Schwebende Chorstimmen eröffnen Luigi Nonos Oper "Intolleranza" mit dem Bekenntnis zum Leben:
"Lebendig ist, wer wach bleibt, sich den anderen schenkt, das Bessere hingibt, niemals rechnet / Lebendig ist, wer das Leben liebt/ Lebendig ist / wer das Licht erwartet in den Tagen des schwarzen Sturms."
Nonos Fanal der Zeit
Alle Opern besingen die Schönheit und die Liebe, gegen den Hass und den Verrat. Und graben sich ein in die Affären der Politik. Händel, Mozart, Wagner, Verdi – demaskiert werden die Mächtigen, entblößt wird der Liebesverrat. Der Komponist Luigi Nono nannte seine Oper "Intolleranza 1960", eine Szenische Aktion, mit dem Datum der Gegenwart. Das hatte mit seiner aufbrausenden politischen Energie zu tun. Die von Bruno Maderna dirigierte, vom Maler Emilio Vedova bebilderte Uraufführung, am 13. April 1961 in Venedig, rief natürlich die Proteste der Traditionalisten, der politischen Gegner hervor. Nono, 1924 in Venedig geboren, war längst zur Kommunistenpartei Italiens gestoßen, das Wort Intolleranza war sein Fanal der Zeit.
Luigi Nonos "Intolleranza 1960" hatte Vorläufer, etwa seinen Liedzyklus "Il canto sospeso" – trauernde Gesänge der Anklage in Briefen von zum Tode verurteilten Widerstandskämpfern im Faschismus. "Intolleranza" entfaltet eine Art Handlung auf elf Stationen. Protagonist ist ein Emigrant, der in politischen Widerstand, Isolation und private Schicksalsschläge verstrickt ist. Nono selbst hat seine szenische Aktion erklärt und gedeutet:
"'Intolleranza 1960' ist das Erwachen des menschlichen Bewusstseins eines Mannes, der sich – als ausländischer Bergarbeiter – gegen den Zwang der Bedürfnisse erhebt und einen Sinn, eine 'menschliche' Grundlage des Lebens sucht."
Zersplitterte Stimmen der Angst
"Intolleranza" entstand in der Zeit des blutigen Algerienkriegs der Franzosen. Künstler reagierten. Nonos Emigrant erlebt Stationen des Aufruhrs und der Verhaftung, der Gefangenschaft in einem Konzentrationslager, der Folterung. Er will heimkehren – und geht unter in einer Hochwasserkatastrophe am großen Fluss. Nono gelingt es, die zersplitterten Stimmen der Angst und der Wunschträume in grandiose Choraktionen einzubinden.
Luigi Nono wurde in der konservativen Gesellschaft der frühen Bundesrepublik ausgegrenzt, kaum aufgeführt. Als nicht kompatibel galt seine Parteinahme für den Kommunismus, seine Nähe zu Intellektuellen in Russland, Lateinamerika und in der DDR. Schrittweise führte dann seine künstlerische Entwicklung in die politische Überhöhung, in die lyrische Tiefe.
Heute wird Nono als Portalfigur neuer Musik geradezu verehrt, aufgeführt. Sogar die Salzburger Festspiele wollen im Sommer 2021 "Intolleranza" spielen, als das sozialpolitische Musiktheater unserer Zeit. Am Ende seines Stücks zitiert Luigi Nono übrigens das Exil-Gedicht "An die Nachgeborenen" von Bertolt Brecht. Seinen eigenen Antrieb zu "Intolleranza" hat Nono selbst angezeigt:
"Immer ist die Entstehung einer meiner Arbeiten in einer menschlichen ‚Herausforderung’ zu suchen: Ein Ereignis, eine Erfahrung, eine Prüfung unseres Lebens fordert meinen Instinkt und mein Bewusstsein heraus, als Mensch und Musiker Zeugnis abzulegen.