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Vor 70 Jahren
Geschlechter-Gleichberechtigung bekam Verfassungsrang

"Männer und Frauen sind gleichberechtigt" - lange kam es den Vätern unserer Verfassung nicht in den Sinn, diesen Satz ins zu entwerfende Grundgesetz zu schreiben. Erst die Juristin Elisabeth Selbert setzte ihn am 18. Januar 1949 durch.

Von Monika Köpcke |
    Der Artikel 3 des Grundgesetzes über Gleichheit vor dem Gesetz, fotografiert am 04.11.2015 in Berlin durch eine Brille. Foto: Jens Kalaene/dpa | Verwendung weltweit
    Unter den 61 Vätern und vier Müttern des Grundgesetzes lange diskutiert: Artikel 3 Absatz 2 GG (dpa-Zentralbild)
    "Meine verehrten Hörerinnen und Hörer, der gestrige Tag, an dem die Gleichberechtigung der Frau in die Verfassung aufgenommen wurde, dieser Tag war ein geschichtlicher Tag."
    Was die Sozialdemokratin und Vorkämpferin für die Gleichberechtigung Elisabeth Selbert im Januar 1949 im Rundfunk verkündete, war eine gesellschaftliche Revolution: der Parlamentarische Rat hatte Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes nach ihrer Formulierung beschlossen:
    "Männer und Frauen sind gleichberechtigt."
    Es tagten 61 Männer und vier Frauen
    Ein schlichter Satz, gegen den sich die Mehrheit des Parlamentarischen Rats lange gewehrt hatte. Seit September 1948 tagten seine Mitglieder, 61 Männer und vier Frauen, um eine Verfassung für die westlichen Besatzungszonen auszuarbeiten.
    Elisabeth Selbert war als Mitglied des Parteivorstandes der SPD und als hessische Landtagsabgeordnete dabei. Seit 1934 arbeitete sie als Rechtsanwältin; und setzte sich für Verfolgte des Naziregimes ein. Aus ihrem Arbeitsalltag wusste sie auch, wie viel schlechter Frauen im Ehe-, Familien- und Arbeitsrecht gestellt waren. 1981 sagte sie rückblickend über ihr Engagement im Parlamentarischen Rat:
    "Ich horchte auf, als der Grundrechteausschuss hinsichtlich der Rechtstellung von Mann und Frau die Formulierung aus der Weimarer Verfassung brachte: Männer und Frauen haben grundsätzlich die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. Das war mir zu wenig, denn ich hatte ja nun als Juristin die Erfahrung gemacht, dass diese Bestimmung in der Weimarer Verfassung nicht geeignet war, einen imperativen Auftrag an den Reichstag zu geben, um das Familienrecht neu zu fassen."
    Die Sonderrechte der Männer
    Nur wenn die unumschränkte Gleichberechtigung in der neuen Verfassung verankert werden würde, wäre der Staat verpflichtet, alle schon bestehenden Regelungen dem neuen Gleichheitsgebot anzupassen, und auch zukünftig seine Gesetzgebung danach auszurichten.
    Dr. Elisabeth Selbert im Jahr 1953. Die als "Mutter des Grundgesetzes" bezeichnete SPD-Politikerin sorgte als Mitglied im Parlamentarischen Rat für die Verankerung des Gleichberechtigungs-Grundsatzes. Elisabeth Selbert wurde am 22. September 1896 in Kassel geboren und verstarb ebenda am 9. Juni 1986. | Verwendung weltweit
    Dr. Elisabeth Selbert (picture alliance / dpa)
    Vor allem das alte Ehe- und Familienrecht, das noch aus dem Kaiserreich stammte, müsste dann endlich grundlegend reformiert werden. Ob es um die Rolle der Ehefrau als Hausfrau, die Wahl des Wohnorts oder die Kindererziehung ging - überall hatte der Mann das letzte Wort. Er konnte seiner Frau sogar die Berufstätigkeit verbieten und ihren Arbeitsplatz ohne ihr Wissen kündigen.
    Sonderrechte also, von denen sich die meisten Mitglieder des Parlamentarischen Rats nur ungern verabschieden wollten.
    "Ich hatte beantragt, den Artikel so zu formulieren: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Ganz kurz und bündig."
    Selberts Antrag wurde zwei Mal abgelehnt
    Zwei Mal lehnte der Parlamentarische Rat diesen Antrag ab. Nun mobilisierte Elisabeth Selbert mit Hilfe von Artikeln und Vorträgen die weibliche Bevölkerung. Überaus erfolgreich: Körbeweise erreichten Protestbriefe den Parlamentarischen Rat.
    "Erst dann trat diese große Wende ein, und dann kam ein gewisses Gestammel von allen Seiten: Wir waren ja gar nicht dagegen, wir wollten nur nicht das Rechtschaos."
    Am 18. Januar 1949 stimmte der Parlamentarische Rat endlich mehrheitlich für das Gleichheitsgebot, und der Bundestag bekam den Auftrag, noch vor dem Ende der ersten Legislaturperiode das Familienrecht neu zu formulieren.
    Ein CDU-Mann über "das sogenannte Zweierproblem"
    Doch die Frist verstrich, weil vor allem Abgeordnete der CDU/CSU nicht von ihren alten Privilegien lassen wollten.
    "Wir kennen in Gemeinschaften vielfach das so genannte Zweierproblem, wo man ja doch zu einer Entscheidung nicht kommen kann, wenn sich zwei gleichberechtigt gegenüberstehen." - Der CDU-Politiker Karl Weber im Mai 1957. "Deshalb muss nun der Mann und soll nun der Mann diese Entscheidung treffen. Das entnehmen wir aus den ganzen Entwicklungen seit Jahrhunderten."
    Bis zum modernen Familienrecht dauerte es noch
    Am 1. Juli 1958 trat endlich das neue, reformierte Familienrecht in Kraft. In den Folgejahren allerdings erklärte das Bundesverfassungsgericht eine Reihe von Passagen für nichtig, weil sie dem Mann noch immer mehr Rechte als der Frau einräumten.
    Erst 1976 brachte die sozialliberale Koalition ein modernes Familienrecht auf den Weg, das dem Inhalt und dem Geist des von Elisabeth Selbert durchgesetzten Gleichheitsgebots gerecht wurde.