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Vor 75 Jahren
Hinrichtung von führenden Mitgliedern der "Roten Kapelle"

Die Widerstandsgruppe "Rote Kapelle" um Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack war ein politisch unabhängiges Netzwerk höchst unterschiedlicher Hitler-Gegner. Den Namen hatte die Gruppe von der Gestapo bekommen, die sowjetische Spione vermutete. Am 22. Dezember 1942 wurden elf Widerstandskämpfer hingerichtet.

Von Otto Langels |
    Johannes Haas-Heye (l), Bruder von Libertas Schulze-Boysen, und Hartmut Schulze-Boysen, Bruder von Harro Schulze-Boysen, halten am 26.07.1994 eine Gedenktafel für den Widerstandskämpfer Harro Schulze-Boysen in der Niederkirchnerstraße in berlin-Mitte, gegenüber der ehemaligen Prinz-Albrecht-Str. 8, dem einstigen Sitz der Gestapo. Das Anbringen der Gedenktafel sollte anläßlich des 58. Hochzeitstages von Harro und Libertas Schulze-Boysen erfolgen, scheiterte jedoch an der fehlenden Zustimmung des Bundesvermögensamtes. Harro Schulze-Boysen wurde 1942 als Mitglied der Widerstandsgruppe "Rote Kapelle" hingerichtet.
    Johannes Haas-Heye (l), Bruder von Libertas Schulze-Boysen, und Hartmut Schulze-Boysen, Bruder von Harro Schulze-Boysen, halten am 26.07.1994 eine Gedenktafel für den Widerstandskämpfer Harro Schulze-Boysen (picture-alliance / ZB)
    "Plötzlich klingelte es. Ich ging zur Tür, und davor standen drei Männer, die mir eine Polizeimarke zeigten."
    Im September 1942 verhaftete die Gestapo die Wirtschaftswissenschaftlerin und Übersetzerin Greta Kuckhoff. Sie gehörte zu einem Kreis Oppositioneller, die seit Mitte der 1930er-Jahre in Berlin zusammenkamen, um mögliche Aktionen gegen das NS-Regime zu diskutieren. Darunter waren Sozialisten und Liberale, gläubige Katholiken und Offiziere, Linke und Rechte wie der Pianist Helmut Roloff. Seine Witwe Inge Roloff:
    "Es waren auch Kommunisten dabei, natürlich. Es waren eben alle dabei. Und er persönlich war ja sein ganzes Leben lang ein Konservativer."
    Künstler, Studenten, Arbeiter, Beamte und Intellektuelle trafen sich in kleinen informellen Zirkeln um den Offizier Harro Schulze-Boysen und den Regierungsrat Arvid Harnack. Daraus entstand schließlich eine Oppositionsgruppe von rund 150 Personen.
    Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand:
    "Dieser Gruppe gehörten sehr viele Frauen auch an. Man könnte sagen, es ist die Gruppe im deutschen Widerstand, in der Männer und Frauen am meisten gemeinsam miteinander gekämpft haben."
    "Lasst euch nicht länger einschüchtern"
    Die Nazigegner halfen Verfolgten bei der Flucht, versorgten Zwangsarbeiter mit Lebensmitteln, versuchten, das Ausland über deutsche Kriegspläne zu informieren und klebten in der Hauptstadt regimefeindliche Zettel an die Hauswände. Im Frühjahr 1942 verbreitete die Gruppe die Parole: Dieser Krieg ist verloren.
    "Lasst euch nicht länger einschüchtern. Jede Hilfeleistung an das herrschende Regime führt uns alle noch tiefer ins Elend. Niemand kann noch länger die Augen verschließen vor der uns alle bedrohenden Katastrophe der nationalsozialistischen Politik."
    Hinter der namenlosen Organisation vermutete die Gestapo einen von Moskau gesteuerten kommunistischen Agentenring und nannte sie deshalb "Rote Kapelle". Das einzige Indiz: Einige Aktivisten hatten ein Mal - und dazu noch vergeblich - einen Funkkontakt nach Moskau herzustellen versucht. Darauf habe das NS-Regime die Legende vom sowjetischen Spionagenetz aufgebaut, so der Historiker Gerhart Sälter:
    "Die NS-Staatsführung, die war sehr daran interessiert, das anders vor Gericht darzustellen. Und deswegen wurde an diesem Konstrukt, die seien kommunistisch und die seien von Moskau gesteuert, daran wurde dann vor Gericht festgehalten."
    Im Sommer 1942 enttarnte die Gestapo die Widerstandsgruppe und verhaftete über 100 Männer und Frauen. Obwohl viele Beschuldigte Zivilisten waren, übernahm das Reichskriegsgericht die Verfahren und machte kurzen Prozess mit den Angeklagten. Am
    19. Dezember wurden elf Personen wegen Hochverrats zum Tode verurteilt, darunter Harro Schulze-Boysen und seine Ehefrau Libertas sowie Arvid Harnack und seine Frau Mildred. In der Todeszelle schrieb Harro Schulze-Boysen in seinem Abschiedsbrief:
    "Es ist nun soweit. Mag sein, dass wir nur ein paar Narren waren, aber so kurz vor Toresschluss hat man wohl das Recht auf ein bisschen ganz persönliche historische Illusion."
    Legende einer sowjetischen Spionageorganisation
    Am 22. Dezember 1942 wurden Harro Schulze- Boysen und seine Mitstreiter in Berlin-Plötzensee im Minutentakt erhängt beziehungsweise enthauptet. Insgesamt 30 Männer und 19 Frauen verurteilte das Militärgericht zum Tode, die meisten endeten durch den Strang oder das Fallbeil. Greta Kuckhoff hatte – sofern man das sagen kann - Glück, sie kam mit zehn Jahren Zuchthaus davon.
    Nach 1945 bestimmte die Legende von der "Roten Kapelle" als einer sowjetischen Spionageorganisation noch jahrzehntelang das Geschichtsbild in West- wie Ostdeutschland. Johannes Tuchel:
    "Im Westen wurde die 'Rote Kapelle' nicht als eine Widerstandsorganisation, sondern als eine Spionage-Organisation dargestellt. Im Osten Deutschlands war es so: Es war eine so genannte Kundschafterorganisation, die auf Weisung des sowjetischen Geheimdienstes in Deutschland Spionage für die gute Sache betrieben hätte. Tatsächlich aber ließ sich diese Spionage eben nie beweisen."
    Erst in jüngster Zeit zeichnen Historiker das Bild einer Gruppe, die ohne ideologische Scheuklappen unter Lebensgefahr gegen Hitler kämpfte. In seinem Abschiedsbrief schrieb Harro Schulze-Boysen kurz vor seiner Hinrichtung:
    "Alles, was ich tat, tat ich aus meinem Kopf, meinem Herzen und meiner Überzeugung heraus. Dieser Tod passt zu mir."