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Vor 75 Jahren
Als der Zweite Weltkrieg in Europa endete

Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg in Europa. Nach fünfeinhalb Jahren schwiegen dort die Waffen. Die deutsche Wehrmacht musste in die bedingungslose Kapitulation einwilligen - und die Kapitulationsurkunde gleich zweimal unterzeichnen.

Von Volker Ullrich |
    Die deutschen Wehrmachts-Offiziere Hans-Jürgen Stumpff, Wilhelm Keitel und Hans-Georg von Friedeburg unterzeichnen in Karlshorst am 8. Mai 1945 die Kapitualtion der Deutschen Wehrmacht.
    Ende des Schreckens: Die Gesamtkapitulation sollte am 8. Mai um 23.01 Uhr mitteleuropäischer Zeit wirksam werden (picture alliance / Imagno / Votava)
    Wie in London so feierten überall auf der Welt am 8. Mai 1945 die Menschen den Victory-Europe-Day – den Tag des Sieges über Hitler in Europa. In der Whitehall sprach der britische Premierminister Winston Churchill zur jubelnden Menge.
    Bis zuletzt hatte Hitlers Nachfolger, Großadmiral Karl Dönitz, der sich mit der neuen Reichsregierung nach Flensburg abgesetzt hatte, versucht, das Ende des Krieges hinauszuzögern, um noch möglichst viele seiner Soldaten dem Zugriff der Roten Armee zu entziehen. Am 5. Mai schickte er Generaladmiral Hans Georg von Friedeburg in das Hauptquartier des Oberkommandierenden der Alliierten nach Reims, um eine stufenweise Teilkapitulation der deutschen Streitkräfte im Westen anzubieten. Doch General Dwight D. Eisenhower bestand ultimativ auf sofortiger und bedingungsloser Kapitulation an allen Fronten, wie sie mit dem sowjetischen Verbündeten in Casablanca im Januar 1943 verabredet worden war. Er drohte im Falle einer deutschen Weigerung, den Bombenkrieg wiederaufzunehmen und Soldaten, die sich nach Westen hatten retten können, den Russen als Kriegsgefangene auszuliefern.
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    Alternativlose Kapitulation
    Auch Generaloberst Alfred Jodl, der Chef des Wehrmachtführungsstabes, der einen Tag später in Reims eintraf, konnte nichts mehr ausrichten. Er sehe keinen anderen Ausweg "als Chaos oder Unterzeichnung", telegrafierte er in der Nacht zum 6. Mai nach Flensburg. Vor diese Alternative gestellt, erklärte sich Dönitz schließlich mit der Gesamtkapitulation einverstanden. In den Morgenstunden des 7. Mai setzte Jodl seine Unterschrift unter die Kapitulationsurkunde. Über Radio Luxemburg kam die erste Nachricht:
    "In nichtamtlichen Berichten von Nachrichtenagenturen aus Reims heißt es heute Nachmittag: Deutschland hat sich bedingungslos allen Alliierten ergeben. Diesen Meldungen gemäß wurde die Kapitulationsurkunde heute um 2.41 morgens unterzeichnet."
    Stalin befürchtete ein doppeltes Spiel
    Die Gesamtkapitulation sollte am 8. Mai um 23.01 Uhr mitteleuropäischer Zeit wirksam werden. Doch der sowjetische Diktator Stalin blieb misstrauisch. Bis zuletzt befürchtete er, die Westalliierten könnten ein doppeltes Spiel mit ihm treiben. Da die Amerikaner in Reims eine gekürzte Fassung des vorbereiteten Kapitulationstextes verwendet hatten, verlangte er eine Wiederholung der Zeremonie im sowjetischen Hauptquartier in Berlin-Karlshorst, und zwar mit dem alten Text. Außerdem sollten diesmal neben dem Oberkommando der Wehrmacht auch Repräsentanten der drei Wehrmachtteile daran teilnehmen.

    So wurde am 9. Mai, kurz nach Mitternacht um 0.16 Uhr, die Kapitulationsurkunde noch einmal unterzeichnet: auf deutscher Seite von Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel als Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, von Admiral von Friedeburg für die Kriegsmarine und von Generaloberst Hans-Jürgen Stumpff für die Luftwaffe. Auf alliierter Seite unterschrieben Marschall Geogij Schukow für die Sowjetunion sowie drei Vertreter der amerikanischen, britischen und französischen Bundesgenossen. Erst jetzt war der Zweite Weltkrieg in Europa beendet.
    Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel bei der Unterzeichnung der Kapitulation Deutschlands im sowjetischen Hauptquartier in Berlin-Karlshorst, 8. Mai 1945.
    9. Mai, kurz nach Mitternacht um 0.16 Uhr: Wilhelm Keitel unterzeichnet die Kapitulation ein zweites Mal im sowjetischen Hauptquartier in Berlin-Karlshorst (picture alliance / akg-images)
    Friedrich Nowottny bei der Aufzeichnung einer Talkshow im Mai 2019.
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    Er habe die Lehren aus den Erfahrungen aus den Jahren vor 1945 und den Jahren der direkten Teilnahme am Kriege gezogen, sagte der ehemalige WDR-Intendant Friedrich Nowottny im Dlf. Nach Kriegsende sei das allerdings alles andere als einfach gewesen.
    Legende von der "sauberen" Wehrmacht
    Am Abend des 9. Mai strahlte der Reichssender Flensburg den letzten Bericht des Oberkommandos der Wehrmacht aus:
    "Seit Mitternacht schweigen nun an allen Fronten die Waffen. Auf Befehl des Großadmirals hat die Wehrmacht den aussichtslos gewordenen Kampf eingestellt. Damit ist das fast sechsjährige heldenhafte Ringen zu Ende. Es hat uns große Siege, aber auch schwere Niederlagen gebracht. Die deutsche Wehrmacht ist am Ende einer gewaltigen Übermacht ehrenvoll unterlegen."
    Dies war die Geburtsstunde einer Legende: die von der "sauberen" Wehrmacht, die bis zuletzt "anständig" gekämpft habe. Es sollte ein halbes Jahrhundert dauern, bis diese Legende endgültig der Vergangenheit angehörte.
    50 Millionen Tote, unendliches Leid und unermessliche Zerstörungen sind das Resultat des Zweiten Weltkrieges, den Hitler am 1. September 1939 entfesselt hatte.

    Bild zeigt das zerstörte Nürnberg, Text: 8. Mai 1945, Als stünde die Zeit still
    Als stünde die Zeit still - Erinnerungen an das Kriegsende (imago images / Everett Collection)