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Vor 75 Jahren
Viktor Ullmanns letzte Klaviersonate im Ghetto vollendet

Der Komponist Viktor Ullmann verbrachte die letzten Jahre seines Lebens in einem Ghetto - wollte diese Zeit aber nicht nur als passives Leiden verstanden wissen. Am 22. August 1944, kaum zwei Monate vor seiner Ermordung durch die Nazis, beendete er seine 7. Klaviersonate.

Von Albrecht Dümling |
    Schwarze und weiße Tasten eines Klaviers
    Der Komponist Ullmann schuf in Theresienstadt mehrere Werke. (imago/blickwinkel)
    In der alten Festung Theresienstadt nördlich von Prag richteten die deutschen Besatzer ab 1941 ein Juden-Ghetto ein. Zeitweise waren hier 60.000 Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht. Den miserablen Lebensbedingungen zum Trotz organisierte die Jüdische Selbstverwaltung ein reiches Kulturleben, zu dem auch der Komponist und Kapellmeister Viktor Ullmann beitrug. Wegen seiner jüdischen Herkunft war dieser Schönberg-Schüler 1942 nach Theresienstadt eingeliefert worden. Dort betreute er als Leiter des Studios für Neue Musik Konzerte und schuf eigene Werke, darunter drei Klaviersonaten.
    Begonnen als "Theresienstädter Skizzenbuch"
    Im Februar 1944 begann Ullmann mit einem nachdenklichen Marsch ein Klavierwerk, das er zunächst als "Theresienstädter Skizzenbuch" bezeichnete. Dazu der Ullmann-Forscher Ingo Schultz:
    "Seine Überschrift 'Theresienstädter Skizzenbuch' lässt den episodischen Charakter der sechs oder sieben Sätze dieser ersten Version erahnen."
    Ullmann gab bald darauf seiner Komposition eine andere, strengere Form. Er nannte sie nun "Klaviersonate Nr. 7". Die 7. Klaviersonate, die mit einem heiteren Allegro beginnt, hat Ullmann 1944 seinen drei Kindern Max, Johannes und Felicia gewidmet. Sie hatten 1939 nach England ausreisen können und wurden somit gerettet. Der freundlichen Erinnerung an die Kinder ließ der Komponist vier weitere Sätze folgen.
    "In symmetrischer Konstruktion gruppierte er die nunmehr fünf Sätze um den zentralen langsamen Satz. Kopf- und Finalsatz, Nr. 1 und 5, als Sonatenhauptsatz beziehungsweise als Thema, Variationen und Fuge gestaltet, bilden die Eckpfeiler dieses Baues."
    Als Variationsthema im Finale wählte der Komponist eine schlichte, hebräische Melodie in Moll, die wie ein Klagegesang wirkt.
    "Unser Kunstwille war unserem Lebenswillen adäquat"
    Obwohl Viktor Ullmann als Anthroposoph nicht dem jüdischen Glauben anhing, solidarisierte er sich durch dieses Liedthema mit dem jüdischen Volk. Sein Komponieren verstand er als einen Akt des Widerstands:
    "Zu betonen ist, dass ich in meiner musikalischen Arbeit durch Theresienstadt gefördert und nicht gehemmt worden bin, dass wir keineswegs bloß klagend an Babylons Flüssen saßen und dass unser Kunstwille unserem Lebenswillen adäquat war."
    Diesem Lebenswillen entsprechend verwandelte der Komponist die Klagemelodie in ein energisches Fugenthema in D-Dur. Die Pianistin Edith Kraus, die in Theresienstadt mit Ullmann zusammengearbeitet hatte, beschrieb ihn als einen sehr ruhigen Menschen.
    "Er hat Distanz gehalten, man konnte nicht ganz intim werden mit ihm. Aber er war ein sehr feiner Charakter."
    Edith Kraus hat Ullmanns 6. Klaviersonate uraufgeführt, nicht jedoch die 7. Sonate, die er am 22. August 1944 vollendete. Auf das Titelblatt schrieb er: "Das Recht der Aufführung bleibt dem Komponisten bei Lebzeiten vorbehalten."
    Erst Jahrzehnte später uraufgeführt
    Ullmann hat diese Sonate noch zu einer Sinfonie umarbeiten wollen. Dazu ist es nicht mehr gekommen. Kaum zwei Monate später, am 16. Oktober 1944, wurde er nach Auschwitz abtransportiert und dort sofort ermordet. Seine in Theresienstadt entstandenen Werke konnten zum größten Teil gerettet werden und kamen viele Jahrzehnte später zur Uraufführung. Bald entstand dann auch die Orchesterfassung seiner 7. Klaviersonate, die Ullmann sich erträumt hatte.