Bei den Wahlen zur 5. Großen Nationalversammlung haben zum ersten Male die Frauen mitgestimmt... Unter den gewählten rund 400 Abgeordneten befinden sich 17 Frauen....
Die Mitteilung wäre gänzlich unspektakulär, wenn sie nicht unter der Rubrik "Türkei" stehen würde. Mitte der 1930er-Jahre war das aktive und passive Wahlrecht für Frauen keine Selbstverständlichkeit, nicht einmal für westliche Demokratien. In Frankreich wurde es erst 1944 eingeführt. Für ein islamisches Land war es eine avantgardistische Sache. Nur die sowjetische Republik Aserbaidschan hatte die staatsbürgerliche Gleichstellung bereits früher durchgesetzt. Doch dort geschah dies im Namen der proletarischen Internationalismus. Im türkischen Fall hingegen stand das Frauenwahlrecht im Zeichen des nationalen Aufbruchs.
Wir brauchen Menschen mit anderer Mentalität und Reife. Und die Menschen werden durch die nachfolgenden Mütter aufgezogen. Von jetzt an erziehen die Mütter solche Menschen, wie sie unsere neue Verfassung fordert.
So formulierte es Kemal Atatürk, der Gründer der modernen Türkei. Nachdem das Osmanische Reich im Ersten Weltkrieg den Todesstoß bekommen hatte, musste der geschrumpfte Nachfolgestaat zu aller erst ein nationales Bewusstsein produzieren. Das erforderte nicht weniger als den "neuen Menschen". Der neue Mensch aber war nach Atatürk nicht möglich ohne "die neue Frau". 1925 hatte der Staatsgründer – noch vor einem Männerparlament - seine Erlebnisse in der anatolischen Provinz wie folgt geschildert:
In einigen Orten in Anatolien habe ich gesehen, wie die Frauen ein Stück Stoff oder ein Handtuch über ihren Kopf zogen, um ihre Gesichter zu verbergen, wie sie sich umdrehen oder sich niederkauern, wenn ein Mann vorbeikommt. Was soll solches Verhalten? Meine Herren, können die Mütter und Töchter einer zivilisierten Nation so seltsame Manieren, ein so barbarisches Benehmen zeigen?
Eindrücke wie diese machten den Staatsgründer zum patriarchalischen Verfechter der Frauenrechte. Schon 1926 hatte er ein Gesetz veranlasst, das ein zeitgenössischer Kommentator als revolutionär bezeichnete:
Polygamie und das Verstoßen von Ehefrauen wurden verboten und durch Zivilehe, Ehescheidung und formale Gleichberechtigung von Mann und Frau abgelöst. Muslimische Frauen erhielten zum Entsetzen der übrigen islamischen Welt das Recht, nichtmuslimische Männer zu heiraten.
Auch diese Rechte wurden nicht von den Frauen erkämpft, sondern von oben eingeführt. Ein Geschenk aus der Hand Atatürks, des "Vaters der Türken". Dieser Ehrenname wurde dem Staatsgründer im November 1934 von der Großen Nationalversammlung verliehen, die 10 Tage später das Frauenwahlrecht beschloss.
Gleiche Rechte für Frauen sind in der Regel die Errungenschaft eines demokratischen Entwicklungsprozesses. Nicht so in der Türkei, wo der neue Staat streng und autoritär über die Gesellschaft herrschte. Wo Kemal Atatürk nicht nur Staatsoberhaupt war, sondern auch Parlamentspräsident und Führer der Einheitspartei. Von demokratischer Gewaltenteilung konnte also keine Rede sein, schreibt der türkische Soziologe Fikret Adamir:
Seinen Willen setzte Atatürk auch dahingehend durch, dass nur ins Parlament gewählt werden konnte, wer von ihm selbst nominiert wurden. Auf diese Weise verfügte Mustafa Kemal immer über überwältigende Mehrheiten, als Basis für seine Politik der vollendeten Tatsachen.
Auch die siebzehn Frauen, die am 6. Februar 1935 ins Parlament gewählt wurden, waren also Töchter Atatürks. Ihr erster Akt bestand darin, den Übervater zum 4. Mal zum Staatspräsidenten zu wählen. Die Frauenrechte waren eine Funktion des kemalistischen Systems. Deshalb spricht die Soziologin Medita Göbemli von einem "Staatsfeminismus", der auf ein ganz bestimmtes Frauenbild zielte:
Die Türkin sollte eine gebildete, national bewusste Frau sein, dazu eine aufopferungsbereite Mutter ihrer Kinder und Partnerin ihres Mannes. Die neue Frauengeneration der Republik hatte eine kollektive Identität, die persönliche Identität trat gegenüber der nationalen in den Hintergrund. Bevor die türkische Frau sich als Individuum begreifen konnte, hatte man sie zur Staatsbürgerin erklärt.
Die türkischen Frauen der 1930er-Jahre waren zwar gleichberechtigte Bürgerinnen, aber in der Familie galten weiter die traditionellen Rollen. Dass Atatürk ihnen das Wahlrecht schenkte, war zwar ein wichtiger Schritt, aber noch keine Befreiung. Die kann auch in der Türkei nur das Werk der Frauen sein.
