Archiv

Vor 70 Jahren
Das Flüchtlingsschiff "Exodus" bricht nach Palästina auf

Nach dem Holocaust sahen sich viele Juden gezwungen, Europa in Richtung Palästina zu verlassen. Die britischen Mandatsträger waren allerdings fest entschlossen, die Flüchtlinge aufzuhalten. Der Konflikt um die "Exodus" ist besonders dramatisch - und gilt zudem als Wendepunkt für die Entstehung Israels.

Von Matthias Bertsch |
    Britische Soldaten mit weißen Helmen bahnen sich unter Anwendung von Tränengas ihren Weg auf dem Schiff. Mehrere tausend Juden waren am 11. Juli auf der "Exodus 1947" und anderen Schiffen von Frankreich aus ins unter britischem Mandat stehende Gelobte Land aufgebrochen. Bei dem Versuch, die britische Sperre um Palästina zu durchbrechen, wurde die Exodus am 18. Juli 1947 auf dem Mittelmeer von der britischen Armee gestoppt. Die "Exodus 1947" (vormals "Präsident Warfield") wurde anschließend von der britischen Marine in den Hafen von Haifa gebracht.
    Dramatische Flucht: Als die Holocaust-Überlebenden Palästina erreicht hatten, wurden sie von britischen Soldaten übermannt - und zu ihrem Entsetzen erneut deportiert. (picture-alliance / dpa)
    "Der Staat Israel entstand nicht am 15. Mai 1948, als man ihn im Tel-Aviv-Museum offiziell ausrief. Er wurde bereits ein knappes Jahr zuvor geboren, am 18. Juli 1947, als ein verwundetes, schwer angeschlagenes amerikanisches Schiff namens President Warfield, umbenannt in Exodus, in den Hafen von Haifa einlief, während aus seinen Lautsprechern die Klänge der HaTikwa drangen."
    Mit diesen Worten beginnt das Buch "Und das Meer teilte sich. Der Kommandant der Exodus", in dem der israelische Schriftsteller Yoram Kaniuk die Geschichte der Exodus beschreibt. Das Schiff mit 4.500 Holocaust-Überlebenden an Bord war eines von vielen, mit denen die zionistische Untergrundorganisation Haganah seit Mitte der 30er Jahre versuchte, Juden aus Europa nach Palästina zu bringen – gegen den Willen Großbritanniens. Nach gewalttätigen Protesten der arabischen Bevölkerung hatten die Briten die jüdische Einwanderung nach Palästina weitgehend gestoppt, betont der Historiker Arnd Bauerkämper von der Freien Universität Berlin.
    Britische Versprechen für Juden und Araber
    "Die Briten saßen als Mandatsmacht so zwischen zwei Stühlen: Einerseits hatten sie im Ersten Weltkrieg ja den Juden mit der Balfour-Deklaration von 1917 eine jüdische Heimstatt versprochen, andererseits hatten sie, auch dies schon im Ersten Weltkrieg, den Arabern auch nationale Unabhängigkeit versprochen, um sie damit zu gewinnen [für] den Kampf gegen das Osmanische Reich. Und dieser Konflikt zog sich dann in die Zwischenkriegszeit, in die 20er und 30er Jahre, also. In den 30er Jahren gab es auch schon sehr, sehr viele Schiffe, die von den Briten in der Regel abgewiesen wurden."
    Die President Warfield war ein besonders spektakulärer Fall. 1927 in den USA gebaut, diente sie zunächst als Vergnügungsdampfer und Truppentransporter. Nach dem Krieg landete sie auf einem Schiffsfriedhof in Baltimore, wo sie von der Haganah aufgekauft und umgebaut wurde. Über Umwege gelangte das Schiff in den französischen Mittelmeerhafen Sète. Dort gingen jüdische Flüchtlinge aus ganz Europa an Bord – darunter viele Frauen und Kinder –, bevor die President Warfield am frühen Morgen des 11. Juli 1947 in See stach.
    Vergebliche Versuche, das Schiff zu stoppen
    Unterwegs wurde sie in Exodus umbenannt – eine Anspielung auf den biblischen Auszug der Juden aus Ägypten. Nachdem die britische Regierung vergeblich versucht hatte, das Auslaufen des Schiffes zu verhindern, folgte sie ihm durch das Mittelmeer, so der inzwischen verstorbene Kapitän der Exodus, Ike Aronowicz.
    "Es war sehr interessant: Die ganze Strecke, da waren sechs Zerstörer mit uns und ein großes Battleship, und wir haben sie ausgelacht. Wir sagten, wir werden ankommen, macht nichts."
    Aus der Fahrt war längst ein Politikum geworden, das weltweit verfolgt wurde, wie Arnd Bauerkämper erklärt:
    "Sehr viele Leute fragten sich, was passiert jetzt eigentlich mit diesem Schiff, wie reagieren die Briten, kommt es zu Auseinandersetzungen. Und tatsächlich haben die Briten ja auch versucht, dieses Schiff zu entern. Es gab ja mehrere Versuche, die sind auch dann abgewehrt worden, es gab Kämpfe zwischen den Flüchtlingen und britischen Seeleuten."
    Stürmung des Schiffes
    Kurz vor der Landung in Haifa ließ die britische Regierung die Exodus schließlich rammen und stürmen, gegen die Soldaten hatten die mit Dosen und Brettern bewaffneten Flüchtlinge keine Chance. Doch wohin mit den unerwünschten Migranten? Arnd Bauerkämper:
    "Ein Problem war, dass verschiedene Ankunftsländer sich weigerten sozusagen, diese große Zahl von jüdischen Siedlern anzunehmen. Das muss man ja sagen: Die jüdischen Siedler waren eben auch nicht nur in Deutschland unbeliebt, sondern eben an manchen anderen Orten Europas auch, das wissen wir auch aus der Forschung über die Rückkehr von überlebenden Juden, die also nach Frankreich oder in die Niederlande kamen. Auch dort sind sie keineswegs überall mit offenen Armen empfangen worden."
    Zurück nach Deutschland
    Und so landeten die Holocaust-Überlebenden schließlich dort, wo sie auf keinen Fall hinwollten: in Deutschland. Unter Einsatz von Schlagstöcken wurden sie in ein britisches Lager für Displaced Persons in der Nähe von Lübeck gebracht, das mit seinen Wachtürmen an ein KZ erinnerte. Die Bilder gingen um die Welt und zwangen die Briten, die Flüchtlinge wieder freizulassen. Im November 1947 stimmte eine Mehrheit der Vereinten Nationen der Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat zu, sechs Monate später wurde der Staat Israel ausgerufen.