Mitten in der Nacht ist die Mannschaft des Kutters "Isleifur II" aufgebrochen, um in der Nähe der Westmänner-Inseln ihre Netze auszulegen. Es ist noch dunkel, als die Fischer einen schwefligen Geruch wahrnehmen. Erst in der Morgendämmerung machen sie in der Ferne eine Rauchwolke aus. Brennt dort ein Schiff? Kapitän Gudmar Tomasson lässt eilig Funksprüche absetzen.
Doch an diesem 14. November 1963 hat niemand vor der Südküste Islands SOS signalisiert. Inzwischen ist es so hell geworden, dass der Kapitän mit dem Fernglas erkennt, was passiert: Es ist ein untermeerischer Vulkan, der Asche, Gesteinsbrocken und Rauch speit. Er meldet die Nachricht sofort, und drei Stunden später fliegt der Geologe Sigurdur Thorarinsson an Bord einer Propellermaschine über die Eruptionsstelle:
"Dichte Wasserdampf-Schwaden und Explosionen"
"Ausgestoßener Wasserdampf hüllte die Szene mit dichten Schwaden ein. Nur durch diesen dichten Schleier waren dann und wann Explosionen zu erkennen. Schließlich begannen sich die Wellen in einem neuen Hindernis zu brechen, was darauf hinwies, dass sich eine Erhebung aufzubauen begann, die schon die Wasseroberfläche erreichte."
Das Meer ist an der Ausbruchsstelle 120 Meter tief. Und doch werden schon am Nachmittag zwei Krater oberhalb der Meeresoberfläche sichtbar: Eine Insel entsteht - Surtsey, geboren aus dem in Island allgegenwärtigen Vulkanismus und benannt nach Surtur, dem Feuerriesen in der nordischen Sagenwelt. Bis Juni 1967 sollte dieser Ausbruch dauern, der insgesamt drei Inseln entstehen ließ. Wind, Wellen und Regen trugen zwei von ihnen jedoch schnell wieder ab, nur Surtsey blieb. Lovisa Ásbjörnsdóttir vom Isländischen Naturkundeinstitut in Reykjavik:
"Der Ausbruch, bei dem Surtsey 1963 entstand, förderte zu rund 70 Prozent vulkanisches Lockermaterial, Tephra, das schnell erodiert wird. Später dann floss Lava, die die lockeren Ablagerungen darunter schützt."
Außerdem haben sich weite Bereiche der Insel sozusagen selbst geschützt, erläutert die Geologin Ásbjörnsdóttir.
"Wo auf der Insel die Hitze aus dem Untergrund aufstieg, verwandelte sich die Asche in Palagonit. Dieses Gestein ist sehr hart und setzt den Meereswellen Widerstand entgegen."
Ein neues Ökosystem entsteht auf nacktem Fels
Nur zwei Jahre dauerte diese Umwandlung - lief sehr viel schneller ab als gedacht. 1967 war Surtsey rund 2,7 Quadratkilometer groß - und wurde von der Natur erobert.
"Wir konnten auf Surtsey beobachten, wie Pflanzen und Tiere eine Insel besiedeln und sich ein neues Ökosystem bildet."
Sagt Borgþór Magnússon, Biologe am Naturkundeinstitut in Reykjavik. Nach Algen, Flechten und Moosen, die für alle anderen sozusagen den Boden bereiteten, siedelten sich höhere Pflanzen wie der Arktische Meersenf an. Und die Tiere kamen: Heute gibt es auf Surtsey Kegelrobben, Dutzende Arten von Vögeln, Fliegen, Schmetterlinge, Spinnen und Käfer. Sogar Regenwürmer.
Was nicht dorthin schwimmen oder fliegen konnte, ist mit Stürmen, Treibgut und Meeresströmungen angekommen oder als blinder Passagier per Vogelflug. Inzwischen scheint die Besiedlungsphase jedoch vorbei zu sein, sagt Borgþór Magnússon:
"Während der vergangenen Jahre hat die Zahl der Pflanzenarten auf Surtsey etwas abgenommen. Wir vermuten, dass wir einen Höhepunkt in der Artenvielfalt erreicht haben und dass sich das Ökosystem nun allmählich dem angleichen wird, was wir auf den Nachbarinseln sehen. Wir glauben, dass wir diese Entwicklung bereits beobachten."
Naturschauspiel mit Ablaufdatum
Die natürliche Auslese wirkt auf Surtsey: So kann sich nicht jede Pflanze, die einmal dort gekeimt hat, unter den rauen Bedingungen halten. Und: Surtsey schrumpft. Die Erosion nagt an der Insel. Zwar verschwindet das Land nicht mehr so schnell wie in den ersten Jahren, aber heute noch verliert die Insel jährlich eine Fläche von der Größe eines Fußballfelds ans Meer.
Modellrechnungen zufolge könnte Surtsey in 100 Jahren verschwinden. Dann bliebe von ihr nur eine Spitze aus nacktem Fels im Meer, auf der Seevögel nisten und ein bisschen Gras wächst.