Am 16. Juli 1945, zwei Monate nach der deutschen Kapitulation, ließ sich der britische Premier Winston Churchill durch die Ruinen Berlins fahren. Zu seiner Überraschung setzten die Bewohner dieser Trümmerstadt ausgerechnet in ihn, den langjährigen Feind und Führer einer Besatzungsmacht, große Hoffnungen:
"Da die Fahrt natürlich nicht angekündigt worden war, befanden sich auf den Straßen nur die üblichen Passanten. Vor der Reichskanzlei stand eine größere Menschenmenge. Als ich aus dem Auto stieg und mich unter sie mischte, ließen sie mich mit Ausnahme eines alten Mannes, der missbilligend den Kopf schüttelte, hochleben. Seit Deutschland den Kampf aufgegeben hatte, war mein Hass verflogen, und diese Demonstration bewegte mich ebenso sehr wie die abgezehrten Züge und die abgetragene Kleidung der Bevölkerung."
"Stattdessen soll die Demokratie wieder aufgebaut werden"
Tags darauf kam Churchill in Potsdam mit Harry S. Truman und Josef Stalin, den Regierungschefs der USA und der Sowjetunion, zusammen. Die Nationalsozialisten hatten ihnen ein in jeder Hinsicht ruiniertes Land mit Millionen hungernder und obdachloser Menschen hinterlassen - ein deutscher Staat, eine funktionierende Verwaltung existierten nicht mehr. Die in Potsdam beschlossenen Grundprinzipien der Besatzungsherrschaft zielten nicht so sehr auf die Lösung dieser akuten Probleme, sondern sie waren langfristig angelegt, wie US-Präsident Truman wenige Wochen später in einer Rundfunkansprache darlegte:
"Deutschland soll von den Kräften befreit werden, die es so gefürchtet und verhasst gemacht und die es nun ins Verderben geführt haben. Der Nazismus, die Armee, die Kriegsindustrie, der Generalstab und seine militaristische Tradition werden ausgemerzt. Stattdessen soll die Demokratie wieder aufgebaut werden durch die Kontrolle des Erziehungssystems, durch die Reorganisation der lokalen Selbstverwaltung und der Justiz, und durch die Ermutigung, Redefreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit und Streikrecht wahrzunehmen. ... and the right of labor to organize."
Das eigenmächtige Handeln Stalins
Ein Streitpunkt in Potsdam war die deutsche Ostgrenze. Die Westverschiebung Polens war im Grundsatz schon ein halbes Jahr zuvor auf der Kriegskonferenz von Jalta beschlossen, die genaue Grenzziehung aber vertagt worden. In Potsdam mussten Churchill und Truman erkennen, dass nichts mehr zu entscheiden war, denn längst schufen die Russen Fakten: Sie ermunterten die Polen, auch die rein deutsch besiedelten Gebiete zwischen Oder und Neiße in Besitz zu nehmen und die deutsche Bevölkerung zu vertreiben. Die Eigenmächtigkeit Stalins vergrößerte die Probleme in Deutschland noch einmal erheblich und war gleichzeitig geeignet, eine deutsch-polnische Aussöhnung für lange Zeit zu verhindern und so den polnischen Staat dauerhaft an die Sowjetunion zu ketten.
Amerikaner und Briten erkannten die Grenzziehung völkerrechtlich nicht an, fanden sich aber zähneknirschend mit der Situation ab – lediglich die kaum ernst zu nehmende Zusicherung, dass die Vertreibung der sogenannten Volksdeutschen aus Ost- und Mitteleuropa "in ordnungsgemäßer und humaner Weise" zu erfolgen habe, konnten sie durchsetzen. Dafür biss Stalin mit seiner Hauptforderung nach deutschen Reparationszahlungen bei Truman auf Granit:
"Amerika wird nicht noch einmal den Fehler machen, den Deutschen exakt bezifferte Reparationen aufzuerlegen und ihnen dann das Geld zu leihen, damit sie ihren Verpflichtungen nachkommen können. Dieses Mal werden die Reparationen in Form von Sachvermögen aus den Ressourcen zu bezahlen sein, welche Deutschland nicht zur Sicherstellung seiner Selbstversorgung im Frieden benötigt."
Stalin musste also seine Hoffnung begraben, dass die USA mit Krediten indirekt den Wiederaufbau der Sowjetunion finanzieren würden. Der Kalte Krieg warf seine Schatten voraus. Sein erstes Opfer wurde noch in Potsdam gebracht, wie der Sekretär der britischen Delegation William Hayter berichtet:
"Einmal kam Maisky, bis vor kurzem sowjetischer Botschafter in London, in den Konferenzsaal und wurde herzlich, zu herzlich von Churchill und Außenminister Eden begrüßt. Stalin warf ihm einen kalten, stechenden Blick zu und Maisky wurde nie wieder von westlichen Augen gesehen. Erst viele Jahre später, nach Stalins Tod, erkannte ich ihn unter den Zuschauern im Bolschoi-Theater in Moskau wieder, wo ich inzwischen Botschafter geworden war."
Die Kaltstellung dieses Exponenten einer engen Zusammenarbeit der Sowjetunion mit den westlichen Demokratien war kein gutes Omen. Die Spaltung Europas in zwei feindliche Blöcke hatte begonnen.