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Vor 60 Jahren
Verabschiedung der "Erklärung der Rechte des Kindes"

Mit der "Erklärung der Rechte des Kindes" haben die Vereinten Nationen vor 60 Jahren menschenrechtliche Mindeststandards für Kinder definiert. Doch rechtlich verbindlich waren sie nicht. Erst auf den Tag genau 30 Jahre später folgte ein völkerrechtlich bindendes Abkommen für Kinderrechte.

Von Monika Köpcke |
    Kinder sitzen auf einer Bank in einer Kindertagesstätte.
    Kinder in einer Kindertagesstätte in Potsdam (dpa / Ralf Hirschberger)
    Im Frühjahr 1924 ging ein Brief beim Völkerbund in Genf ein. Absenderin war Eglantyne Jebb, eine wohlhabende Britin, die sich für die Bekämpfung der Kinderarmut engagierte. Sie schrieb: "Ich bin davon überzeugt, dass wir auf bestimmte Rechte der Kinder Anspruch erheben und für die allumfassende Anerkennung dieser Rechte arbeiten sollten."
    Kurz nach dem Ersten Weltkrieg war Eglantyne Jebb nach Österreich-Ungarn und auf den Balkan gereist, um sich ein Bild über die Lage der Flüchtlingskinder zu machen - und war schockiert: Viele von ihnen lebten alleingelassen, bedroht von Hunger, Armut, und Krankheit.
    "Sie ist an den Papst herangetreten, an den damaligen, um ihn zu Spenden aufzufordern", sagt die Die Erziehungswissenschaftlerin Waltraut Kerber-Ganse. "Und da hat er ihr den Rat erteilt, sie solle erst mal einen internationalen Verband gründen. Und das hat sie dann sofort getan: ‘Save the Children International Union’, der den Sitz in Genf hat."
    Für ihre Hilfsorganisation formulierte Eglantyne Jebb fünf Grundsätze und legte den Text ihrem Brief an den Völkerbund bei:
    "Erstens: Jedem Kind müssen die materiellen und geistigen Mittel für eine normale Entwicklung gegeben werden. Zweitens: Bei Hunger und Krankheit hat jedes Kind Anspruch auf Hilfe. Drittens: In Notlagen muss zuerst dem Kind geholfen werden. Viertens: Kinder müssen vor Ausbeutung geschützt werden. Fünftens: Die Erziehung des Kindes muss das Bewusstsein für seine soziale Verantwortung stärken."
    Erstmals internationale Kinderrechte
    Jahrhundertelang galt für Kinder Gehorsam als höchste Tugend - eigene Rechte wurden ihnen nicht zugestanden. Erst mit der Industrialisierung und der Einführung der Schulpflicht begann die Politik allmählich, zwischen der Welt der Kinder und der Welt der Erwachsenen zu unterscheiden. Der Erste Weltkrieg verstärkte das Bewusstsein, Kinder als besonders schutzbedürftigen Teil der Gesellschaft wahrzunehmen. Eglantyne Jebbs fünf Grundsätze fielen also auf fruchtbaren Boden: Am 26. September 1924 verabschiedete der Völkerbund ihren Text unter dem Namen "Genfer Erklärung". Es war das erste internationale Dokument, das spezifische Kinderrechte offiziell anerkannte. Doch das Abkommen war lediglich eine Empfehlung ohne Rechtsanspruch; und nur 15 Jahre nach der Verabschiedung stürzte wieder ein Weltkrieg unzählige Kinder in großes Leid.
    Waltraut Kerber-Ganse: "Der Nachfolgeverband des damaligen, noch von Eglantyne Jebb gegründeten Verbandes, hat sofort, also jedenfalls ab 1946, in der UNO Druck gemacht, dass die UNO sich auch der Genfer Deklaration anschließen sollte. Da wurden dann allerdings Stimmen laut, die überlegten, es ist irgendwie doch eine Menge in der Zwischenzeit geschehen, und vielleicht brauchen wir wirklich eine neue Deklaration."
    Schon bald nach Gründung der Vereinten Nationen hatte der Kalte Krieg die Welt fest im Griff. Im Wettstreit der Systeme wollte sich keine der beiden Seiten nachsagen lassen, die Belange der Kinder und Jugendlichen, die ja als Pfeiler einer neuen und besseren Welt galten, nicht ausreichend zu würdigen. So verabschiedeten die Vereinten Nationen am 20. November 1959 einstimmig ihre "Erklärung der Rechte des Kindes". In 10 Artikeln formuliert sie menschenrechtliche Mindeststandards, die für alle Kinder gelten sollten:
    "Das Kind hat einen Anspruch auf einen Namen und eine Nationalität von Geburt an, auf Freiheit und Würde, Liebe und Verständnis. Ein Recht auf angemessene Ernährung, medizinische Versorgung, Unterricht und Bildung, auf Spiel und Erholung, auf Schutz vor Ausbeutung und Diskriminierung."
    Längst nicht alle Rechte sind realisiert
    Doch eine Pflicht für politisches Handeln erwuchs auch aus dieser Erklärung nicht. Erst auf den Tag genau 30 Jahre später sollte sich das ändern. Am 20. November 1989 verabschiedeten die Vereinten Nationen das völkerrechtlich verbindliche "Übereinkommen über die Rechte des Kindes".
    "Die UN-Konvention über die Rechte des Kindes, das ist praktisch ein weltweites Grundgesetz für Kinder, in dem festgelegt ist, dass jedes Kind auf der Welt ein Recht hat auf Überleben, auf Entwicklung, auf Schutz und darauf, ernst genommen und beteiligt zu werden", sagt Rudi Tarneden von Unicef-Deutschland.
    Noch im Kalten Krieg konzipiert, profitierte das Abkommen vom Wettstreit der Systeme: Gesundheit und soziale Sicherheit forderten vor allem die sozialistischen Staaten, die freiheitlichen Bürgerrechte lagen dem Westen am Herzen. Die Vertragsstaaten - und das sind bis auf die USA alle Mitglieder der Vereinten Nationen - sind verpflichtet, die 54 Artikel in ihrer nationalen Gesetzgebung umzusetzen. Sanktionsmöglichkeiten gibt es allerdings nicht. So klafft heute noch immer eine riesige Lücke zwischen dem rechtlichen Anspruch und der Realität, in der viele Kinder heute leben.