"Im Auftrage der UN wurden bis heute 100 Millionen Kinder gegen Tuberkulose geimpft. Können Sie sich das vorstellen?"
1949 rühmte dieses Radiofeature die Leistungen von Unicef. Die Sendung sollte den Deutschen die Idee der noch jungen UNO nahebringen.
"100 Millionen Kinder! Glauben Sie nun, dass nur eine Weltorganisation den Kampf gegen die Krankheit aufnehmen kann? Für die Menschheit?"
Elend der Kinder im Nachkriegseuropa lindern
Am 11. Dezember 1946 hatte die Generalversammlung der Vereinten Nationen das Hilfswerk gegründet. Man wollte dem Elend der Kinder im hungernden Nachkriegseuropa nicht tatenlos zusehen. Getreu dem Unicef-Grundsatz "Es gibt keine feindlichen Kinder".
"Nur dürfen wir ja nicht vergessen, dass wir mit diejenigen waren, die die meiste Hilfe von Unicef nach dem Krieg bezogen haben."
Ilse Demme leitete nach dem Krieg die Verteilung der Unicef-Spenden in Berlin. 1966 wurde sie zu ihrer damaligen Arbeit interviewt:
Illse Demme "Dass unsere heutigen jungen Mütter und Väter sicherlich nicht so gesund aufgewachsen wären, wenn sie nicht durch die Hilfe von Unicef von Lebertran, Streptomycin und Milchpulver angefangen bis zu Mädchenmänteln - über 42.000 Mädchenmäntel und über 37.000 Knabenmäntel ..." - Interviewer: "Diese Mäntel kamen in Paketen mit der Aufschrift ‚Unicef‘ für Deutschland hierher?" - Ilse Demme: "Oh nein, weder die Mäntel noch die Schuhe noch irgendetwas anderes, sondern sie kamen als Rohmaterial nach Deutschland, weil Sie ja nicht vergessen dürfen, dass in dieser Zeit eine große Arbeitslosigkeit in Deutschland herrschte und wir froh waren, dass wir damit auch Menschen in die Produktion bringen konnten. Das ist ja überhaupt bei Unicef so: immer Hilfe zur Selbsthilfe."
Unicef sollte wieder abgeschafft werden
Eigentlich sollte Unicef 1950 wieder abgeschafft werden, war die erste humanitäre Mission doch erfüllt. Aber schon bald gerieten die ärmsten Länder Afrikas, Asiens und Lateinamerikas in den Blick. Einstimmig verlängerte die Generalversammlung den Einsatz, und 1953 wurde das Kinderhilfswerk zu einer permanenten Einrichtung der Vereinten Nationen ernannt. Im gleichen Jahr entstand auch in Westdeutschland eine Unicef-Sektion. Die damalige Leiterin Etta von Waldersee appellierte an ihre Landsleute, nun von Empfängern zu großzügigen Spendern zu werden.
"Sollten wir nicht aus unserer jetzigen Fülle heraus, aber auch aus der Erinnerung an vergangene eigene Not, versuchen, unsere Herzen aufzuschließen für das Elend der Kinder in den Entwicklungsländern, das so fern scheint und doch so nah ist, seit die Welt so klein geworden ist?"
Bis heute finanziert sich Unicef über freiwillige Regierungsbeiträge, private Spenden und den Verkauf von Unicef-Grußkarten, die besonders jetzt vor Weihnachten überall angeboten werden. 7.000 Mitarbeiter und 40.000 freiwillige Helfer sind heute in über 160 Ländern im Einsatz.
Positive Bilanz
Die Bilanz ihrer Arbeit kann sich sehen lassen: Die Kindersterblichkeit ist in den letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen, Impfprogramme haben Krankheiten besiegt, immer mehr Kinder können zur Schule gehen. Unicef kämpft gegen Aids, gegen die Beschneidung von Mädchen, gegen Kinderprostitution, gegen die Folgen von Naturkatastrophen und, immer wieder, gegen das Leid, das Kriege anrichten.
"Ich sehe das heute noch, wie ich durch das brennende Frankfurt getragen wurde von meiner Mutter. Und ich weiß auch, wie die Deutschen nachließen, die Flüchtlinge aus dem Osten aufzunehmen und sagten: ‚Wir sind voll, wir können keine mehr nehmen.‘ Und am Ende hatten wir, glaube ich, 15 Millionen Flüchtlinge. Und sie sind alle integriert."
Jürgen Haereus ist Jahrgang 1936 und Vorsitzender von Unicef Deutschland. Im Juli stellte er der Presse den Unicef-Report 2016 vor und verglich die mangelnde Aufnahmebereitschaft nach dem Zweiten Weltkrieg mit der heutigen Stimmungslage. 250 Millionen Kinder, so viele wie nie zuvor, sind heute von den Folgen von Konflikten, Krisen und Naturkatastrophen betroffen.
Neue Ära humanitärer Krisen
Weltweit sind 50 Millionen Kinder wegen Gewalt und Armut auf der Flucht. Entwicklungsminister Peter Müller spricht angesichts der erschütternden Jahresbilanz von einer neuen Ära humanitärer Krisen, die uns alle in die Verantwortung nehmen sollte. Aber:
"Not und Elend ist grenzenlos, aber die Bilder ziehen an uns vorbei, und wir stumpfen leider ein Stück ab."