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Vor 65 Jahren: Die Dartmouth-Konferenz
Geburtsstunde des Begriffs "künstliche Intelligenz"

Künstliche Intelligenz gilt als Schlüsseltechnologie der Digitalisierung – und ist nicht nur als Alexa oder Siri längst unter uns. Der Begriff wurde bereits am 13. Juli 1956 geprägt - auf einer Konferenz von Computerwissenschaftlern am Dartmouth College in New Hampshire.

Von Manfred Kloiber |
    Künstliche Intelligenz
    Künstliche Intelligenz entwickelt sich rasant - aber wohin ist noch nicht ganz klar (imago images / Panthermedia / kentoh)
    Die USA in den 1950er-Jahren. Überall im Land zogen in Firmen und Forschungslabors die ersten Computer ein. Riesige Maschinen, die ganze Säle füllten und dabei kaum mehr leisteten als ein Taschenrechner von heute. Doch die Elektronenhirne beflügelten die Fantasie der Mathematiker und Ingenieure: sie dachten über intelligente Maschinen nach:
    "Ich begann meine Arbeit über Künstliche Intelligenz 1956, und ich hatte keine Ahnung, wie schnell sich das entwickeln würde. Es waren und sind noch immer schwierige konzeptionelle Probleme zu lösen, bevor es Computerprogramme geben wird, die so intelligent sind wie Menschen."
    Erinnert sich der amerikanische Computer-Wissenschaftler John McCarthy. Zusammen mit Marvin Minsky, Nathaniel Rochester und Claude Shannon plante er damals ein sehr ungewöhnliches Seminar. Das Ziel: Eine Studie zum Stand der Forschung über intelligente Maschinen:
    "Die Studie soll von der Vermutung ausgehen, dass prinzipiell jeder Aspekt des Lernens - oder jede andere Eigenschaft der Intelligenz - so genau beschrieben werden kann, dass eine Maschine ihn simulieren kann."

    Künstliche Intelligenz avant la lettre

    13.500 Dollar wurden bei der Rockefeller Stiftung für das Seminar beantragt, das als "Dartmouth Conference" bekannt wurde. Im Sommer 1956 fand es statt, zeitweise nahmen bis zu 20 Wissenschaftler daran teil. Der 13. Juli gilt seitdem als Geburtstag der "Künstlichen Intelligenz" -Zwar habe man da noch keine Systeme gehabt, 'aber es ist heute die Geburtsstunde zumindest des Begriffs Künstliche Intelligenz' gewesen.", ordnet der deutsche KI-Experte Wolfgang Wahlster die Bedeutung des Seminars ein.
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    Sieben Themen standen im Mittelpunkt, darunter die Frage, wie Computer überhaupt in die Lage versetzt werden können, ein Gehirn zu simulieren. Neuronale Netze wurden diskutiert, also die künstliche Nachbildung miteinander kommunizierender Nervenzellen. Und über Sprache wurde geredet, wie Computer damit überhaupt umgehen können. Auch Kreativität und der intuitive Umgang mit zufälligen Ereignissen standen auf dem Programm, so Wolfgang Wahlster:
    "Man stand ja völlig am Anfang, und wenn man die Rechner von damals betrachtet, wundert man sich, was man überhaupt schon machen konnte und dass man sich das zugetraut hat. Es hat dann ja auch lange gedauert bis Anfang der 80er-Jahre, bis man wirklich Ergebnisse hatte, die dann auch praktisch verwendbar waren."

    Zwischen Faszination und Schrecken

    In den 1980er-Jahren dann revolutionierten die integrierten Schaltkreise, die Mikrochips, die Computertechnik. Enorme Fortschritte bei den Großrechnern und auch die Einführung der Personal-Computer brachten die Künstliche Intelligenz-Forschung auf einen Höhepunkt. Die Robotik-Forscher gaben den Takt an und entwarfen faszinierende und zugleich erschreckende Szenarien von Homunculi, von künstlichen Menschen. Einige von ihnen träumten sogar davon, das menschliche Gehirn in einen künstlichen Speicher übertragen und sich so vom als lästig empfundenen menschlichen Körper befreien zu können. Das rief Kritiker auf den Plan, etwa den renommierten deutsch-amerikanischen Computer-Wissenschaftler Joseph Weizenbaum:
    "Ich erinnere mich, dass der Mord von Millionen von Menschen in Europa nicht möglich gewesen wäre, hätte man nicht angefangen, indem man diese Menschen Ungeziefer genannt hat, also wertlos. Und jetzt erklärt dieser große Teil, der führende Teil der Künstlichen Intelligenz Community in Amerika, dass eben die menschliche Intelligenz schon am Ende ist, überflüssig wird. Und es wird nicht so schlimm sein, wenn das alles kaputt geht."
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