"Je m’appelle Léopold Sédar Senghor, …"
Fast klingt es, als sei er erstaunt darüber, dass er nun tatsächlich Präsident der Republik Senegal ist: Léopold Sédar Senghor wurde am 5. September 1960 Staatschef der gerade erst unabhängig gewordenen, ehemals französischen Kolonie. Dabei hatte Senghor die Unabhängigkeit nicht befürwortet, sie schien ihm zu früh zu kommen für das Land im Westen Afrikas. Senghor war bereits ein anerkannter Lyriker, als er das höchste Staatsamt übernahm. Als Politiker galt sein besonderes Interesse der Förderung der Kultur.
Schon 1966 wurde in der senegalesischen Hauptstadt Dakar das "Erste Weltfestival der Negerkünste" – wie es damals noch hieß – eröffnet. Aus Senghors Sicht ein Modell für den Dialog der Kulturen:
"Ich glaube, dass alle großen Kulturen sich mit anderen kulturell vermischt haben. Man kann nicht in einem Ghetto leben, das wäre Sterilität. Ja, Europa hat uns zu einem bestimmten Maß beeinflusst. Aber ich denke, wir beeinflussen auch Europa."
Geboren wurde Léopold Sédar Senghor 1906 im senegalesischen Joal als Sohn eines wohlhabenden Großbauern, der im Einklang mit afrikanischen Traditionen vier Ehefrauen hatte. Léopold ging auf eine katholische Missionsschule, später als Stipendiat nach Paris und absolvierte als erster Afrikaner die Kaderschmiede der französischen Politik, die "École normale supérieure". Trotz des Kolonialismus sah Senghor Europa als einen Kontinent der Kultur. Die abwertenden Zuschreibungen aus der Kolonialzeit wollte er umdeuten, die eigene Kultur mit Stolz vertreten. Zusammen unter anderem mit dem Schriftsteller Aimé Césaire entwickelte er in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Bewegung der "Négritude".
"Negritude heißt, Neger zu sein, genauer gesagt: der Wille, dies bewusst zu sein, für sich und aus sich heraus die Werte der schwarzen Kultur zu leben."
Im Ausland geachtet, im Inland immer stärker kritisiert
Der senegalesische Literaturwissenschaftler Moustapha Diallo ist von Senghors Konzept der Négritude nicht überzeugt:
"Wenn er das mit der Negritude ernst gemeint hätte, dann hätte er die französische Sprache nicht stärker gefördert, als die afrikanischen. Und das Problem bei der Negritude ist, dass er nicht sagt, welche Rolle die afrikanischen Kulturen bei der Entwicklung der universellen Zivilisation, wie er das sagt, spielen sollten oder spielen könnten."
Im Ausland wurde Senghor als Philosoph an der Spitze eines Staates gesehen, galt als Stimme ohne Hass. Mit diesen Worten ehrte ihn auch die Jury, die ihm 1968 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels zuerkannte. Während der Preisverleihung demonstrierte draußen der Sozialistische Deutsche Studentenbund, kritisierte Senghor als "philosophierende Charaktermaske des französischen Imperialismus". Auch im Senegal nahm die Kritik an Senghor zu.
Er investierte bis zu 25 Prozent des Staatshaushalts in die Kultur, während das Land in eine Wirtschaftskrise geriet, die Armut der Bevölkerung zunahm. Sein Regierungsstil wurde immer autoritärer, er ging mit harter Hand gegen Oppositionelle vor. Und dann gab er 1980 – für Außenstehende überraschend – sein Amt an der Spitze des Staates freiwillig ab, an den Wirtschaftsfachmann und bisherigen Ministerpräsidenten Abdou Diouf. Im Westen brachte ihm dieser Schritt viel Anerkennung ein. Moustapha Diallo ist kritischer:
"Freiwillig war das nicht ganz, weil er gemerkt hat, dass es immer mehr brodelte im Land, und er hatte auch gemerkt, dass er sich nicht mehr halten könnte, wenn er weitermachen würde. Deshalb hat er aufgehört, bevor es explodiert."
Léopold Sédar Senghor starb 2001 in Frankreich, dort hatte er auch seine letzten Lebensjahre verbracht. Am Ende eines Lebens zwischen zwei Kulturen war die einstige Kolonialmacht schließlich zur Heimat seiner Wahl geworden.