Die Mitteilung wäre gänzlich unspektakulär, wenn sie nicht unter der Rubrik "Türkei" stehen würde. Mitte der 1930er-Jahre war das aktive und passive Wahlrecht für Frauen keine Selbstverständlichkeit, nicht einmal für westliche Demokratien. In Frankreich wurde es erst 1944 eingeführt. Für ein islamisches Land war es eine avantgardistische Sache. Nur die sowjetische Republik Aserbaidschan hatte die staatsbürgerliche Gleichstellung bereits früher durchgesetzt. Doch dort geschah dies im Namen der proletarischen Internationalismus. Im türkischen Fall hingegen stand das Frauenwahlrecht im Zeichen des nationalen Aufbruchs.
Wir brauchen Menschen mit anderer Mentalität und Reife. Und die Menschen werden durch die nachfolgenden Mütter aufgezogen. Von jetzt an erziehen die Mütter solche Menschen, wie sie unsere neue Verfassung fordert.
So formulierte es Kemal Atatürk, der Gründer der modernen Türkei. Nachdem das Osmanische Reich im Ersten Weltkrieg den Todesstoß bekommen hatte, musste der geschrumpfte Nachfolgestaat zu aller erst ein nationales Bewusstsein produzieren. Das erforderte nicht weniger als den "neuen Menschen". Der neue Mensch aber war nach Atatürk nicht möglich ohne "die neue Frau". 1925 hatte der Staatsgründer – noch vor einem Männerparlament - seine Erlebnisse in der anatolischen Provinz wie folgt geschildert:
In einigen Orten in Anatolien habe ich gesehen, wie die Frauen ein Stück Stoff oder ein Handtuch über ihren Kopf zogen, um ihre Gesichter zu verbergen, wie sie sich umdrehen oder sich niederkauern, wenn ein Mann vorbeikommt. Was soll solches Verhalten? Meine Herren, können die Mütter und Töchter einer zivilisierten Nation so seltsame Manieren, ein so barbarisches Benehmen zeigen?
Eindrücke wie diese machten den Staatsgründer zum patriarchalischen Verfechter der Frauenrechte. Schon 1926 hatte er ein Gesetz veranlasst, das ein zeitgenössischer Kommentator als revolutionär bezeichnete:
Polygamie und das Verstoßen von Ehefrauen wurden verboten und durch Zivilehe, Ehescheidung und formale Gleichberechtigung von Mann und Frau abgelöst. Muslimische Frauen erhielten zum Entsetzen der übrigen islamischen Welt das Recht, nichtmuslimische Männer zu heiraten.
Auch diese Rechte wurden nicht von den Frauen erkämpft, sondern von oben eingeführt. Ein Geschenk aus der Hand Atatürks, des "Vaters der Türken". Dieser Ehrenname wurde dem Staatsgründer im November 1934 von der Großen Nationalversammlung verliehen, die 10 Tage später das Frauenwahlrecht beschloss.
Gleiche Rechte für Frauen sind in der Regel die Errungenschaft eines demokratischen Entwicklungsprozesses. Nicht so in der Türkei, wo der neue Staat streng und autoritär über die Gesellschaft herrschte. Wo Kemal Atatürk nicht nur Staatsoberhaupt war, sondern auch Parlamentspräsident und Führer der Einheitspartei. Von demokratischer Gewaltenteilung konnte also keine Rede sein, schreibt der türkische Soziologe Fikret Adamir:
Seinen Willen setzte Atatürk auch dahingehend durch, dass nur ins Parlament gewählt werden konnte, wer von ihm selbst nominiert wurden. Auf diese Weise verfügte Mustafa Kemal immer über überwältigende Mehrheiten, als Basis für seine Politik der vollendeten Tatsachen.
Auch die siebzehn Frauen, die am 6. Februar 1935 ins Parlament gewählt wurden, waren also Töchter Atatürks. Ihr erster Akt bestand darin, den Übervater zum 4. Mal zum Staatspräsidenten zu wählen. Die Frauenrechte waren eine Funktion des kemalistischen Systems. Deshalb spricht die Soziologin Medita Göbemli von einem "Staatsfeminismus", der auf ein ganz bestimmtes Frauenbild zielte:
Die Türkin sollte eine gebildete, national bewusste Frau sein, dazu eine aufopferungsbereite Mutter ihrer Kinder und Partnerin ihres Mannes. Die neue Frauengeneration der Republik hatte eine kollektive Identität, die persönliche Identität trat gegenüber der nationalen in den Hintergrund. Bevor die türkische Frau sich als Individuum begreifen konnte, hatte man sie zur Staatsbürgerin erklärt.
Die türkischen Frauen der 1930er-Jahre waren zwar gleichberechtigte Bürgerinnen, aber in der Familie galten weiter die traditionellen Rollen. Dass Atatürk ihnen das Wahlrecht schenkte, war zwar ein wichtiger Schritt, aber noch keine Befreiung. Die kann auch in der Türkei nur das Werk der Frauen sein.