Hört das denn nie auf? Fragt sich der römisch-deutsche König Sigismund. Es muss ein Ende haben: dieses ewige Durcheinander, das Chaos, das Kompetenzgerangel unbotmäßiger Kardinäle? Der ständige Ärger mit den Päpsten? Von denen es inzwischen drei an der Zahl gibt!
König Sigismund reicht es! Er will nicht länger wie eine Marionette an den Fäden verzankter Kirchenfürsten tanzen, sondern Ordnung schaffen: in einem Konzil endlich das große Schisma beenden, das die abendländische Kirche spaltet und eben diese drei Päpste hervorgebracht hat. Der Autor Jürgen Hoeren:
"Es wird Zeit einen Papst zu wählen"
"Jedem Laien, jedem Fürsten, jedem Kleriker, der ganzen Welt wurde sichtbar: Das kann doch nicht der Wille Gottes sein, dass da drei Päpste für sich in Anspruch nehmen, Nachfolger Petri zu sein. Die moralische Glaubwürdigkeit der Kirche neigte sich dem Nullpunkt zu. Die Unruhe, die Unordnung, der Zweifel, die Zwietracht störten natürlich auch den politischen Frieden. Und dann war es wirklich eine große Leistung von Sigismund, dass er im Oktober 1417, als er wieder in Konstanz war, die verschiedenen Parteien zusammenbrachte und sich mit ihnen einigte: Jetzt ist es wirklich Zeit, einen Papst zu wählen."
Das ist - zunächst - die Stunde des Baldassare Cossa, Gegenpapst mit dem Namen Johannes XXIII.!
Der war bereits 1414 unter einem goldenen Baldachin, die Tiara auf dem Kopf zum "Krisengipfel" in Konstanz eingezogen. Im Gefolge ein endloser Zug von Kardinälen, Bischöfen und Prälaten in farbenprächtigen Gewändern. Nun hätte all das ja auch durchaus zum Erfolg führen können, wenn der eitle und hochfahrende Pontifex einen Moment innegehalten und an das gedacht hätte, was wir heute "Murphys Gesetz" nennen: an den alten Grundsatz nämlich, dass alles, was schiefgehen kann, auch schiefgehen wird! Und genau das tut es:
"Johannes XXIII. reiste eigentlich siegesgewiss an mit der Meinung, er würde aus dem Konstanzer Konzil, das zunächst für ein halbes Jahr veranschlagt war, als der neue Papst der Einheit hervorgehen."
Gregor XII. und Benedikt XIII. lassen sich nicht blicken
Das allerdings geht nur, wenn die beiden anderen Rivalen, die im Hintergrund lauern, sich bequemt hätten, auch nach Konstanz zu kommen. Da man auf dem Konzil die Einheit der Kirche wiederherstellen will, ist ihre Anwesenheit unerlässlich, denn zuvor muss man sie beide zum Rücktritt zwingen! Doch der römische Gregor XII. und Benedikt XIII., der in Avignon residiert, lassen sich nicht blicken:
"Die Theologen sagten: Also, wir können jetzt nicht Johannes XXIII. wählen, zumal der auch in Pisa mit recht unlauteren Mitteln zum Papst gewählt worden ist."
Johannes XXIII. muss nun auch seine Absetzung fürchten und - macht sich schleunigst aus dem Staub. Als Ritter verkleidet flieht er aus Konstanz. Wie ein Dieb in der Nacht. Allgemeine Fassungslosigkeit. Der König tobt!
"Das war natürlich ein Riesenskandal. Man dachte, jetzt wird das Konzil aufgehoben, es bricht zusammen. Sigismund setzte alles daran, den Papst einzufangen; er wurde dann auch eingefangen und nach Konstanz gebracht und lieferte mit seiner Flucht natürlich den Anlass, dass man gegen ihn prozessierte und ihn kaltstellte."
Und das ist die Stunde des Oddo di Colonna!
Ob Zufall oder Wunder: Habemus Papam
"Am 8. November 1417 zogen die Konklavisten in dieses Gebäude ein, das absolut abgeriegelt war, die Fenster waren verbrettert und Wachmannschaften aufgefahren, damit ja niemand Einfluss nehmen konnte. Man hoffte nun, dass diese Wahl gut zu Ende gehen würde. Wie es der Zufall will, einige reden vom Wunder: Nach drei Tagen im zweiten Wahlgang einigte man sich auf einen Kandidaten, den Italiener Oddo Colonna."
