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Vor 70 Jahren unterzeichnet
Regelwerk gegen die Grausamkeiten des Krieges

Am 12. August 1949 wurde das "Genfer Abkommen zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten" unterzeichnet. Es verbietet unter anderem Deportationen oder demütigende Behandlung. Heute allerdings wird in fast jedem Krieg dagegen verstoßen - aber es wird mehr öffentlich.

Von Monika Köpcke |
    Ein Schwarz-Weiß-Foto zeigt Vertreter der Staaten Ägypten, Afghanistan, Argentinien, Österreich, Bolivien, Brasilien, Kanada, Spanien, USA, Finnland, Frankreich, Ungarn, Israel, Italien, Luxemburg, Niederlande, Polen, England, Vatikan, Schweden - sie treffen sich am 12. August 1949 in Genf zur Unterzeichnung der vier Genfer Konventionen.
    Unterzeichnung der Genfer Konvention am 12. August 1949 (picture alliance/ Keystone / Photopress-Archiv)
    "Ich habe furchtbare Dinge gesehen. In einer Kirche in Gahini war alles voller Blut. Ganz in der Nähe hatten sie Menschen lebendig begraben. Es waren, glaube ich, 14 Überlebende, die aus der Grube herauskrochen."
    "Sehr viele Verwundete wurden eingeliefert, sehr viele Tote. Es gab keine Unterbrechung bei den Bombardements, in denen wir Patienten hätten transportieren können. Unsere Rettungsteams hatten Probleme, Menschen aus den Trümmern zu holen und sie ins Krankenhaus zu bringen."
    "Ich habe gesehen, wie sie eine Frau am Bahnhof bei lebendigem Leibe verbrannt haben. Ich bin durch die Stadt gegangen, nachdem die Abchasen abgezogen waren. Und am Straßenrand sah ich überall Leichen. Sie lagen neben den toten Schweinen und dem Müll."
    Ruanda, Syrien, Georgien - nur drei Beispiele von Kriegen, die auf dem Rücken der Zivilbevölkerung ausgetragen wurden beziehungsweise werden. Ginge es nach den Genfer Konventionen, dürfte es so etwas gar nicht geben.
    "Es gibt heute keinen Krieg, keinen Bürgerkrieg mehr, in dem die Genfer Konventionen eingehalten werden."
    Kaum Schutz der Zivilbevölkerung
    Peter Fuchs, ehemaliger Generaldirektor des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes.
    "Wir sehen praktisch überall und immer schwerere Verletzungen, dass ganze Bevölkerungsteile als Geiseln genommen werden, als Geiseln für militärische Zwecke, als Schutzschild oder zur Gebietsanspruchverteidigung. Dann, dass dieselbe Zivilbevölkerung unter Druck gerät, weil Nahrung und Wasser fehlt, weil gezielt Wasserversorgungen zerstört werden. Dann gibt es natürlich die Inhaftierungen von Zivilbevölkerungsteilen, die aus ethnischen Gründen oder aus lokal bedingten Rachegründen inhaftiert werden. So könnte man die ganze Liste verlängern. Das geht dann bis völkermordähnlichen Zuständen."
    Kriege ohne Opfer gibt es nicht, aber nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs wollte man zumindest ein Regelwerk schaffen, das den Grausamkeiten Grenzen setzt. 59 Staaten waren der Einladung des Schweizer Bundesrates gefolgt, um über solch ein Regelwerk zu beraten. Am 12. August 1949 wurde das Abschlussdokument - die vier Genfer Konventionen - unterzeichnet. Drei Konventionen gab es bereits: Die erste war 1864 entstanden und enthielt Schutzbestimmungen für verwundete Feldsoldaten. Als offizieller Hüter wurde damals das dafür gegründete Rote Kreuz ernannt. Nach dem Ersten Weltkrieg folgten zwei weitere Abkommen über den Seekrieg und den Umgang mit Kriegsgefangenen.
    Neu war die vierte Konvention: das "Genfer Abkommen zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten". Es verbietet Deportationen, Inhaftierungen oder demütigende Behandlungen. Die Besatzungsmacht ist verantwortlich für eine reibungslose medizinische Versorgung und für die Ernährungslage der Zivilbevölkerung. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes behielt das Mandat, als neutrale Partei vor Ort die Einhaltung der Konventionen zu kontrollieren. In den ersten Jahrzehnten nach der Unterzeichnung, es war die Zeit des Kalten Krieges, war das in der Regel kein Problem.
    "Die Bipolarität hatte immerhin das Gute eines Kontrollmechanismus. Die Großmächte sorgten dafür, dass ihre Stellvertreter, die an Kriegen beteiligt waren, mindestens nach außen nicht den Eindruck erweckten einer völlig wilden Horde, die außer Rand und Band ist, und deshalb unglaubwürdig wird. Diese Kontrollmechanismen fehlen heute leider praktisch vollständig."
    196 sind den Genfer Konventionen beigetreten
    196 Staaten sind bis heute den Genfer Konventionen beigetreten. Sie wurden geschaffen für den Krieg zwischen Staaten, der mit regulären Armeen ausgetragen wird. Heute aber wird anders Krieg geführt: Cyberattacken zielen auf das zivile Leben, unterschiedliche Partisanengruppen sind in die Kämpfe verwickelt und die Verbreitung von Schrecken unter der Zivilbevölkerung ist oftmals Teil der Kriegstaktik.
    "Ich glaube, dass Grausamkeit seit Jahrhunderten die dunkle Seite der Menschheit ist."
    Der Schweizer Gilbert Holleufer arbeitete 25 Jahre beim Internationalen Komitee des Roten Kreuzes.
    "Gräueltaten werden heute viel häufiger bekannt. Die Weltöffentlichkeit ist sich mehr darüber bewusst, was vorgeht. Damit verschieben sich natürlich die Verantwortlichkeiten. Ein größeres Bewusstsein von dem, was in den Kriegen wirklich vor sich geht, ist von größter Bedeutung."
    Kriegsgräuel sind keine Erfindung der heutigen Zeit, aber das Wissen um sie ein Auftrag, zu handeln.