre 1963 die Frankfurter Auschwitzprozesse gegen einstige Bewacher des Vernichtungslagers auf den Weg zu bringen. Heinz Meyer-Velde:
    "Und vor allen Dingen, dass der Auschwitz-Prozess ihm so sehr zugesetzt hat, weil er ja dann während des Prozesses und auch nach dem Prozess - das habe ich persönlich oft miterlebt - dann ging nachts mitunter das Telefon, und Fritz Bauer legte dann nach einigen Augenblicken den Hörer wieder auf und schwieg - und wir wussten, was da gesprochen wurde."
    Offenbar waren die Anfeindungen so bedrängend, dass Fritz Bauer immer wieder daran dachte, die Bundesrepublik zu verlassen. Doch er blieb - und drängte so konsequent wie seiner Zeit weit voraus immer wieder auf Reformen des Strafvollzugs und des Strafrechts. Es lohnt ihm zuzuhören, wenn er in einem Interview vom 12. Februar 1960 über die notwendige Ablehnung des Vergeltungsgedankens im Strafrecht spricht. Der Vergeltung zum Recht zu verhelfen hieße:
    "Wir stürzen uns von dem Vernünftigen in das Unvernünftige. Wir schädigen uns selber. Deswegen bleibt immer nur die Aufgabe, für ein Strafrecht das zu tun, was wir mit gutem Gewissen unter Wahrung der Menschenrechte, aber auch aus dem entscheidenden Gesichtspunkt eines Gesellschaftsschutzes zu tun haben und tun müssen."
    Der Mut zum Widerspruch
    Auch die Auschwitzprozesse erfüllten in ihrer Durchführung und in ihren Ergebnissen ein tieferes Anliegen Bauers:
    "Wenn etwas befohlen wird, sei es Gesetz oder Befehl, was rechtswidrig ist, was also im Widerspruch steht mit den Zehn Geboten, dann musst Du 'Nein' sagen! Es bedarf Mut und Courage in jeder Richtung gegenüber dem äußeren Feind. Man hat völlig übersehen, dass die Zivilcourage, der Mut vor dem Feind im eigenen Volk genauso groß, wahrscheinlich größer ist - und nicht weniger verlangt wird. Dass es ehrenhaft ist, dass es Pflicht des Einzelnen ist, auch in seinem eigenen Staat für das Recht zu sorgen. Und deswegen ist das A und O dieser Prozesse zu sagen: Ihr hättet 'Nein' sagen müssen!"
    Die Freiheit zum Widerspruch, der Mut zum Ungehorsam gegenüber verbrecherischen Befehlen - das hatte es einst in Deutschland gegeben. Die geistigen und moralischen Grundlagen dafür auch in der Bundesrepublik wiederherzustellen, gehörte zu den Zielen Fritz Bauers. Er blieb Zeit seines Lebens skeptisch, ob es gelingen könnte.