"Im Juli fuhr mein Vater alljährlich ins Bad und gab mich samt der Mutter und den älteren Brüdern den weißglühenden und betäubenden Sommertagen preis. Wir blätterten, verrückt vom Licht, in dem großen Ferienbuch, dessen Blätter sämtlich vor Hitze brannten und auf ihrem Grund den bis zur Ohnmacht süßen Matsch goldener Birnen hatten."
Die literarische Welt Polens horchte überrascht auf, als der Maler, Grafiker und Zeichenlehrer Bruno Schulz 1934 im Warschauer Verlag "Rój" mit seinem ersten Erzählband debütierte: "Die Zimtläden".
Die kunstvollen Prosatexte quollen von bizarren Bildern, farbigen Impressionen und ungewöhnlichen Metaphern nur so über. Der polnisch-jüdische Künstler mit dem deutschen Namen erlangte über Nacht den Ruf eines Schriftstellers ersten Ranges. Dabei waren die Erzählungen des damals schon 42-Jährigen nicht in den großen literarischen Zentren des Landes, in Warschau, Krakau oder Lemberg, angesiedelt, sondern in der kaum beachteten, entlegenen ostpolnischen Provinz.
"Wenn es möglich wäre, die Entwicklung rückläufig zu machen, durch einen Umweg die Kindheit wieder einzufangen, noch einmal deren Fülle und Maßlosigkeit zu besitzen, dann wäre das die Erfüllung der 'genialen Epoche', der 'messianischen Zeiten', die uns von allen Mythologien versprochen und verheißen werden."
Motive aus seiner Heimatstadt
Bruno Schulz wurde am 12. Juli 1892 als Sohn eines Seiden- und Tuchhändlers in Drohobycz geboren, einer kleinen Stadt in Galizien, dem damals östlichsten Winkel der Habsburger Monarchie. In dieser abgelegenen Kleinstadt, die seit 1918 zu Polen, seit 1939 zur Ukraine gehörte, verbrachte der Künstler fast sein ganzes Leben. Hier fand er die Motive, aus denen er sein künstlerisches Universum schuf.
Ursprünglich wollte er Malerei studieren, begann 1910 auf Wunsch seiner Familie aber ein Architekturstudium in Lemberg. Krankheitshalber musste er es abbrechen, er führte es nie zu Ende. Einige externe Prüfungen qualifizierten ihn zum Zeichenlehrer an den höheren Schulen seiner Heimatstadt. Schulz, der fließend Deutsch sprach, übersetzte Franz Kafka ins Polnische und schrieb seine eigenen Texte zunächst für die Schublade.
"Die Zimtläden" sind benannt nach der "dunklen Tönung des Holzes, mit dem sie getäfelt sind", wie es heißt. Dazu zählt auch der Tuchladen des Vaters, eine häufig wiederkehrende, changierende Figur in seiner Literatur, ein "König ohne Thron", der langsam der Wirklichkeit entgleitet und in Senilität verfällt.
Schulz schildert im gleichnamigen Prosatext die Abenteuer eines kleinen Jungen, der sich in einer Winternacht in der Stadt verläuft. Unter seinen staunenden Blicken zerfällt die vertraute Architektur in immer neue Trugbilder und Konfigurationen, bis ihn die "Zimtläden" mit magischer Kraft anziehen.
"Schwach beleuchtet, dunkel und feierlich schwelgten ihre Eingeweide in dem tiefen Geruch von Farben, Lack, Weihrauch, dem Aroma ferner Länder und seltener Materialien. Doch vor allem gab es dort eine Buchhandlung, in der ich einmal seltene und verbotene Drucke, Veröffentlichungen geheimer Gesellschaften, betrachtet hatte, welche den Schleier von quälenden und berauschenden Geheimnissen nahm."
1941 Zwangsumsiedelung ins Ghetto
Sein bildkünstlerisches Werk korrespondiert mit den Texten, kreist um erotische Obsessionen, zeigt dominante Frauen, denen sich ein masochistischer Mann unterwirft, der häufig Schulz' Züge trägt; es zeigt chassidische Szenen und Straßenskizzen seiner Heimatstadt.
Sein Werk stellte eine Welt dar, die dem Untergang geweiht war - und es kündete kommendes Unheil an. "Sanatorium zur Todesanzeige" hieß sein zweiter Erzählzyklus, der 1937 erschien.
Als Hitlers Truppen 1941 Drohobycz zum zweiten Mal besetzten, musste der Künstler in das Ghetto zwangsumsiedeln. Wertvolle Manuskripte, auch ein Roman, Briefe und Zeichnungen gingen verloren. Als so genannter "notwendiger Jude" musste er im Auftrag des SS-Mannes Felix Landau Wandmalereien in dessen Privatwohnung und im Gestapo-Kasino anfertigen. Am 19. November 1942, dem Tag, an dem Bruno Schulz mit Unterstützung von Freunden aus Drohobycz fliehen sollte, wurde er von einem persönlichen Feind seines Arbeitgebers, dem SS-Mann Karl Günther, auf offener Straße erschossen.