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Vor 75 Jahren
Anschlag auf den Hauptorganisator des Holocausts

Reinhard Heydrich galt als der maßgebliche Organisator des Holocausts. Heute vor 75 Jahren wurde der Chef des Reichssicherheitshauptamts und stellvertretender Reichsprotektor für Böhmen und Mähren bei einem Attentat in Prag so schwer verletzt, dass er acht Tage später starb. Es folgten blutige Racheaktionen der Nazis.

Von Doris Liebermann |
    SS-Obergruppenführer und General der Polizei Reinhard Heydrich (1904-1942) als 3.v.l. auf einem Foto aus dem Jahr 1940.
    SS-Obergruppenführer und General der Polizei Reinhard Heydrich (1904-1942) als 3.v.l. auf einem Foto aus dem Jahr 1940. (imago / WHA)
    Nach einem geeigneten Ort für das Attentat auf den stellvertretenden Reichsprotektor für Böhmen und Mähren, Reinhard Heydrich, hatten die beiden tschechoslowakischen Widerstandskämpfer monatelang suchen müssen: der 29-jährige Jan Kubiš aus Mähren und der 30-jährige Jozef Gabčik aus der Slowakei.
    Nach der Besetzung der Tschechoslowakei durch Hitlers Truppen hatte sich Kubiš dem Widerstand angeschlossen, wurde von der Gestapo verhaftet, konnte fliehen und gelangte über Polen und Frankreich nach England. Im Flüchtlingslager lernte er Gabčik kennen. Beide bewarben sich beim englischen "Special Operations Executive", einer nachrichtendienstlichen Spezialeinheit im Zweiten Weltkrieg. Im Dezember 1941 wurden sie von einem englischen Flugzeug auf tschechischem Gebiet abgesetzt.
    Heydrich sollte Prag "judenfrei" machen
    Seit dem Anschluss des Sudetenlandes an das Deutsche Reich im Oktober 1938 und der Okkupation der sogenannten Rest-Tschechei im März 1939 hatten die Nationalsozialisten eine Blutspur im ganzen Land hinterlassen. Ende September 1941 war SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, der Chef des Reichssicherheitshauptamtes in Berlin und der Hauptorganisator des Holocausts, von Hitler zum stellvertretenden Reichsprotektor von Böhmen und Mähren ernannt worden. Unter ihm sollte Prag, wie es hieß, "judenfrei" werden, die Widerstandsbewegung brutal niedergeschlagen und die tschechische Elite ermordet werden.
    In London beschloss der Präsident der tschechoslowakischen Exilregierung Edvard Beneš, bei den Westmächten Anerkennung durch ein weltweit wirkendes Fanal gegen den Naziterror zu finden: Heydrich sollte durch ein Attentat beseitigt werden.
    Reinhard Tristan Eugen Heydrich (1904-1942) war Chef des Reichssicherheitshauptamts und stellvertretender Reichsprotektor für Böhmen und Mähren
    Reinhard Tristan Eugen Heydrich (1904-1942) war Chef des Reichssicherheitshauptamts und stellvertretender Reichsprotektor für Böhmen und Mähren (imago / United Archives /WHA)
    Heydrichs Dienstsitz auf der Prager Burg war scharf von SS-Einheiten bewacht. Eine Gelegenheit für ein Attentat ergab sich, nachdem Heydrich Ostern 1942 mit seiner Familie in ein Schloss elf Kilometer außerhalb der Stadt umgezogen war. Heydrich fuhr meist im offenen Wagen nach Prag.
    Attentat drohte fast zu scheitern
    Am 27. Mai 1942 postierten sich die beiden Attentäter kurz vor 9.00 Uhr in einer Haarnadelkurve im Prager Vorort Libeň. Kubiš hatte zwei Bomben, Gabčik eine Maschinenpistole bei sich. 200 Meter oberhalb an der Straße stand ein Meldeposten, der mit einem Taschenspiegel blinken sollte, wenn sich Heydrichs Mercedes näherte. Um halb elf blinkte der Spiegel auf. In diesem Moment kam von unten eine Straßenbahn. Heydrichs Fahrer musste in der scharfen Kurve bremsen, das Auto befand sich zwischen der Bahn und den Attentätern. Gabčik wollte schießen, aber seine Waffe blockierte. Heydrich ließ anhalten und wollte zurückschießen, aber seine Pistole war nicht geladen. Kubiš warf die Bombe und traf das rechte Hinterrad des Wagens. Autosplitter verletzten Heydrich so schwer, dass er acht Tage später - am 4. Juni 1942 – in einem Prager Krankenhaus starb. Der Rundfunk meldete:
    "Ein Trauertag. SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich ist nicht mehr."
    Blutige Racheaktionen der Nationalsozialisten
    Die blutigen Racheaktionen der Nationalsozialisten trafen zuerst die jüdische Bevölkerung durch verstärkte Deportationen und Massenmorde. Angehörige, Unterstützer und Helfer der Attentäter wurden grausam gefoltert und hingerichtet. Nahezu täglich meldete der Rundfunk:
    "Das Standgericht Prag hat mit Urteil vom 4. Juni 1942 zum Tode durch Erschießen verurteilt: …"
    Die Dörfer Lidice und Ležáky wurden dem Erdboden gleichgemacht, die Einwohner ermordet oder in Konzentrationslager deportiert.
    Das Versteck von Jan Kubiš, Jozef Gabčik und fünf anderen Fallschirmjägern in der Prager Cyrill-und Method-Kirche wurde verraten und die Kirche am 18. Juni 1942 von SS und Gestapo gestürmt. Nach mehrstündigem Feuergefecht setzten Jan Kubiš und Jozef Gabčik ihrem Leben durch Kopfschuss selbst ein Ende.
    Das Attentat auf Reinhard Heydrich war wegen des hohen Blutzolls, den die Bevölkerung bezahlen musste, in der Tschechoslowakei nach dem Kriege lange umstritten. Aber es ging als das wichtigste geglückte Attentat auf einen Naziherrscher in die Geschichte ein.