„Im Sommer 1941 wurde ich zum persönlichen Befehlsempfang zum Reichsführer-SS Himmler nach Berlin befohlen. Dieser sagte mir dem Sinne nach: Der Führer hat die Endlösung der Judenfrage befohlen. Wir, die SS, haben diesen Befehl durchzuführen.“
So Rudolf Höß am 15. April 1946 im ersten Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess. Der einstige Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz und des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau hatte den Mord an über einer Million Menschen, in ihrer Mehrzahl Juden aus Ost-, West- und Südeuropa, verantwortlich organisiert, beaufsichtigt und durchgeführt. In Nürnberg trat er als Zeuge auf. Möglich war das nur, weil man ihn nach seinem Untertauchen bei Kriegsende am 11. März 1946 - auf einem Bauernhof nahe Flensburg aufgespürt und verhaftet hatte.
Schnell zeigte sich: Höß war äußerst auskunftsbereit, als Zeuge vor Gericht, aber vor allem auch in seinen später verfassten autobiografischen Texten und gegenüber dem in Nürnberg tätigen, amerikanischen Gerichtspsychologen Gustave M. Gilbert. Ihm vertraute er bereits vor der Vernehmung als Zeuge an, dass der Massenmord in seiner Durchführung nicht „so schwierig“ war.
„Das Töten selbst nahm die wenigste Zeit in Anspruch. Man konnte 2.000 Menschen in einer halben Stunde erledigen, aber das Verbrennen kostete so viel Zeit. Das Töten war leicht; man brauchte nicht einmal Wachmannschaften, um sie in die Kammern zu treiben. Sie gingen einfach hinein, weil sie annahmen, sie würden dort duschen, und statt des Wassers stellten wir Giftgas an.“
Höß: "auf mich wirkte diese Vergasung beruhigend"
Bereits im Herbst 1941, also bald nach dem von Höß genannten Befehl Himmlers, hatten in Auschwitz und mit Billigung von Höß erste Morde mit Zyklon B stattgefunden. Die Opfer waren russische Kriegsgefangene. In seinen Aufzeichnungen schilderte Höß die Wirkung des ursprünglich als Schädlingsbekämpfungsmittel eingesetzten Blausäuregases:
„Ich selbst habe mir die Tötung, durch eine Gasmaske geschützt, angesehen. Der Tod erfolgte in den vollgepfropften Zellen sofort nach Einwurf. Nur ein kurzes, schon fast ersticktes Schreien, und schon war es vorüber. Ich muss offen sagen, auf mich wirkte diese Vergasung beruhigend, da ja in absehbarer Zeit mit der Massen-Vernichtung der Juden begonnen werden musste.“
Es ging, wie Höß in seinen Aufzeichnungen mit einer Art perversem Stolz bemerkte, um die „größte Menschen-Vernichtungsanlage aller Zeiten“. Wer von den Deportierten nicht gleich nach seiner Ankunft, nach viehischen Transporten, auf der Rampe in Auschwitz selektiert und ins Gas geschickt wurde, wer jung und kräftig genug schien, musste vor seinem Tod noch Sklavenarbeit leisten für die deutsche Industrie.
Unruheverbreiter wurden "unauffällig hinter das Haus geführt"
Fassungslos wurde Höß im Nürnberger Prozess gefragt, ob die sofort nach ihrer Ankunft ermordeten Menschen denn gewusst hätten, was ihnen bevorstand: „Zum größten Teil nicht, denn es waren Vorkehrungen getroffen, die sie darüber im Zweifel ließen und bei ihnen nicht den Verdacht erregen konnten, dass sie in den Tod gehen sollten.“
Ungesagt blieb in Nürnberg, was Höß kurz darauf in seinen Aufzeichnungen so beschrieb: „Machte sich Unruhe bemerkbar, so wurden die Unruheverbreiter unauffällig hinter das Haus geführt und dort mit dem Kleinkalibergewehr getötet.“
Am 25. Mai 1946 wurde Rudolf Höß an Polen ausgeliefert. Bis zum Beginn der Hauptverhandlung vor dem Obersten Volksgericht in Warschau entstanden im Krakauer Militärgefängnis über 30 autobiografische Texte. Vermittelt wird in ihnen neben erschütterndem Detailwissen über ein Menschheitsverbrechen die Verwandlung des Rudolf Höß: Aus einem rechtsradikalen Massenmörder sollte ein Tiere und Kinder liebender Familienmensch werden, schwankend zwischen Einsicht und Verleugnung. Noch in seinem letzten Brief aus der Haft an seine Frau heißt es am 11. April 1947:
„Als Kommandant für das Vernichtungslager Auschwitz war ich für alles, was dort geschah, voll und ganz verantwortlich, ob ich davon wusste oder nicht. Das Meiste von all dem Schrecklichen und Grauenhaften, was dort vorgekommen ist, erfuhr ich erst während der Untersuchung und während des Prozesses selbst.“
Am 2. April 1947 wurde das Todesurteil verlesen, 14 Tage später erfolgte die Hinrichtung in Auschwitz. Der Galgen stand keine hundert Meter von jenem Ort entfernt, wo Rudolf Höß mit seiner Familie gelebt hatte: Der "Dienstvilla" wird mutmaßlich einer seiner letzten Blicke gegolten haben.