"Meine Damen und Herren..."
Bonn, am 22. September 1948: Der Präsident des Parlamentarischen Rates, Konrad Adenauer, eröffnet die Tagung mit einem Nachruf:
"Graf Bernadotte hat sein Leben zum Opfer gebracht für eines der höchsten Güter der Menschheit, für die Sache des Friedens. Sein Name wird in der Geschichte dieser dunklen Zeit mit goldenen Lettern verzeichnet bleiben."
Rettung von 20.000 KZ-Häftlingen
Wer war dieser Graf, dessen Ermordung gerade einmal fünf Tage zurücklag? Geboren 1895 als Mitglied der schwedischen Königsfamilie, hatte sich Folke Bernadotte Graf von Wisborg zwar zum Offizier ausbilden lassen, doch sein wahres Interesse galt der Diplomatie und der humanitären Hilfe. Er vertrat Schweden bei verschiedenen Ausstellungen in den USA und wurde im September 1943 Vizepräsident des Schwedischen Roten Kreuzes. Von verschiedenen Seiten über die Situation der KZ-Häftlinge in Deutschland informiert, reiste er von Februar bis April 1945 mehrfach nach Berlin, um mit dem Reichsführer der SS, Heinrich Himmler, über die Zusammenführung skandinavischer Häftlinge in einem Schwedischen Rot-Kreuz-Lager zu verhandeln. Himmler willigte ein und forderte von Bernadotte im Gegenzug, dieser möge den westlichen Alliierten die Bereitschaft des "Dritten Reiches" zur Kapitulation überbringen, wenn es seinen Krieg gegen die Sowjetunion weiterführen dürfe.
"Wahrscheinlich wollte Himmler eine gute Verhandlungsbasis haben für die Friedensverhandlungen, die er mir angeboten hat und die ich durch die schwedische Regierung den Alliierten Regierungen in Washington und in London weitergebracht habe."
Die Alliierten lehnten das Angebot ab, aber Bernadotte gelang es, in einer als "Weiße Busse" bekannt gewordenen Rettungsaktion rund 20.000 KZ-Häftlinge nach Schweden zu bringen, darunter auch zahlreiche Juden. Sein diplomatisches Geschick schien ihn auch für seine schwierigste Mission zu prädestinieren: Am 20. Mai 1948 wurde er von den Vereinten Nationen zum Vermittler in Palästina ernannt. Sechs Tage zuvor war in Tel Aviv der jüdische Staat ausgerufen worden. Die arabischen Nachbarn hatten darauf mit Krieg reagiert, doch der zionistischen Führung kamen die Kämpfe nicht ungelegen. Sie sah darin eine Chance, die Grenzen des Jüdischen Staates zu ihren Gunsten zu verändern. Entsprechend ablehnend, so der Historiker Francesco di Palma von der Freien Universität Berlin, reagierte Israel auf die Vorschläge Bernadottes, die dieser Ende Juni den beiden Seiten unterbreitete.
"Was von jüdischer Seite am meisten kritisiert wurde darin, war die Tatsache, dass 1. Jerusalem unter internationale Aufsicht gestellt werden sollte und 2. vor allem noch schwerwiegender diese Fusionierung mit dem arabischen Teil der Region, und nicht zuletzt auch eine von der internationalen Gemeinschaft festgezurrte Grenzziehung in einer Zeit, in der Israel eher auf territoriale Expansion aus war."
Angriff auf Bernadottes Konvoi
Im Unterschied zur arabischen Seite hatten die Juden den UN-Teilungsplan für Palästina zwar begrüßt, aber der darin vorgesehene jüdische Staat war ein Flickenteppich und Jerusalem vollständig vom arabischen Teilstaat umgeben. Außerdem sah der Plan eine Wirtschaftsunion beider Staaten vor. Am 16. September legte Bernadotte den Vereinten Nationen einen weiteren Vorschlag vor. Die Existenz des jüdischen Staates sei eine unleugbare Realität, machte er deutlich, doch zugleich beharrte er auf den Grundlagen der UN-Resolution und betonte das Rückkehrrecht der vertriebenen Palästinenser. Einen Tag später, am 17. September 1948, wurde Bernadottes Konvoi an einer Straßensperre in Jerusalem aufgehalten. Zwei Männer in israelischen Uniformen näherten sich dem Wagen des UN-Vermittlers und erschossen ihn und einen seiner Mitarbeiter. Die Mörder waren Angehörige der Lechi, einer zionistischen paramilitärischen Gruppe, die bereits zahlreiche Anschläge gegen die britische Mandatsmacht ausgeführt hatte und zu der auch der spätere israelische Ministerpräsident Jitzchak Schamir gehörte. Die Täter wurden verhaftet und verurteilt, doch schon bald wieder entlassen und rehabilitiert.
"Israel hatte sozusagen alle politischen Aktionen, natürlich auch die dazugehörigen paramilitärischen Aktionen in den Dienst des Hauptziels der Errichtung eines jüdischen Staates gestellt, und vor diesem Hintergrund wurde einiges geduldet oder wurde, ja, auch mehr oder weniger ein Auge - und oft auch zwei - zugedrückt."
Und so spielt Folke Bernadotte im kollektiven Gedächtnis Israels heute kaum noch eine Rolle, denn sein Name erinnert an ein dunkles Kapitel in der Gründungsgeschichte des jüdischen Staates.