Archiv

Vor 70 Jahren
Der Parlamentarische Rat verkündete das Grundgesetz

Das Grundgesetz ist die geltende Verfassung in Deutschland und damit die rechtliche und politische Grundordnung der Bundesrepublik. Beschlossen wurde es am 23. Mai 1949 vom Parlamentarischen Rat in Bonn, einen Tag später trat es in Kraft. Der bayerische Landtag lehnte das Gesetz ab.

Von Otto Langels |
    Prof. Ernst Reuter, Oberbürgermeister und Abgeordneter im parlamentarischen Rat der Stadt Berlin, bei der Unterzeichnung des Grundgesetzes. In der ersten Reihe von rechts nach links: Dr. Hans Christoph Seebohm, Minister a. D. (DP Niedersachsen), Prof. Theodor Heuss (FDP Baden-Württemberg) und Paul Loebe, Reichstagspräsident a. D. (SPD Berlin).
    Genau um 17 Uhr wurde am 23. Mai 1949 in Bonn das Grundgesetz unterzeichnet. (picture alliance/dpa/AP-Photo/Hanns J. Jaeger)
    "Einziger Punkt der Tagesordnung ist: Feststellung der Annahme, Ausfertigung und Verkündigung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland."
    Mit diesen Worten eröffnete Konrad Adenauer die zwölfte und letzte Sitzung des Parlamentarischen Rates am 23. Mai 1949.
    Ein Dreivierteljahr zuvor waren in den westdeutschen Landtagen 65 Abgeordnete gewählt und nach Bonn entsandt worden, um die Verfassung eines Rechtsstaates auszuarbeiten.
    "Überall wird in Bonn fieberhaft gearbeitet. Man rüstet für den Arbeitsbeginn der Abgeordneten, die mit rund 100 Bürokräften und 12 Büros drei Monate lang in den Mauern der Stadt ein ungewohnt geschäftiges, parlamentarisch-politisches Leben entfalten werden."
    Menschenwürde und die Rechte des Einzelnen
    Aus den drei Monaten wurden schließlich acht, in denen der Parlamentarische Rat die Grundzüge einer demokratischen Verfassung beriet. Das Scheitern der Weimarer Republik und den Terror des NS-Regimes vor Augen, sollten in der Bundesrepublik die Menschenwürde und die Rechte des Einzelnen hervorgehoben werden. Der Publizist Christian Bommarius:
    "Das Grundgesetz kam nicht aus dem Nichts, sondern es gab Vorarbeiten durch die Emigration, es gab Vorarbeiten durch den Widerstand, der ‚Kreisauer Kreis‘ um Moltke. Von überall her kamen relativ übereinstimmende Vorstellungen, auch über den Menschenwürde-Schutz."
    Nicht zufällig stand schließlich die Würde des Menschen als Artikel 1 an oberster Stelle im Grundgesetz, gefolgt von 18 unveräußerlichen, dauerhaften und einklagbaren Grundrechten, darunter die Freiheit der Person, die Gleichberechtigung, die Meinungs-, Glaubens- und Versammlungsfreiheit.
    Der Weg für ein einheitliches Deutschland
    Von der Sorge getrieben, die Spaltung zwischen Ost- und Westdeutschland nicht weiter zu vertiefen, appellierte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Karl Arnold an die Versammlung:
    "Ihre Arbeit, meine verehrten Abgeordneten, muss geleitet sein von dem Willen, einem neuen einheitlichen Deutschland den Weg zu bahnen."
    Der Parlamentarische Rat vermied deshalb bewusst den Begriff Verfassung und betonte den vorläufigen Charakter des Gesetzentwurfs. Denn nahezu zeitgleich hatte in der Sowjetischen Besatzungszone der dritte Deutsche Volkskongress eine ostdeutsche Verfassung erarbeitet. Sie bildete für vier Jahrzehnte die rechtliche Grundordnung der DDR, bis am 3. Oktober 1990 mit der deutschen Einheit das Grundgesetz zur gesamtdeutschen Verfassung wurde.
    Widerstand aus Bayern
    Am 8. Mai 1949, dem vierten Jahrestag der Kapitulation, verabschiedete der Parlamentarische Rat das Grundgesetz mit 53 gegen zwölf Stimmen. Vier Tage später wurde es von den drei westlichen Alliierten bestätigt und danach von den elf westdeutschen Landtagen ratifiziert. Nur in Bayern regte sich massiver Widerstand gegen den angeblich zu großen Einfluss des Bundes. Der bayerische Abgeordnete im Parlamentarischen Rat Thomas Dehler versuchte, die Bedenken zu zerstreuen.
    "Wir haben den Bundesrat mit weitgehenden Vollmachten ausgestattet, die gesamte Verwaltung liegt bei den Ländern, es ist kein Grund, Klagen zu erheben."
    Dehlers Hinweise verhallten ungehört. Der bayerische Landtag lehnte das Grundgesetz als zu zentralistisch ab, ein letztlich symbolischer Akt ohne negative Folgen für die Verfassung wie für den Freistaat.
    "Ein neuer Abschnitt in der wechselvollen Geschichte"
    Die Bonner Beratungen im Parlamentarischen Rat waren - trotz mancher Differenzen hinsichtlich der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern, der Finanzverfassung und der Gestaltung der Sozial- und Wirtschaftsordnung – getragen von einem Grundkonsens aller relevanten Parteien. Anders als die Weimarer Verfassung wurde das Grundgesetz als politischer Neuanfang weitgehend akzeptiert.
    "Und jetzt beginnt die feierliche Unterzeichnung des Grundgesetzes. Als erster begibt sich Ratspräsident Dr. Konrad Adenauer an den Tisch und energisch setzt er seinen Namen unter das Dokument."
    Anschließend trat Konrad Adenauer, der spätere erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, ans Mikrofon.
    "Heute, am 23. Mai 1949, beginnt ein neuer Abschnitt in der wechselvollen Geschichte unseres Volkes: Heute wird die Bundesrepublik Deutschland in die Geschichte eintreten. Wer die Jahre seit 1933 bewusst erlebt hat, der denkt bewegten Herzens daran, dass heute das neue Deutschland ersteht."