"Wer ein politisches Amt innehat, tut nichts, was rein privat ist."
Der emeritierte Soziologieprofessor Hans-Jürgen Krysmanski ist Verfasser von Studien über die Netzwerke von Geld- und Machteliten. Dass die geheimnisumwitterten Bilderberg-Konferenzen nur dem privaten Gedankenaustausch dienen, glaubt er nicht.
"Dieses ganze Netz ist natürlich sehr viel komplizierter als es manche Verschwörungstheoretiker glauben, die einfach sagen, Bilderberger, das ist die Weltregierung, das ist völliger Unsinn. Das Wichtige oder Interessante ist eben nur, dass diese informellen Netzwerke aus zwei Richtungen gesehen werden können: Sie können einerseits gesehen werden, als etwas, das notwendig ist, das man aber transparent machen muss. Und sie können gesehen werden als etwas, das als Tür dient, hinter der dann auch heikle Entscheidungen usw. unter Ausschluss der Öffentlichkeit gefällt werden."
Angehörige der europäischen Königshäuser, milliardenschwere Bankiers und Großindustrielle: sie bilden den harten Kern der Bilderberg-Gruppe. Man trifft sich einmal im Jahr für drei Tage irgendwo auf der Welt in einem Luxushotel, abgeschottet von jeglicher Öffentlichkeit. Hinzugeladen werden Regierungschefs, Industriebosse, Militärs, Wissenschaftler und einige Journalisten. Was genau in diesen drei Tagen besprochen wird, ist unklar. Denn die Teilnehmer verpflichten sich zur Geheimhaltung.
"Die Teilnehmer sollen einflussreich und allgemein respektiert sein sowie über Spezialwissen oder reichlich Erfahrung verfügen, um durch ihre persönlichen Kontakte und ihren Einfluss in nationalen wie internationalen Kreisen den von Bilderberg gesetzten Zielen zu genügen."
So umschrieb Joseph Retinger den idealen Bilderberger. Der gebürtige Pole war während des Zweiten Weltkriegs als politischer Flüchtling nach Großbritannien gekommen. Als gut vernetzter Politikberater hatte er den Ruf, jederzeit ein Treffen mit dem amerikanischen Präsidenten arrangieren zu können.
Europa war nach den Zweiten Weltkrieg ausgeblutet und uneins. Retinger fürchtete die wachsende kommunistische Gefahr, die mit der militärischen Übermacht der Sowjetunion immer drängender wurde. Als Gegengewicht wollte er Westeuropa und die USA auch jenseits der offiziellen Politik enger aneinander binden. So enstand seine Idee einer vertraulichen Zusammenkunft derjenigen, die beiderseits des Atlantiks zu den Einflussreichsten in ihrem Bereich zählten. Der amerikanische Bankier David Rockefeller schrieb in seiner Autobiografie:
"Ich war einer von elf eingeladenen Amerikanern, und wir empfingen 50 Gäste aus elf europäischen Ländern. Im Vorfeld hatte mich Retinger gebeten ein Hintergrundpapier zu den Perspektiven der Weltwirtschaft aus amerikanischer Sicht vorzubereiten. Den europäischen Standpunkt zu diesem Thema hatte der Vorsitzende der britischen Labourpartei vorbereitet."
Auch der belgische Premierminister oder der Vorstandschef des Unilever-Konzerns waren beim ersten Bilderberg-Treffen dabei. Es begann am 29. Mai 1954 im holländischen Oosterbeek, den Vorsitz hatte der niederländische Prinz Bernhard. Während Rockefellers Papier ein anhaltendes Wirtschaftswachstum voraussagte, malte der Brite eine düstere Zukunft aus. Doch davon abgesehen herrschte unter allen Teilnehmern Einigkeit, so Rockefeller,
"... dass wir uns auch im kommenden Jahr unter dem Vorsitz von Prinz Bernhard wieder treffen sollten. Außerdem beschlossen wir, unsere Gruppe von nun an ‚Bilderberg' zu nennen, nach dem Hotel de Bilderberg, in dem wir uns zum ersten Mal versammelt hatten."
Noch immer geht es bei den Bilderberg-Konferenzen darum, Europa und die USA enger aneinander zu binden. Noch immer sind Wirtschaft und Außenpolitik die zentralen Themen, und noch immer werden neben dem harten Kern aus Geld und Adel gerne Nachwuchskräfte eingeladen: Aufstrebende Politiker, die man kennen lernen und einschätzen will. So war Bill Clinton 1991 dabei, bevor er zwei Jahre später amerikanischer Präsident wurde, Angela Merkel war 2005 eingeladen und wurde einige Monate später Bundeskanzlerin. Auch Helmut Schmidt und Helmut Kohl waren vor ihrer Kanzlerschaft Bilderberg-Gäste. Beweist das nur den sicheren Instinkt bei der Gästeauswahl? Oder entscheidet erst die Bilderberg-Konferenz über politische Karrieren? Der "Spiegel" meint:
"Wenn es so wäre, dann hätte die eigentliche Konferenz zur Weltverschwörung ihren Sinn verloren. Jedes Jahr treffen sich die Mächtigen der Welt nämlich tatsächlich an einem abgeschiedenen Ort, um über die Geschicke von Millionen Menschen und Milliarden Dollar zu bestimmen - auf dem Weltwirtschaftsforum in dem kleinen Örtchen Davos."