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Vor 70 Jahren
Auf dem Weg zu einer wehrhaften Demokratie

Der Zweite Weltkrieg war knapp dreieinhalb Jahre vorbei, als 61 Männer und vier Frauen im Bonner Museum König die Beratungen für ein Grundgesetz aufnahmen. Der so genannte Parlamentarische Rat sollte eine stabile demokratische Verfassung für eine westdeutsche Republik vorlegen.

Von Otto Langels |
    Erste Tagung des Parlamentarischen Rates am Nachmittag des 1. September 1948 in Bonn: Neben den 65 stimmberechtigten Mitgliedern aus westdeutschen Ländern nahmen Vertreter Berlins mit beratender Stimme an der Sitzung teil. In der ersten Reihe von links nach rechts: Max Reimann, KPD; Walter Menzel, SPD; Carlo Schmid, SPD; Theodor Heuss, FDP; Hans-Christoph Seebohm, DP; unbekannt; Adolf Suesterhenn, CDU; Anton Pfeiffer, CDU; Konrad Adenauer, CDU
    Erste Tagung des Parlamentarischen Rates am Nachmittag des 1. September 1948 in Bonn: Neben den 65 stimmberechtigten Mitgliedern aus westdeutschen Ländern nahmen Vertreter Berlins mit beratender Stimme an der Sitzung teil. (picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
    "Gleich neben mir sind vielleicht vier, fünf Herren damit beschäftigt, eine 4,50 Meter lange Giraffe hinter einem großen Holzverschlag verschwinden zu lassen."
    Bevor der Parlamentarische Rat am 1. September 1948 im Zoologischen Museum König in Bonn zusammenkam, mussten die im Lichthof stehenden präparierten Giraffen verhüllt werden, um den offiziellen Charakter der Eröffnungsfeier nicht zu stören. Das Museum war für den Festakt ausgewählt worden, weil kein anderes repräsentatives Gebäude zur Verfügung stand.
    Experten aus Justiz und Politik hatten Entwurf geliefert
    Ein halbes Jahr zuvor hatten die Westalliierten USA, Großbritannien und Frankreich in London die Gründung eines deutschen Teilstaates in ihren Besatzungszonen beschlossen, verbunden mit dem Auftrag, eine entsprechende Verfassung auszuarbeiten. Rund 30 Experten aus Justiz und Politik kamen daraufhin im August 1948 auf der Herreninsel im Chiemsee zusammen, um einen Entwurf zu formulieren. Am 23. August veröffentlichte der Konvent ein Grundgesetz mit 149 Artikeln als Vorlage für den Parlamentarischen Rat.
    61 Männer und nur vier Frauen waren in den elf westdeutschen Landtagen gewählt worden, um die demokratische Verfassung eines Rechtsstaates zu entwerfen. Dem Gremium gehörten je 27 Abgeordnete der CDU/CSU bzw. der SPD an, 5 der FDP und je zwei der KPD, der Deutschen Partei und dem Zentrum. Zum Vorsitzenden wurde mit großer Mehrheit der Christdemokrat Konrad Adenauer gewählt, der spätere Bundeskanzler.
    "Wir gehen an unsere Arbeit in der festen und unerschütterlichen Absicht, auf diesem Wege wieder zur Einheit von ganz Deutschland, der Einheit, die unser Ziel ist und unser Ziel bleibt, zu gelangen."
    Der Appell Konrad Adenauers zur Einheit entbehrte freilich jeder Realität, denn faktisch vertiefte die Gründung einer westdeutschen Republik die sich ohnehin abzeichnende Teilung Deutschlands.
    Der KPD-Vorsitzende Max Reimann, gewissermaßen Sprachrohr des Ost-Berliner SED-Regimes für die drei Westzonen:
    "Der Parlamentarische Rat ist zusammengesetzt worden, um einen westdeutschen Staat zu schaffen und diesem westdeutschen Staat eine Verfassung zu geben. Somit wird Deutschland gespalten."
    Staatsgründung unter der Kontrolle der Westalliierten
    Der Parlamentarische Rat vermied zwar das Wort Verfassung, faktisch aber bereitete er eine Staatsgründung mit eigenem Grundgesetz unter der Kontrolle der Westalliierten vor.
    Das Scheitern der Weimarer Republik und den Terror des NS-Regimes vor Augen, sollten in der Bundesrepublik die Rechte des Einzelnen das Grundgesetz regieren, so der Sozialdemokrat Carlo Schmid, Vorsitzender des wichtigen Hauptausschusses:
    "Diese Grundrechte sollen nicht bloße Deklamationen, Deklarationen oder Direktiven sein, sondern unmittelbar geltendes Bundesrecht. Jeder einzelne Deutsche soll vor den Gerichten Klage erheben können."
    Dementsprechend waren unveränderliche Grundrechte vorgesehen, darunter die Menschenwürde, die Freiheit der Person und die Gleichheit vor dem Gesetz sowie das Demokratie-, Bundesstaats-, Sozialstaats- und Rechtsstaatsprinzip. Die Regierung sollte vom Vertrauen des Parlaments abhängen und das Staatsoberhaupt in seinen Machtbefugnissen stark eingeschränkt sein.
    "Jeder einzelne Deutsche soll vor den Gerichten Klage erheben können"
    Eine klare Gewaltenteilung und unabhängige Rechtsprechung betrachtete der Parlamentarische Rat als Ausdruck einer wehrhaften Demokratie. Wenig Interesse fand die Arbeit des Parlamentarischen Rates allerdings in der Bevölkerung, wie sich der Abgeordnete Hans-Heinz Bauer später erinnerte:
    "Mit Verfassung haben Sie keinen Wähler hinterm Ofen hervorgelockt. Die Leute haben sich interessiert für Fortkommen im Beruf, für Arbeitsplatz und Bekleidung, Behausung, Ernährung, das waren die Probleme."
    Nach achtmonatigen Beratungen verabschiedete der Parlamentarische Rat am 8. Mai 1949, genau vier Jahre nach dem Ende des NS-Regimes, das Grundgesetz mit 53 gegen 12 Stimmen. Gegen die Annahme votierten die Abgeordneten von KPD, Zentrum und Deutscher Partei sowie sechs der acht CSU-Vertreter.
    In der zwölften und letzten Sitzung des Parlamentarischen Rates am 23. Mai konnte Konrad Adenauer dann mitteilen:
    "Heute wird nach der Unterzeichnung und Verkündung des Grundgesetzes die Bundesrepublik Deutschland in die Geschichte eintreten."