"Das Oberkommando der Wehrmacht gibt bekannt: Heftige Tag- und Nachtangriffe der Luftwaffe gegen das rückwärtige Gebiet des Feindes, insbesondere gegen Stalingrad, riefen in Rüstungswerken und militärischen Anlagen Großbrände und umfangreiche Zerstörungen hervor."
Es waren natürlich nicht allein Rüstungsbetriebe oder ähnliche Anlagen, die von den deutschen Bomben getroffen wurden, wie es der Bericht des Oberkommandos der Wehrmacht behauptete. Vielmehr galt der Angriff am 23. August 1942 ganz Stalingrad, also auch den Wohnvierteln. Der spätere russische Militärhistoriker und Journalist Lew Besymenski befand sich in den Stunden des Angriffs in der Stadt:
"Ich war an diesem Tage zum Rapport in den Stab bestellt worden und traf auf dem Wege einen Bekannten aus der Vorkriegszeit. Doch wir konnten uns nicht einmal umarmen, als aus den Lautsprechern entlang der Straße eine strenge Stimme warnte: "Bürger, Luftalarm". Zum Glück befanden wir uns direkt vor dem Gebäude des Lokalblattes "Stalingradskaja prawda" und hatten deshalb keine Schwierigkeiten, uns in den Bombenschutzkeller dieser Zeitung zu flüchten."
Was dann geschah, schilderte am Beispiel angreifender Sturzkampfbomber der begeisterte Berichterstatter einer Propaganda-Kompanie für den reichsdeutschen Rundfunk:
"Immer wieder stürzen sie sich von großen Höhen herab bis tief herunter zur Erde, dann lassen sie ihre Bombenlast fallen und ziehen kurz und scharf wieder hoch. Da stürzt wieder einer hinein in diesen schwarzen und grauen Qualm, der aufsteigt von der Detonation der Bomben. Dort hinten steigt wieder ein schwarzer Rauchpilz hoch!"
1600 Einsätze der Luftflotte am 23. August
Stunden später konnten auch Besymenski und seine Kameraden den Bunker wieder verlassen:
"Als wir endlich wieder auf die Straße konnten, lag vor uns ein völlig verändertes Stalingrad. In unmittelbarer Nähe brannten Häuser, überall waren Feuerwehren im Einsatz, flüchteten Bewohner, gellten Sirenen von "Erste Hilfe"-Fahrzeugen."
Allein an diesem 23. August 1942 flog die deutsche 4. Luftflotte 1600 Einsätze und warf 1000 Tonnen Bomben auf die Industriestadt an der Wolga. Es war zugleich der Auftakt zum Angriff der 6. Deutschen Armee und verbündeter Einheiten auf Stalingrad. Bereits am Morgen des 24. August standen erste Panzer- und Infanterieverbände am Stadtrand. Angesichts dieser Lage und nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Luftangriffe erwogen Frontkommandeure sowie der für Stalingrad verantwortliche Politische Kommissar Nikita Chruschtschow, die Einwohner ebenso wie die wichtigen Industriebetriebe zu evakuieren und die nicht mehr rettbaren Fabriken zu verminen. Stalins Antwort fiel eindeutig aus:
"Ich lehne jede Erörterung dieser Frage ab. Es sollte bekannt sein, dass, wenn die Evakuierung der Industrie und die Verminung der Fabriken erst einmal beginnt, dies als ein Beschluss, Stalingrad aufzugeben, gewertet werden wird. Aus diesem Grund untersagt das staatliche Verteidigungskomitee alle Vorkehrungen für die Sprengung der Industrie oder für ihre Verlagerung."
Kurz darauf konnte Stalin doch noch überzeugt werden. In mehreren, durch den deutschen Vorstoß zusätzlich erschwerten Aktionen gelang es bis zum 10. September 1942, wohl fast 300.000 Stalingrader über die Wolga in die relative Sicherheit des jenseitigen Ufers zu bringen. Viele der Fähren und Boote wurden von deutschen Bomben und Artilleriegeschossen getroffen und mitsamt ihren Passagieren versenkt.
Kapitulation im Februar 1943
Von den etwa 150.000 zurückbleibenden Zivilisten sollten die meisten sterben. Die wenigsten indessen im deutschen Bombenhagel. Bis heute kursierende Zahlen von bis zu 40.000 Toten durch die deutschen Luftangriffe zu Beginn der Schlacht waren und sind reine Propaganda. Der Historiker Roman Töppel:
"Solche hohen Opferzahlen entstanden im Zweiten Weltkrieg ausschließlich bei Feuerstürmen nach britischen und amerikanischen Luftangriffen auf deutsche und japanische Städte. Die deutsche Luftwaffe besaß ein solches Zerstörungspotenzial schlichtweg nicht."
Die meisten Opfer unter den Einwohnern Stalingrads forderten der Hunger, die bald einsetzenden Häuser- und Straßenkämpfe sowie schließlich die von der Wehrmacht organisierten Deportationsmärsche von Einwohnern in nahe gelegene Zwangsarbeiterlager. Es bleibt bei all dem ein Rätsel, wie vermutlich mehr als 10.000 Bürger der Stadt, unter ihnen nahezu 1000 Kinder, das Inferno überleben konnten, - fast verhungert und psychisch traumatisiert. Am 2. Februar 1943 kapitulierten im Nord-Kessel die Reste der deutschen und rumänischen Verbände, unterernährt und dem Wahnsinn nahe auch sie.