Archiv

Vor 60 Jahren
Die "Küchendebatte" von Nixon und Chruschtschow

Auf einer US-Nationalausstellung kam es zu einem Wortgefecht zwischen Vizepräsident Richard Nixon und Sowjetchef Nikita Chruschtschow. Da es vor einer Ausstellungsküche stattfand, wurde es als „Küchendebatte“ belächelt. Dabei ging es um eine entscheidende Frage.

Von Bert-Oliver Manig |
    US-Vizepräsident Richard Nixon spricht im Juli 1959 auf einer Industriemesse in Moskau mit dem sowjetischen Parteichef Nikita Chruschtschow.
    Das spontane Wortgefecht von Richard Nixon und Nikita Chruschtschow vor einer Ausstellungsküche ging als "Küchendebatte" in die Geschichtsbücher ein (imago/ZUMA Press)
    Man konnte zeitgenössischen Jazz hören auf der Amerikanischen Nationalausstellung, die am 24. Juli 1959 im Moskauer Sokolniki-Park ihre Pforten öffnete. Er könne Jazz nicht leiden, vertraute US-Vizepräsident Richard Nixon dem sowjetischen Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow beim Rundgang durch die hypermodernen Ausstellungshallen an. Er auch nicht, bekannte Chruschtschow, der dann noch eine unflätige Bemerkung über die in der Sowjetunion ebenso verpönte abstrakte Malerei zum Besten gab.
    Hätte es sich bei der American National Exhibition um eine reine Kunstausstellung gehandelt, der Harmonie zwischen Chruschtschow und Nixon hätte nichts im Wege gestanden. Doch die Hochkultur spielte dort nur eine Nebenrolle. Die Ausstellung war in erster Linie eine Leistungsschau der amerikanischen Wirtschaft und Konsumkultur.
    "Unzufriedenheit im sowjetischen Volk erzeugen"
    Nach der schockhaften Erfahrung sowjetischer Sputniks im Weltall kam es der US-Regierung darauf an, den russischen Besuchern die Überlegenheit der amerikanischen Wohlstandsgesellschaft gegenüber dem Kommunismus vor Augen zu führen.
    Der US-Botschafter in Moskau, Llewellyn Thompson, hoffte: "Die Ausstellung kann zu bedeutenden politischen Konsequenzen mit unvorhersehbaren Vorteilen für die USA führen. Unser primäres Thema sollte unsere qualitative und quantitative Überlegenheit in allen Aspekten des kulturellen und wirtschaftlichen Lebens sein. Wir sollten uns bemühen, Unzufriedenheit im sowjetischen Volk zu erzeugen."
    Besondere Bedeutung kam dabei den von der sowjetischen Presse als "Splitniks" verspotteten Doppelhaushälften zu, die für die moderne Lebensweise des amerikanischen Durchschnittsbürgers standen.
    Als Chruschtschows Stimmung kippte
    Zentral war die Küche, die mit zahlreichen technischen Neuerungen und Arbeitserleichterungen verblüffte – Backmischungen, Tiefkühlkost, Küchenmaschinen und adrett gekleidete Idealhausfrauen sollten die Sowjetbürgerinnen der kommunistischen Ideologie entfremden.
    Die Ausstellungsmacher stellten sich das so vor: "Der Duft von Brathähnchen und frischgebackenem Kuchen wird die sowjetischen Massen in diesem Sommer in die betriebsame Küche der Amerikanischen Nationalausstellung in Moskau locken. Dank der gemeinsamen Anstrengungen der Firmen General Mills und General Foods werden sich die sowjetischen Besucher selbst überzeugen können, dass die amerikanische Hausfrau in wenigen Minuten ein mehrgängiges Menü auf den Tisch bringen kann."
    Ausgerechnet vor der Ausstellungsküche kippte Chruschtschows Stimmung. Völlig undiplomatisch stellte er die Solidität amerikanischer Häuser in Frage. Die technischen Neuerungen in der Musterküche tat er als nutzlose Spielereien ab.
    Nixon gab sich verbindlich und räumte technologische Erfolge der Sowjets in der Raumfahrt ein, um dann die amerikanische Überlegenheit bei modernen Konsumgütern wie dem Farbfernsehen hervorzuheben.Doch Chruschtschow fiel ihm ins Wort und bestritt unverfroren einen Vorsprung der USA beim Farbfernsehen.
    Nixons Feuertaufe auf internationalem Parkett
    Der offene Schlagabtausch zwischen Nixon und dem kratzbürstigen Chruschtschow erlangte als "Kitchen Debate" legendäre Berühmtheit. Ein Fernsehteam schnitt Teile des Gesprächs mit, das allen diplomatischen Gepflogenheiten widersprach.
    Es endete halbwegs versöhnlich und Nixon erhielt von Chruschtschow per Handschlag die Zusage für eine landesweite Ausstrahlung seiner Aussagen im sowjetischen Fernsehen. In der amerikanischen Presse wurde der Vizepräsident, der Chruschtschow Paroli geboten hatte, gefeiert.
    Diese Feuertaufe auf internationalem Parkett konnte aber nicht verhindern, dass Nixon im Jahr darauf bei der Präsidentschaftswahl John F. Kennedy unterlag. Dieser stand Nixon an antikommunistischer Standfestigkeit und Redegewandtheit nicht nach, zugleich aber verkörperte er ein moderneres Amerika als jenes selbstzufriedene Wohlstandsidyll, vor dem sich 1959 die "Küchendebatte" abgespielt hatte.