"Zum ersten Male seit dem Zusammenbruch der braunen Schreckensherrschaft erscheint in München eine von Deutschen geleitete Zeitung. Sie ist durch keine Zensur gefesselt. Die Süddeutsche Zeitung ist ein Sprachrohr für alle, die einig sind in der Liebe zur Freiheit, im Haß gegen den totalen Staat."
So hieß es in der Erstausgabe der "Süddeutschen Zeitung" vom 6. Oktober 1945. Bei einer Auflage von 375.000 Stück war sie gerade mal acht Seiten dünn - und symbolträchtig mit Lettern aus dem eingeschmolzenen Bleisatz von Hitlers Bestseller "Mein Kampf" gedruckt. Denn die "Süddeutsche" sollte nach der Katastrophe des sogenannten 1000-jährigen Reiches in eine bessere, humanere Zukunft weisen. Das schien in München, bis vor kurzem noch Hauptstadt der Bewegung, auch durchaus angebracht. So las man in Nummer drei:
"Nicht die Stadt kann man für zerstörte Schönheit verantwortlich machen, nein, Menschen, die in ihr wohnten, die, unüberlegt oder verführt, heitere Lebenslust in finstere Eroberungssucht umwandelten. Die die Traditionen einer Musenstadt mit den fröhlichen Begleitkulissen des Starkbiers, des Faschings, des Oktoberfestes vergaßen und stattdessen marschierten, uniformierten, sich zu Sklaven einer angriffslustigen Kriegsmaschine machten und sich von verlogenen, wahnwitzigen Parolen locken ließen."
Kind der amerikanischen Militärregierung
Eine von Deutschen geleitete Zeitung sollte es sein, aber sie wurde von Ausländern ins Leben gerufen. Nämlich von der amerikanischen Militärregierung Bayerns, die der Ansicht war, mit Hilfe von demokratischen Grundsätzen verpflichteten Medien ließe sich die Austreibung des immer noch in den Köpfen vieler Deutscher herumspukenden nationalsozialistischen Gedankenguts ein wenig beschleunigen. Also übertrug sie drei politisch als unbelastet geltenden Journalisten die "Zeitungs-Lizenz Nummer eins" in Bayern
Die Anfänge der neuen Zeitung waren äußerst bescheiden. Da erinnerte sich zum Beispiel der langjährige Starkarikaturist der "SZ", Ernst Maria Lang, noch 2005:
"Das waren geflickte Fenster. Das waren also miserable Möbel. Das war schlecht geheizt oder gar nicht geheizt. Im Winter froren wir wie die Hunde, das war also verheerend. Aber es war eine Atmosphäre drin. Ein Geist. Der war so wunderbar. Wir haben also unsere Gedanken ausgetauscht, unsere Überlegungen und unsere Vorstellungen. Und da saß man dann zusammen in der Redaktion, und das war herrlich. Und es war ein Leben drin in der Bude."
Das neue Blatt fuhr von Anfang an zweigleisig. Einmal als anspruchsvolles Medium für München, zum anderen aber auch als nicht minder anspruchsvolles Organ für die ganze Bundesrepublik. Auf beiden Ebenen war es auf Anhieb erfolgreich. National hatte es stets nur die vier Jahre jüngere "Frankfurter Allgemeine Zeitung" zu fürchten. Beide Blätter pflegten und pflegen einen seriösen Journalismus, mit in der Regel glänzend geschriebenen Artikeln.
Bundesweit nur die "FAZ" als Konkurrent
Indes hat sich die "SZ" nie auf ihren Lorbeeren ausgeruht, sondern stets mit den äußeren Gegebenheiten Schritt gehalten. Als nach dem Printmedien-Boom der 90er-Jahre die Verkaufszahlen auch bei der "Süddeutschen" rapide einbrachen, schuf man zusätzlich zur Druckauflage umgehend eine bis heute bestens florierende Digitalausgabe.
Was die SZ vor allen anderen deutschen Zeitungen auszeichnet, ist ein ganz eigener Stil. Der ist allerdings nicht jedermanns Sache. So meinte der inzwischen gestorbene Top-Journalist und Schriftsteller Hans Habe 1970 im SWR:
"Die bestgeschriebene deutsche Tageszeitung verbirgt ihre Arroganz hinter einem beinahe französischen, auf jeden Fall südlichen Charme. Außer sich selbst scheint sie fast nichts und niemanden ernst zu nehmen. Ein gewisser feuilletonistischer Stil ist in allen Rubriken des Blattes herauszuhören. Die 'Süddeutsche Zeitung' spielt nicht Prestige, sie hat es."
Lange Zeit galt die SZ als linksliberal. Inzwischen ist sie eher in die politische Mitte gedriftet, wacht aber nach wie vor mit Argusaugen über die strikte Einhaltung der Spielregeln unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Und wie zum Beispiel die dank der Recherchegemeinschaft mit NDR und WDR ermöglichte gemeinsame Veröffentlichung der berühmt-berüchtigten Panama-Papers zeigt, scheut sie sich auch nicht, internationale Skandale anzuprangern. Kein Wunder also, dass die gute alte Süddeutsche heute neben dem "SPIEGEL", der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und der "ZEIT" zu den führenden deutschen Leitmedien zählt.