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Vor 500 Jahren
In Straßburg bricht eine Tanzwut aus

Wildes Tanzen gehört zu vielen religiösen Ritualen oder Volksfesttraditionen. Aber es kann auch krankhafte Züge annehmen, wie etwa bei der Choreomanie von Straßburg 1518. Sie ist die berühmteste in einer ganzen Reihe von Tanzepidemien in Europa. Die genaue Ursache ist bis heute unklar.

Von Andrea Westhoff |
    Skizzen tanzender Menchen aus dem Jahr 1515
    Viele Kirchenherren, denen Musik und Tanz ohnehin als Werke des Teufels galten, deuteten die Choreomanie als Zeichen von "Besessenheit" (imago)
    Choreomanien hat es häufiger in Europa gegeben, besonders zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert. Aber die Straßburger Tanzwut von 1518 ist die bekannteste:
    "Dieses Tanzes Urheberin war ein Weib namens Troffer, eine halsstarrige, wetterwendische, tolle Kreatur, die alle Menschen, und ihren lieben Mann besonders, durch ihre Albernheiten recht zu ärgern gedachte."
    So heißt es in einem "Historisch-literarischen Anekdoten- und Exempelbuch",
    "Ihr Mann mochte das Tanzen nicht leiden, um dennoch aber tanzen zu können, gab die Frau vor, sie könne, sie wisse nicht von was angetrieben, es nicht lassen ..."
    An einem Tag im Juli sei diese Madame Troffea hinaus auf die Straße gegangen und habe angefangen, wie wild zu springen und zu kreiseln, berichtet eine elsässische Chronik. Und bald nicht nur sie allein:
    "Viel hundert fingen zu Straßburg an,
    zu tanzen und zu springen, Fraw und Mann,
    Am offenen Markt, Gassen und Straßen,
    Tag und Nacht ihrer viel nicht assen,
    Bis ihn' das Wüthen wieder gelag.
    St. Veits Tanz ward genannt die Plag."
    Tanzen treibt das Gift aus dem Körper
    Zunächst stellte die Stadtverwaltung sogar eine Holzbühne und Musik für die Tanzenden bereit. Man kannte offenbar die alten Überlieferungen, nach denen die Choreomanie mit Tanzen bekämpft werden könne.
    In Süditalien zum Beispiel wusste man schon seit der Antike, dass der schmerzhafte Stich der Wolfsspinne die Betroffenen wild herumspringen lässt – "wie von der Tarantel gestochen". Und weil die Menschen glaubten, dass besonders schnelles Tanzen das Gift aus dem Körper treiben würde, machten die Umstehenden zur Unterstützung mit. "Tarantismus" hieß diese italienische Veitstanz-Variante, zu der später die Tarantella entstand – als therapeutischer Volkstanz gewissermaßen.
    Doch die Tanzwütigen von Straßburg ließen sich nicht beruhigen. Viele starben sogar. Schließlich ließ der Magistrat die herumkreiselnden Menschen zur St.-Veit-Kapelle bei Saverne im unteren Elsass geleiten. Der heilige Veit, oder Vitus – ein christlicher Märtyrer aus dem 4. Jahrhundert – wurde bei vielen Krankheiten angerufen.
    Dort, so heißt es in der elsässischen Chronik, mussten die Tanzwütigen mit roten Schuhen den Altar umrunden:
    "An den Schuhen war unten und oben ein creutz mit Balsam aus Salböl gemacht und mit weywasser besprengt in St. Veits namen, das halff ihn’ vast allen."
    Was die Ursache der Choreomanie war, weiß man bis heute nicht genau. Die Ärzte im Mittelalter sprachen von einer Überhitzung des Gehirns durch heißes Blut. Auch einige Medizinhistoriker gehen davon aus, dass es sich bei der Tanzwut um eine Nervenerkrankung gehandelt haben könnte: entweder Epilepsie oder Chorea Huntington, die im Volksmund heute noch "Veitstanz" heißt. Beide Krankheiten sind allerdings nicht ansteckend.
    Das LSD-ähnliche Mutterkornalkaloid Ergotamin
    Andere vermuten daher auch eher eine Mutterkornvergiftung als Auslöser. Gerade in Zeiten großer Missernten, die es im 14. bis 16 Jahrhundert häufiger gab, erkrankten daran viele Menschen: In verschimmeltem Getreide bildet sich das LSD-ähnliche Mutterkornalkaloid Ergotamin; und wenn die Hungernden das Korn oder Mehl dann trotzdem aßen, bekamen sie krampfhafte Zuckungen und Halluzinationen.
    "Diese Krankheit sollte eigentlich Chorea lasciva genannt werden", schreibt dagegen Paracelsus im 16. Jahrhundert. Er betrachtete den massenhaft auftretenden "unzüchtigen Tanz" als Deckmantel für sexuelle Ausschweifungen.
    "Zu Köln fand man mehr denn hundert Frauen und Dienstmägde, die alle in der Dänzerei kindertragend wurden."
    Viele Kirchenherren, denen Musik und Tanz ohnehin als Werke des Teufels galten, deuteten die Choreomanie stets als Zeichen von Besessenheit. Und einige moderne Historiker sehen in der Tanzwut von 1518 und anderen Veitstanz-Epidemien eine religiöse Massenhysterie, die mit den Unsicherheiten in den Umbruchzeiten am Ende des Mittelalters zu tun hat.
    Das Phänomen des öffentlichen "ansteckenden" Massen-Tanzens gibt es bis heute: Die Echternacher Springprozession, bei der noch heute jährlich tausende Luxembourger und Touristen hüpfend durch die Straßen ziehen, soll ursprünglich eine Wallfahrt für Tanzwütige gewesen sein.