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Vor 75 Jahren
Wahrsagerin Helen Duncan als "Hexe" verhaftet

Zwei britische Wahrsagerinnen in den 30er-Jahren: Geraldine Cummins und Helen Duncan. Doch während man Cummins als Staatsheldin feierte, wurde Duncan der Prozess gemacht - als Hexe. Die Spiritistin hatte Militärgeheimnisse während des Zweiten Weltkriegs verraten.

Von Ruth Rach |
    Die Wahrsagerin Birgit Vildebrand, beobachtet in ihrem Arbeitszimmer im sächsischen Delitzsch eine große Glaskugel.
    Wie es dazu kam, dass in Großbritannien eine Wahrsagerin in den 40er-Jahren als "Hexe" verurteilt wurde, zeigt die Geschichte von Helen Duncan (dpa-Zentralbild / Waltraud Grubitzsch)
    Leslie Price steht vor einer Fotowand des "College for Psychic Studies" im Herzen von London. Das Zentrum für parapsychologische Studien wurde vor über 100 Jahren gegründet, um sich mit übernatürlichen Phänomenen zu befassen. Leslie Price ist der Bibliothekar. Zwei Portraits von Wahrsagerinnen aus den 1930er-Jahren haben es ihm besonders angetan. Die Irin Geraldine Cummins - sie hat ein edles, aristokratisches Profil. Und Helen Duncan, 1897 in Schottland geboren: rundes Gesicht, naive Züge.

    "Geraldine Cummins war im Zweiten Weltkrieg als britische Spionin tätig, um staatsfeindliche Aktivitäten der irischen Republikaner zu beobachten. Sie wurde später als Heldin gefeiert. Helen Duncan hingegen wurde vom Geheimdienst ausgespäht. Sie wurde aufgrund bestimmter Wahrsagungen als Sicherheitsproblem empfunden."
    Am 19. Januar 1944 wurde Helen Duncan als "Hexe" verhaftet und vor Gericht gestellt. Der Prozess erregte landesweit Aufsehen.
    Der Ektoplasma-Betrug
    Leslie Price geht die steilen Treppen hoch. Im "College for Psychic Studies" werden bis heute Seancen abgehalten. Auch Helen Duncan hat Anfang der 30er-Jahre hier praktiziert.

    "Die Sitzungen fanden entweder im Dunkeln statt oder bei rotem Licht. Es gab zehn oder zwölf Teilnehmer und einen, der Notizen machte. Im Trancezustand brachte Helen Duncan dann Geistererscheinungen in den Raum und sprach mit Verstorbenen."

    Ein Phänomen brachte Helen Duncan allerdings schon früh in Schwierigkeiten. Angeblich sonderte sie bei manchen Seancen sogenanntes Ektoplasma ab, ein mysteriöses Fluidum, das die Gestalt von Verstorbenen angenommen haben soll. Anfang der 30er-Jahre entlarvte der Geisterjäger Harry Price den Vorgang als Betrug. Helen Duncans Ruf erlitt beträchtlichen Schaden.
    Eine Seance wird zur Staatsaffäre
    Dennoch waren ihre Seancen weiterhin populär. Vor allem nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, als immer mehr Hinterbliebene mit verstorbenen Angehörigen in Verbindung treten wollten. Ein Vorfall in der Hafenstadt Portsmouth wurde der Wahrsagerin zum Verhängnis.
    Leslie Price: "Während einer Seance im November 1941 erzählte Helen Duncan, das britische Schlachtschiff HMS Barham sei versenkt worden. Das habe ihr der Geist eines ertrunkenen Matrosen zugetragen. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Doch die offiziellen Stellen hüllten sich in Schweigen. Schließlich handelte es sich um ein Militärgeheimnis. Erst Ende Januar kam die Bestätigung, das Schlachtschiff sei von einem deutschen U-Boot versenkt worden. Inzwischen war der Inlandsgeheimdienst MI5 eingeschaltet. Helen Duncan wurde von zwei Agenten beschattet."
    Mit dem Witch-Craft Act gegen Feindbegünstigungen
    Aber woher hat Helen Duncan ihre Informationen bezogen? Einer Theorie zufolge waren Angehörige der ertrunkenen Matrosen von dem Unglück informiert worden und Helen Duncan hatte zufällig davon erfahren. Wie dem auch sei, den britischen Sicherheitsdiensten lag vor allem daran, weitere Indiskretionen auszuschalten, die dem Feind zugute kommen und die Moral der Bevölkerung hätten unterminieren können.
    Im Januar 1944 wurde eine Seance in Portsmouth gesprengt, rund fünf Monate vor dem D-Day, der Landung der Alliierten in der Normandie. Helen Duncan wurde unter Anklage gestellt. Die Justiz berief sich auf den Witchcraft Act, ein Hexengesetz aus dem Jahr 1735. Ein ungewöhnlicher Schritt, findet Laura Kounine, Historikerin an der Universität Sussex.

    "Wie verwunderlich, diesen altertümlichen Witchcraft Act anzuwenden. Und das im 20. Jahrhundert. Normalerweise galt für angebliche spiritistische Medien ein viel milderes Gesetz, sie hatten schlimmstenfalls Geldstrafen zu erwarten. Helen Duncan hingegen bekam neun Monate Haft. Das hatte sicher damit zu tun, dass man sie 1944 tatsächlich für gefährlich hielt."
    Der Kampf um Rehabilitierung
    Vier Monate nach dem D-Day wurde Helen Duncan aus dem Gefängnis entlassen. Der Witchcraft Act wurde erst im Jahr 1951 abgeschafft. Helen Duncan starb im Dezember 1956. Ihre Nachfahren kämpfen bis heute um ihre Rehabilitierung. Sie sind überzeugt, dass die britischen Sicherheitsdienste auch bei der Prozessführung eine Rolle spielten. Unlängst freigegebene Dokumente scheinen dies zu bestätigen. Aber die wichtigsten Unterlagen sind bis heute geheim.