Karfreitag 1958. Tausende von Kriegsgegnern versammeln sich auf dem Trafalgar Square in London zum weltweit ersten Ostermarsch. Ihr Ziel: das rund 60 Meilen entfernte Aldermaston. Dort entwickelt Großbritannien seine eigenen Atomwaffen. Unter den Friedensaktivisten: die Schülerin Sonya Baksi, damals knapp 18 Jahre alt.
"Die Teilnehmer waren sehr gemischt, alte, junge. Wir marschierten vier Tage lang. Übernachteten in Turnhallen, Kirchen, Gemeindesälen. Das Wetter war schlecht, die Füße schmerzten, aber wir waren voll bei der Sache, schmetterten Protestlieder und skandierten Parolen."
Sonya Baksi ist Ärztin geworden. Sie ist bis heute Pazifistin. Ihr Schlüsselerlebnis war der Besuch einer japanischen Ärztedelegation in London im Jahr 1955. Sonya war gerade 15. Die Mediziner berichteten detailliert über die verheerenden Auswirkungen der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Informationen, die von der amerikanischen Regierung jahrelang geheim gehalten worden waren. Die Bilder von den verglühten Opfern, von denen nur noch Schatten übrig waren, hätten – so Sonya - viele Menschen überzeugt, dass es bei einem Atomkrieg keine Gewinner geben würde.
Und dennoch waren die Ostermärschler guten Mutes, erinnert sich Sonya Baksi. Damals hätten die Leute noch geglaubt, sie könnten die Welt verändern.
Und dennoch waren die Ostermärschler guten Mutes, erinnert sich Sonya Baksi. Damals hätten die Leute noch geglaubt, sie könnten die Welt verändern.
"Einmal übernachteten wir in einem Kirchensaal, und plötzlich trugen zwei Geigenspieler das Bach-Konzert für zwei Violinen vor. Für mich als Teenager war das der eindringlichste Moment. Die Vorstellung, dass Atomwaffen auch unsere kulturellen Errungenschaften auslöschen würden."
"Schrecklich enttäuschend"
Sonya zeigt auf ein altes Foto: im Vordergrund ein Schild, das erstmals auf diesem Ostermarsch zu sehen war - und über dessen Symbolik sich die Medien gründlich den Kopf zerbrachen. Drei nach unten weisende Striche in einem schwarzen Kreis. Das Friedenslogo ist inzwischen weltweit bekannt. Entworfen von dem britischen Künstler Gerald Holtom - im Auftrag der CND, der "Kampagne für nukleare Abrüstung", die den Friedensmarsch unterstützt hatte
"Die Ankunft in Aldermaston am 7. April 1958 war schrecklich enttäuschend. Die Anlage war mitten im Nirgendwo. Denkbar ungeeignet, um öffentliches Bewusstsein zu schaffen. Im Jahr darauf haben wir die Marschrichtung umgekehrt. Und als wir dann auf dem Trafalgar Square ankamen, hatten wir jede Menge öffentliche Aufmerksamkeit."
Anfang der 60er Jahre nahmen über einhunderttausend Menschen an den Ostermärschen teil. Die Bewegung wurde von vielen Gewerkschaften, Kirchenvertretern und den Quäkern unterstützt. Doch das politische Establishment hielt sich zurück. Auch Labour - und das war für Sonya Baksi besonders bitter.
"Ausgerechnet Aneurin Bevan, Mitglied des sozialistischen Schattenkabinetts, erklärte, Großbritannien müsse weiterhin Atombomben bauen: schließlich wolle er – als künftiger Außenminister - nicht ‚nackt‘ in einen Konferenzsaal treten. Dabei hatte er ursprünglich die Bewegung ‚Ächtet die Bombe‘ angeführt. In dieser Frage sind die Linken wie die Liberalen bis heute gespalten."
An Bedeutung verloren
Mitte der 60er Jahre war es vor allem der Widerstand gegen den Vietnamkrieg, der viele Protestaktionen dominierte. Von verschiedenen Gruppen organisiert, landesweit, und nicht unbedingt an Ostern. Der CND verlor an Bedeutung.
"Ich vermisse den Aktivismus der 60er Jahre. Vielleicht ist die Angst vor einem Atomkrieg nicht mehr so groß. Für mich war die Atombombe das große Schreckgespenst, das meine ganze Jugend überschattete."
Morgen kehrt Sonya Baksi nach Aldermaston zurück. Dort kommen CND-Gruppen aus ganz Großbritannien zusammen, um den 60. Jahrestag des ersten Friedensmarsches zu feiern. Im Mittelpunkt der Aktion: eine riesige Installation mit dem Zeichen, das inzwischen auf der ganzen Welt für Frieden steht.