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Vor 50 Jahren
Tenor Fritz Wunderlich stirbt nach Treppensturz

Neben Dietrich Fischer-Dieskau gilt der Tenor Fritz Wunderlich als der technisch vollkommenste deutsche Sänger des 20. Jahrhunderts. Dabei war er nur knapp zehn Jahre auf den Bühnen und in den Konzertsälen Europas präsent. Heute vor 50 Jahren starb Wunderlich im Alter von nur 35 Jahren an den Folgen eines tragischen Unfalls.

Von Stefan Zednik |
    Fritz Wunderlich singt den Titelpart in der Oper "Palestrina" an der Wiener Staatsoper im Jahr 1964.
    Fritz Wunderlich singt den Titelpart in der Oper "Palestrina" an der Wiener Staatsoper im Jahr 1964. (picture-alliance / dpa / Votava)
    "Das Lied vom Kummer soll auflachend in die Seele euch klingen" – In diesen merkwürdigen Zeilen aus Gustav Mahlers "Lied von der Erde" scheint die ganze Widersprüchlichkeit von Freude und Trauer, von Jubel und Depression, eingefangen. Fritz Wunderlich, eigentlich als Mozart-Tenor berühmt geworden, vermochte es, den darin liegenden verzweifelten Schmerz kongenial zum Ausdruck zu bringen. Ein Sänger, der nicht nur durch ein wunderbares Timbre, einen natürlich wirkenden Stimmsitz und die nahezu perfekte Beherrschung des Stimmapparats, sondern vor allem durch seine entwaffnende Offenheit die Menschen begeisterte – und berührte. Die langjährige Bühnenkollegin Erika Köth:
    "Er hat nämlich noch echt auch geglaubt und dadurch hundertprozentig erfühlt und erfüllt, was er gesungen hat. Wenn er lustig war, war immer eine kleine Träne dabei und umgekehrt, wenn er mal so traurig oder am Boden zerstört war, war immer noch ein kleines Lächeln dabei."
    Fritz Wunderlich wurde 1930 in Kusel, einer pfälzischen Kleinstadt unweit von Kaiserslautern, geboren.
    In einem Musiker-Haushalt groß geworden
    "Ich bin, wenn man so sagen will, aus einem Musikantenhaus, aus einer Musikantenfamilie. Mein Vater war Kapellmeister und ein sehr, sehr guter Cellist, meine Mutter war eine sehr, sehr gute Geigerin, und beide lernten sich auf einer Auslandstournee unabhängig voneinander kennen, auf Zypern. Und ich bin also sehr, sehr früh mit Musik in Berührung gekommen und es stand für mich eigentlich immer fest, dass ich auf irgendeine Art Musik machen würde in meinem Leben."
    Doch war keineswegs selbstverständlich, dass es sich dabei um "klassische" Musik handeln sollte. Denn die Eltern spielten in Tanzkapellen Unterhaltungsmusik, hielten sich mit Unterrichten mühsam über Wasser. Fritz lernt Horn und Klavier, begleitet sich singend am Akkordeon. Er liebt die leichte Musik, Operette und Schlager, gilt als lausbübisch, fröhlich, witzig – und verdrängt gern die Härte der Realität. Durch den für den Fünfjährigen nicht begreifbaren Freitod des Vaters gerät die Familie in noch stärkere Nöte, die äußerst disziplinierte Mutter, von Fritz über alles geliebt, muss nun allein für den Unterhalt sorgen. Doch gelingt es, ihm ein Musikstudium in Freiburg zu ermöglichen.
    25-jährig erhält er einen Anfängervertrag in Stuttgart, und als ein Kollege kurzfristig absagen muss, springt Wunderlich bei einer Vorstellung der Zauberflöte ein.
    In Mozart-Rollen gilt er als unvergleichbar
    Es ist der Beginn einer Weltkarriere, die ihn in kürzester Zeit nach München, Wien, Salzburg und Mailand führt.
    "Ich glaub, er hat sehr gern und sehr konzentriert gelebt. Ich hatte manchmal das Gefühl, er hat im Unterbewusstsein geahnt, es ist ihm nicht viel Zeit geschenkt."
    Sein Repertoire ist breit, es reicht von Bach bis Alban Berg, vor allem in den Rollen Mozarts gilt er als unvergleichbar. Und auch im Lied, der Königsdisziplin der Vokalkunst, gilt er bald als herausragender Interpret. Sein Begleiter: der Pianist Hubert Giesen.
    "Das letzte Konzert war in Edinburgh beim Festival, und da hat er so gesungen wie auf keiner Schallplatte und in keinem Konzert, (...) und ich umarmte ihn im Künstlerzimmer und sagte: 'So Fritz, jetzt können wir uns trennen, ich habe nichts mehr zu sagen, jetzt ist es vollkommen.'"
    Am 17. September 1966, dreizehn Tage nach diesem letzten Liederabend, erliegt der erst 35-jährige Fritz Wunderlich den Folgen eines unglücklichen Treppensturzes.