Deutschland im Herbst 1950. In der Bundesrepublik wird heftig über die Wiederbewaffnung diskutiert – auch an den Universitäten. Für die beiden Heidelberger Studenten, René Leudesdorff, Theologe, und Georg von Hatzfeld, Soziologe, ist klar, dass sie ein Zeichen gegen die Remilitarisierung setzen wollen. Ihr Ziel: Helgoland. Die von den Nationalsozialisten zu einer Festung ausgebaute Insel wird auch fünf Jahre nach Ende des Krieges von der britischen Luftwaffe als Bombenabwurfplatz genutzt. Ohne lange zu zögern, machen sich die beiden auf nach Norddeutschland, erinnerte sich Georg von Hatzfeld später in einem Interview:
"Während Leudesdorff die Fahnen besorgte – keine Demonstration ohne Fahnen -, fuhr ich nach Pinneberg, zum zuständigen Landrat. Ich sagte ihm: Herr Landrat, wir fahren nächste Woche nach Helgoland, um Ihnen Helgoland wiederzubringen. Der Landrat reagierte sehr böse. Er sagte: ‚Ich habe seit drei Jahren wegen Helgoland verhandelt, stören Sie meine Verhandlungen nicht, fahren Sie zurück nach Heidelberg.‘"
Reporter: "Was haben Sie gesagt?"
Hatzfeld: "Ich stand auf und sagte, Herr Landrat, ich danke Ihnen, wir fahren."
"Während Leudesdorff die Fahnen besorgte – keine Demonstration ohne Fahnen -, fuhr ich nach Pinneberg, zum zuständigen Landrat. Ich sagte ihm: Herr Landrat, wir fahren nächste Woche nach Helgoland, um Ihnen Helgoland wiederzubringen. Der Landrat reagierte sehr böse. Er sagte: ‚Ich habe seit drei Jahren wegen Helgoland verhandelt, stören Sie meine Verhandlungen nicht, fahren Sie zurück nach Heidelberg.‘"
Reporter: "Was haben Sie gesagt?"
Hatzfeld: "Ich stand auf und sagte, Herr Landrat, ich danke Ihnen, wir fahren."
Die Briten ließen sie gewähren
Und so setzen die Studenten am Morgen des 20. Dezember 1950 mit einem Fischkutter nach Helgoland über, so der Kieler Historiker Martin Krieger:
"Leudesdorff und Hatzfeld, gemeinsam mit zwei Frankfurter Journalisten, betreten die Insel, begegnen britischen Soldaten und sagen denen: ‚Yes, we are Journalists, we want to see, what is here.‘ Von dieser symbolischen Aktion sagten die natürlich nichts, und die Briten lassen die gewähren. Die bekommen die Auflage, abends wieder zurückzufahren, weil dann die Bomben wieder hageln würden, aber man blieb zwei Tage und machte dann eben dieses symbolische Foto vor dem alten Flakturm, an einem alten Rohr, die Europaflagge und die Deutschlandflagge."
"Leudesdorff und Hatzfeld, gemeinsam mit zwei Frankfurter Journalisten, betreten die Insel, begegnen britischen Soldaten und sagen denen: ‚Yes, we are Journalists, we want to see, what is here.‘ Von dieser symbolischen Aktion sagten die natürlich nichts, und die Briten lassen die gewähren. Die bekommen die Auflage, abends wieder zurückzufahren, weil dann die Bomben wieder hageln würden, aber man blieb zwei Tage und machte dann eben dieses symbolische Foto vor dem alten Flakturm, an einem alten Rohr, die Europaflagge und die Deutschlandflagge."
Kalkuliertes Medienecho
Zurück auf dem Festland werden die beiden von der Polizei vernommen – und wieder freigelassen. Kurz nach Heiligabend machen sie sich erneut auf den Weg, so Martin Krieger:
"Am zweiten Weihnachtstag ging es dann ein zweites Mal auf die Insel, und das Medienecho, die Resonanz der Öffentlichkeit, wurde immer größer. Es war natürlich auch ein Zeitungsloch über die Weihnachtstage. Es gab nicht viel Nachrichten, und sehr geschickt nutzten die beiden Studenten dann auch diese Lücke, um Aufmerksamkeit zu erregen."
"Am zweiten Weihnachtstag ging es dann ein zweites Mal auf die Insel, und das Medienecho, die Resonanz der Öffentlichkeit, wurde immer größer. Es war natürlich auch ein Zeitungsloch über die Weihnachtstage. Es gab nicht viel Nachrichten, und sehr geschickt nutzten die beiden Studenten dann auch diese Lücke, um Aufmerksamkeit zu erregen."
"Die Insel der Deutschen" war kaum je deutsch
Als die Besetzer und einige ihrer Unterstützer die Insel am 3. Januar wieder verlassen, ist die Presse längst auf ihrer Seite. "Wir weichen der Gewalt", titelt der Spiegel, und auch im Ausland ernten die Briten für ihre Bombenabwürfe immer mehr Kritik. Helgoland müsse den Deutschen zurückgegeben werden, so der Tenor, obwohl die Insel in der Geschichte kaum deutsch war, so Historiker Krieger:
"Die Insel gehörte vor Jahrhunderten zum Herzogtum Schleswig-Holstein-Gottorf, dann war sie dänisch, im 19. Jahrhundert wird sie britisch. Und trotzdem, durch diesen Tourismus, durch die vielen Schriftsteller, Gelehrten, die Jahr für Jahr, selbst zur britischen Zeit, auf die Insel reisten, entwickelt sich Helgoland zum Erinnerungsort ersten Ranges, zum deutschen Nationalsymbol, das ist wirklich bemerkenswert, weil die Insel nie zu Deutschland gehört hatte, bis 1890."
Lange Bombenabwurfgelände der Royal Air Force
Im August 1890 hatte Großbritannien die Insel im Rahmen des Helgoland-Sansibar-Vertrags an Deutschland übergeben – zur Melodie jenes "Lieds der Deutschen", das Hoffmann von Fallersleben 50 Jahre zuvor auf Helgoland geschrieben hatte.
In London wusste man um die symbolische Bedeutung der Insel, doch die Regierung war gespalten, erklärt Martin Krieger.
"Während das Außenministerium, das Foreign Office, Premierminister Attlee, alle sagten, wir müssen die Insel zurückgeben, das ist ein Nationalsymbol der Deutschen, sagte die Royal Air Force: Nein, wir brauchen Helgoland weiter als Bombenabwurfgelände, da gibt es keine Alternative. Also es war nicht so ein deutsch gegen britisch, sondern das Problem war, wie kriegen wir die Royal Air Force rum, dass sie am Ende auch bereit ist, von diesen Bombenabwürfen abzusehen."
Die Wiederbewaffnung verhinderten Hatzfeld und Leudesdorff nicht
Den Ausschlag gab schließlich der Kalte Krieg. Um die Bundesbürger an den Westen zu binden, war Großbritannien bereit, auf Helgoland zu verzichten. Am 1. März 1952 wurde die Insel feierlich an die Bundesrepublik zurückgegeben. Die Helgoländer, die am Ende des Krieges evakuiert worden waren, konnten zurückkehren und begannen mit dem Wiederaufbau ihrer zerstörten Häuser. Die beiden Heidelberger Studenten hatten ihr Ziel allerdings nur zum Teil erreicht. Helgoland war zwar kein Militärobjekt mehr, doch die Wiederbewaffnung Deutschlands konnten sie nicht verhindern: Im Mai 1955 trat die Bundesrepublik der NATO bei, ein halbes Jahr später wurde die Bundeswehr gegründet.