Habemus Papam!
Es ist eine Premiere: der erste Papst, der auf deutschem Boden zum Nachfolger Petri gewählt wird! Mit der Wahl des neuen Pontifex hat das Konzil seine wichtigste Aufgabe erfüllt. Doch warum man sich ausgerechnet für diesen Kandidaten entschieden hat - darüber wird bis heute gerätselt. Jürgen Hoeren beurteilt ihn als eine eher unscheinbare graue Eminenz. Auf dem Konzil zu Konstanz habe er zu jenen gehört, die im Hintergrund agierten, die sich in Streitfragen kaum exponiert und sich folglich keine Gegner gemacht hätten.
Ganz sicher ist Colonna, der sich nach seiner Wahl Papst Martin V. nennt, ein Kompromisskandidat. Und überdies mit einigen Makeln behaftet: Zwar stammt er aus vornehmer römischer Familie, ist aber unehelich geboren und weder Priester noch Diakon. Und doch gelingt es diesem etwas blassen, trockenen Juristen, das Schisma zu beenden und zum "Papst der Einheit" zu werden:
"Colonna - der Papst der Einheit"
"Eigentlich hatte man in Konstanz verlangt, dass der "Papst der Einheit" - so wurde Colonna ja genannt - vor allen Dingen die Reform an Haupt und Gliedern durchsetzen sollte."
Doch das war Colonnas Sache nicht. Statt Reformen brachte er eher "Reförm-chen" zustande; wesentlich mehr dagegen lag dem treuen Parteigänger Roms daran, die Autorität des Papstamtes zu stärken:
"Er wollte den Kirchenstaat wiederherstellen. Sigismund und Vertreter Frankreichs hatten Colonna angeboten, er solle doch seine Papstresidenz nach Deutschland oder Avignon verlegen. Beide erhofften sich natürlich damit Einfluss auf den Papst, aber Colonna wollte nach Rom zurück. Rom lag darnieder, der Kirchenstaat war zerstritten: die Mailänder, die Venezianer, das Königreich Neapel, Florenz hatte sich weite Teile des Kirchenstaates unter den Nagel gerissen."
Neben dem Wiedererstarken der päpstlichen Macht strebt Martin V. ein weiteres ehrgeiziges Ziel an: in Rom für eine neue Ordnung zu sorgen:
"Er war ein Mann, der Rom als erster Papst der Renaissance wieder ein stattliches Gesicht gab. Mit dem Papst kam in diese zerfallene, zerstörte Stadt so etwas wie ein Konjunkturprogramm. Er restaurierte den Lateranpalast San Giovanni in Laterano, da wo er heute begraben liegt, er restaurierte Teile des Pantheons, Santa Maria Maggiore - überall war das Wappen der Colonna, eine Säule, präsent."
Ein durchaus verdientes Denkmal
In seinem farbigen, kenntnisreichen und unterhaltsamen Buch, der ersten deutschsprachigen Biografie über Martin V., hat der katholische Theologe Jürgen Hoeren diesen vergessenen Pontifex aus der Versenkung hervorgeholt und ihm ein - durchaus verdientes - Denkmal gesetzt. Denn das arbeitet der Autor deutlich heraus: Bei der Wahl dieses Papstes ging es um nichts Geringeres als um die Bewältigung einer politisch-theologischen Weltkatastrophe. Martin V. gelang es, nach einer über 30 Jahre dauernden Spaltung und drei Päpsten, die Kirche unter seiner Führung zu einen. Der blasse "Kompromisskandidat" schrieb ein Kapitel Weltgeschichte.
Klar macht Hoeren aber auch: Ein Himmelsstürmer, ein Reformer war dieser Papst nicht. Eher ein "Wertkonservativer", der bereits 1410 versucht hatte, den Aufrührer Johannes Hus zum Schweigen zu bringen und ihn, als das nicht gelang, exkommunizierte.
Die von ihm erreichte Einheit der Kirche währte nur 100 Jahre - bis zum Thesenanschlag eines störrischen Augustinermönchs an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg! So mag auch auf Martin V. die alte Erkenntnis zutreffen:
"Der Papst hat die Reform verhindert und dafür die Reformation bekommen!"
Das Buch "Martin V., Papst der Einheit und der Glaubenskriege" von Jürgen Hoeren ist im Südverlag Konstanz erschienen und kostet 16.- Euro.