Mahatma Gandhi: "It is complete independence that we want." Immer wieder forderte Mahatma Gandhi, seit Anfang des 20. Jahrhunderts Anführer der indischen Unabhängigkeitsbewegung, die völlige Loslösung vom britischen Empire, doch zunächst vergeblich. Erst als die Inder nach dem Ersten Weltkrieg massiv gegen die Kolonialherren aufbegehrten und die Zusammenarbeit verweigerten, war die britische Regierung zu Zugeständnissen bereit: Zehn Prozent der erwachsenen Männer erhielten das Wahlrecht, die Provinzen bekamen erweiterte Kompetenzen.
Der Indien-Experte Michael Mann von der Berliner Humboldt-Universität über die sogenannten Montford-Reformen von 1921:
Der Indien-Experte Michael Mann von der Berliner Humboldt-Universität über die sogenannten Montford-Reformen von 1921:
"Es war der Versuch, mittels demokratischer Elemente einen indischen Verfassungsstaat hinzustellen, der aber ohne Zweifel als Teil des Britischen Empires bestehen bleiben sollte, weil am Grundprinzip der Ordnung, nämlich dass der Generalgouverneur die Vollmacht hat inklusive Vetorecht, wurde überhaupt nicht gerüttelt."
London sah sich zu Verhandlungen gezwungen
Die Kongresspartei mit Mahatma Gandhi an der Spitze rief zu weiteren gewaltfreien Protesten gegen koloniale Abhängigkeit, Ausbeutung und Repressionen auf. London sah sich zu Verhandlungen über konstitutionelle Reformen gezwungen.
Michael Mann: "Der Government of India Act von 1935 ist ein Versuch der britischen Regierung in London, dem indischen Nationalkongress bzw. der Unabhängigkeitsbewegung ein wenig den Wind aus den Segeln zu nehmen."
Doch nach dem Zweiten Weltkrieg verschärften sich die Gegensätze und damit auch die Kosten für das britische Empire, so dass in London die Einsicht wuchs, Indien in die Unabhängigkeit zu entlassen. Im Sommer 1946 wählten die Provinzparlamente eine verfassunggebende Versammlung, die erstmals im Dezember zusammentrat.
Ramji Ambedkar, einer der Väter der indischen Verfassung, appellierte an die Abgeordneten:
Ramji Ambedkar, einer der Väter der indischen Verfassung, appellierte an die Abgeordneten:
"Lasst die Worte beiseite, die Menschen verunsichern, lasst uns Rücksicht nehmen auf die Vorurteile unserer politischen Gegner. Nehmt sie mit ins Boot, so dass sie uns auf unserem Weg begleiten, bis unser langer Marsch uns schließlich zur Einheit führen wird."
Während die Abgeordneten über die Verfassung berieten, erlangte Indien am 15. August 1947 seine Unabhängigkeit. Jawaharlal Nehru, der erste Ministerpräsident, trat in Neu-Delhi vor die verfassunggebende Versammlung.
"Vor vielen Jahren hatten wir ein Stelldichein mit dem Schicksal. Und jetzt ist die Zeit gekommen, unseren Schwur einzulösen. Um Mitternacht, wenn die Welt schläft, erwacht Indien zum Leben und zur Freiheit."
Frankreich und USA als Vorbilder
Knapp drei Jahre berieten die Abgeordneten über die Verfassung, die im Wesentlichen auf dem Government of India Act basierte. Am 26. November 1949 verabschiedete die Versammlung das Gesetzeswerk, beginnend mit der Präambel:
"Wir, das Volk Indiens, (sind) feierlich entschlossen, Indien als souveräne, demokratische Republik zu konstituieren und allen seinen Bürgern soziale, wirtschaftliche und politische Gerechtigkeit, Freiheit des Denkens, der Meinungsäußerung, des Glaubens und der religiösen Verehrung zu sichern."
Mit 395 Artikeln eine der umfangreichsten weltweit, bekannte sich die Verfassung zu Gewaltenteilung, Föderalismus und den allgemeinen Menschenrechten. Der Historiker Michael Mann über Vorbilder:
"Das eine war ganz generell Frankreich mit seinen revolutionären Prinzipien Ėgalité, Liberté und Fraternité. Das zweite war, dass man eine bundesstaatliche Verfassung nach dem Modell der USA konstruiert hat." Am 26. Januar 1950 trat die Verfassung in Kraft, dem Tag, an dem der Indische Nationalkongress 20 Jahre zuvor erstmals die Unabhängigkeit gefordert hatte.
Wie bei allen Verfassungen klaffte auch bei der indischen eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit.
Wie bei allen Verfassungen klaffte auch bei der indischen eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit.
Michael Mann: "Es ist eine durchaus moderne Verfassung, aber hatte mit den gesellschaftlichen Situationen 1946 oder 49/50 noch nicht viel zu tun. Und an der Stelle ist nicht die indische Verfassung eine Baustelle, sondern die Politik."
So kann die Verfassung bis heute nicht allen Inderinnen und Indern die proklamierte Gleichberechtigung und Chancengleichheit, soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit, einen auskömmlichen Lebensstandard und das Recht auf Bildung und Arbeit garantieren.