Als die Kurfürsten ihn ins Obergeschoss des Aachener Münsters geleiten, wo seit über 700 Jahren der Thron Karls des Großen steht, hat der Erwählte die letzte Etappe eines langen Weges hinter sich. Der Hochsitz aus antikem Marmor ist zum feierlichen Anlass mit Goldbrokat ausgekleidet. Der Erzbischof von Köln überreicht einen goldenen Ring mit den Worten:
"Nehmt hier das Zeichen der Monarchie und des Römischen Reichs, welches Ihr gegen Einfälle der Barbaren und der Türken mit Eurer unbesiegbaren Kraft allzeit beschützen werdet."
Der Erzbischof von Trier legt dem jungen Mann die rechte Hand auf den Kopf und spricht dazu:
"Der Geist der ewigen Weisheit, das Verständnis des Wissens soll auf Euch herabsteigen."
Der Erzbischof von Mainz gibt ihm den Wunsch mit: "Gott, der Herr, ein allmächtiger König, möge immer bei Euch sein und euch beschützen vor all Euren Feinden mit dem königlichen Schild des Glaubens jetzt und alle Zeit."
Wahlkampfhilfe aus dem Bankhaus Fugger
So schilderte ein flämischer Augenzeuge die Szene am 23. Oktober 1520, dem Tag des heiligen Severin. Bereits am 28. Juni des Vorjahres hatten die Kurfürsten im Bartholomäus-Dom zu Frankfurt den Habsburger Karl V. zum Nachfolger seines Großvaters Kaiser Maximilian I. gewählt. Aus dem Augsburger Bankhaus Fugger hatte eine Menge Geld fließen müssen, um Karls Kandidatur gegen den Anspruch des französischen Königs Franz I. durchzusetzen. Der damals 19-Jährige war bereits König von Spanien und der neuen spanischen Besitzungen in Amerika, Herrscher über die Niederlande und die Freigrafschaft Burgund, Erzherzog von Österreich, Graf von Tirol, König beider Sizilien.
Um auch die deutsche Krone entgegenzunehmen, ließ er sich Zeit. Erst im Juni 1520 traf Karl aus Spanien in den Niederlanden ein. Über seinen triumphalen Einzug in Antwerpen notierte Albrecht Dürer, der eigens aus diesem Anlass angereist war:
"Da waren die Pforten köstlich geziert mit Kammerspieln, groß Freudigkeit und schöne Jungfrauenbilder, dergleichen ich wenig gesehen hab."
Auf "des Reiches höchstem Thronsitz"
Aachen war die Residenz Karls des Großen gewesen und leitete daraus den Anspruch ab, "regni sedes principalis" zu sein, "des Reiches höchster Thronsitz". Seit Otto dem Großen im frühen zehnten Jahrhundert hatten die weitaus meisten Königskrönungen des Mittelalters in den Mauern der einstigen karolingischen Pfalzkapelle stattgefunden. Auch der neue Monarch wurde demonstrativ an diese Tradition erinnert, als die Stiftskanoniker des Münsters ihm am Vortag der Krönung mit der Schädelreliquie Karls des Großen bis zum Stadttor entgegenzogen:
"Am nächsten Tag morgens gegen sieben Uhr wurde er von den Kurfürsten und vornehmsten Herren zur Kirche Unserer Lieben Frau gebracht, und mit feierlichen Gesängen begann man die Messfeier.", berichtet der flämische Augenzeuge: "Der König war ganz in Gold gekleidet. Und da wurde er bis zum Nabel nackt ausgezogen und vom Bischof von Köln mit vielen Zeremonien gesalbt."
Ein Herrscher an der Schwelle zur Neuzeit
Die Benediktineräbte von Kornelimünster und Stavelot geleiteten Karl dann in die Sakristei, wo er neu eingekleidet wurde. Der anschließenden Eucharistiefeier soll er tief ergriffen beigewohnt haben, so der Bericht:
"In dieser Messe ging er sehr andächtig zur heiligen Kommunion, so dass man die Tränen aus seinen Augen fließen sah."
Zu guter Letzt durfte der Habsburger im Obergeschoss die sechs Stufen zum Karlsthron ersteigen, wo ihm die drei geistlichen Kurfürsten, die Erzbischöfe von Köln, Mainz und Trier, die Reichskrone aufs Haupt setzten. Um zwölf Uhr mittags begab sich der Gekrönte mit Gefolge zum Festbankett ins benachbarte Rathaus. Fürs Volk war auch gesorgt:
"Es war ein Brunnen vor königlicher Majestät Hof zugericht, daraus weißer Wein lief, war darum fast ein groß Gedränge und Gezänke von den armen Leuten. (…) Desgleichen (…) ward ein ganzer Ochs gebraten. (…) Und als der gebraten, ward er von dem Volk zerrissen und weggetragen, erhub sich abermal ein groß Gezänk und Raufen."
Letzter Auftritt für Aachen
Karl V. war ein Herrscher an der Schwelle zur Neuzeit. Mit ihm endete die herausgehobene Bedeutung Aachens für das mittelalterliche Königtum. Zuletzt empfing hier 1531 sein jüngerer Bruder Ferdinand I. die Krone, während er selbst als Kaiser amtierte. Ferdinands Nachfolger Maximilian II. ließ sich 1562 am Wahlort Frankfurt krönen. Dabei blieb es dann.