Es herrscht Ausnahmezustand in Worms. 80 Fürsten sind im Frühjahr 1521 mit Gefolge angereist, nach Ausbruch einer Epidemie war der Reichstag von Nürnberg kurzfristig in die 7.000-Einwohner-Stadt verlegt worden. Und Worms muss nun über 3.000 Gäste verkraften:
"Der Reichstag war immer eine große Öffentlichkeit, da kamen Händler hin, Schausteller, Musiker, da kamen mengenweise Prostituierte hin. Es war ein ungeheurer Auftrieb, man muss sich das wie eine Kirmes heute vorstellen," sagt der Frühe-Neuzeit-Historiker Heinz Schilling.
"Der Reichstag war immer eine große Öffentlichkeit, da kamen Händler hin, Schausteller, Musiker, da kamen mengenweise Prostituierte hin. Es war ein ungeheurer Auftrieb, man muss sich das wie eine Kirmes heute vorstellen," sagt der Frühe-Neuzeit-Historiker Heinz Schilling.
"Die erste Phase der Globalisierung"
Der Reichstag war im 16. Jahrhundert das wichtigste politische Organ des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, so Schilling:
"Es ist die Zeit der großen Reichstage. Das hängt damit zusammen, dass Deutschland, Europa und die Welt im Umbruch sind. Es sind ja weltgeschichtliche Umbrüche, es ist die erste Phase der Globalisierung."
Landesfürsten und Städte fordern mehr Mitsprache
Und die betraf auch Deutschland, denn kurz zuvor war der spanische König, Karl V., zum deutschen König gewählt und zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gekrönt worden. Dank der spanischen Eroberungen in Amerika regierte der Habsburger nun ein Weltreich.
Ein Jahr nach der Krönung berief der 20-Jährige seinen ersten Reichstag ein – er begann am 27. Januar 1521 in Worms und wurde zum bestbesuchten Reichstag des Jahrhunderts. Das große Interesse hatte mit dem neuen Kaiser, aber auch mit einem politischen Wandel zu tun. Die erstarkenden Landesherrschaften forderten mehr Mitsprache gegenüber der kaiserlichen Gewalt, ebenso wie die Städte, die in Worms selbstbewusst auftraten., sagt Heinz Schilling:
"Erstens, weil sie natürlich Geld hatten, und zweitens, weil sie die besten Juristen hatten. Und man muss sogar weitergehen, dass auch die bäuerlichen Gemeinden Partizipationsrechte hatten. So allgemein das Reich nur als eine Fürsten-Oligarchie zu diskreditieren, wäre falsch."
"Erstens, weil sie natürlich Geld hatten, und zweitens, weil sie die besten Juristen hatten. Und man muss sogar weitergehen, dass auch die bäuerlichen Gemeinden Partizipationsrechte hatten. So allgemein das Reich nur als eine Fürsten-Oligarchie zu diskreditieren, wäre falsch."
Und dann schlug Luther in Worms ein
In Worms stand erneut die Verfassung zur Debatte. Es ging darum, die Machtbalance zwischen Kaiser und Reichsständen neu auszuhandeln. Wie kompromissbereit Karl sein musste, zeigte ein Konflikt, der auf dem Reichstag ungeplant ins Zentrum rückte:
Am 16. April erreichte Martin Luther Worms – von Trompetern angekündigt und vom Volk bejubelt. Im Jahr zuvor waren seine wichtigsten kirchenkritischen Schriften erschienen. Kritik am Papst war im Deutschland dieser Zeit verbreitet, aber dass Luther den Menschen vermittelte, ohne den Umweg über die Kirche eine persönliche Bindung zu Gott finden zu können, entfaltete in einer Zeit extremer Frömmigkeit ungeheure Sprengkraft.
Am 16. April erreichte Martin Luther Worms – von Trompetern angekündigt und vom Volk bejubelt. Im Jahr zuvor waren seine wichtigsten kirchenkritischen Schriften erschienen. Kritik am Papst war im Deutschland dieser Zeit verbreitet, aber dass Luther den Menschen vermittelte, ohne den Umweg über die Kirche eine persönliche Bindung zu Gott finden zu können, entfaltete in einer Zeit extremer Frömmigkeit ungeheure Sprengkraft.
Luther wähnte in Karl einen Verbündeten
Der Papst hatte Luther exkommuniziert und Karl aufgefordert, über ihn die Reichsacht zu verhängen. Aber viele Landesfürsten unterstützten Luther, und so sah sich der strenggläubige Kaiser gezwungen, ihn vor dem Reichstag anzuhören. Luther war optimistisch, denn er sah im hochgebildeten und frommen Kaiser, der selbst auf Kirchenreformen drängte, einen Verbündeten:
"Gott hat uns ein junges, edles Blut zum Haupt gegeben und damit viel Herzen zu großer Hoffnung erweckt."
Luther rechnete mit einer Debatte. Aber der Kaiser fragte ihn vor den versammelten Reichsständen lediglich, ob er widerrufe. Luther war so konsterniert, dass er um Bedenkzeit bat, aber am nächsten Tag hielt er eine fulminante Verteidigungsrede, die als eigentlicher Startschuss der Reformation gilt - obwohl auch der Kaiser das Publikum mit einem Bekenntnis zum katholischen Glauben bewegte, betont Heinz Schilling: "Dieses Bekenntnis hat die gleiche spirituelle Valenz wie das Bekenntnis Luthers zu reformatorischen Ideen."
"Gott hat uns ein junges, edles Blut zum Haupt gegeben und damit viel Herzen zu großer Hoffnung erweckt."
Luther rechnete mit einer Debatte. Aber der Kaiser fragte ihn vor den versammelten Reichsständen lediglich, ob er widerrufe. Luther war so konsterniert, dass er um Bedenkzeit bat, aber am nächsten Tag hielt er eine fulminante Verteidigungsrede, die als eigentlicher Startschuss der Reformation gilt - obwohl auch der Kaiser das Publikum mit einem Bekenntnis zum katholischen Glauben bewegte, betont Heinz Schilling: "Dieses Bekenntnis hat die gleiche spirituelle Valenz wie das Bekenntnis Luthers zu reformatorischen Ideen."
Im Propagandakrieg hat Luther die Nase vorn
Als Kaiser sah er sich in der traditionellen Rolle des Hüters der Kircheneinheit. Nach Luthers wüsten Angriffen gegen den Papst blieb Karl nichts anderes übrig, als die Reichsacht über den erklärten Ketzer zu verhängen. Aber das gegen Luther erlassene Wormser Edikt blieb wirkungslos - denn es galt nur dort, wo es verkündet wurde. Das war ein für das Reich typischer Kompromiss zur Eskalationsvermeidung.
Aber im folgenden Propagandakrieg gewann die Luther-Seite die Deutungshoheit. Luthers Reichstagsrede wurde publizistisch zugespitzt mit Zitaten wie "Hier stehe ich, ich kann nicht anders" – ein Satz, den der Reformator nie gesagt hat. Aber nicht nur Karl hatte sein Ziel, die Spaltung der Kirche zu verhindern, verfehlt, unterstreicht Heinz Schilling. "Beide haben sie verloren. Denn Luther wollte die Gesamtkirche reformieren, darin ist er gescheitert."
Die beiden großen Antipoden ihrer Zeit begegneten sich auf dem Wormser Reichstag zum ersten und letzten Mal und machten mit ihrer religiösen Vehemenz den Glaubenskampf zum welthistorischen Medienereignis. Damit haben sie die ungeheure Dynamik ihrer Zeit – bis hin zur Beschleunigung des Buchdrucks - enorm vorangetrieben.