Wie immer, so auch an diesem 20. Oktober 1943, kamen sie im Morgengrauen. Das unverkennbare Geräusch der eisenbeschlagenen Stiefel, das Hämmern gegen die Wohnungstür, das Gebrüll im Befehlston – Irena Sendler wusste, wer im Hausflur stand: die Gestapo.
"Als die Gestapo-Männer mir befahlen, mich anzuziehen, war ich – obwohl das unglaublich klingen mag – glücklich, denn ich wusste, dass die Liste der geretteten Kinder nicht in ihre Hände gefallen war. Ich hatte es so eilig, dass ich in Hausschuhen aus der Wohnung ging; mein einziger Gedanke war, dass diese Verbrecher so schnell wie möglich das Haus verlassen sollten."
Es war Irenas Glück, dass die Deutschen die 32-jährige Frau zunächst für ein eher unbedeutendes Mitglied des polnischen Widerstandes hielten. Eine Freundin hatte zwar unter der Folter Irenas Tarnnamen verraten: Jolanta. Doch die Gestapo vermochte ihn nicht mit Irena Sendler zu identifizieren.
Es war Irenas Glück, dass die Deutschen die 32-jährige Frau zunächst für ein eher unbedeutendes Mitglied des polnischen Widerstandes hielten. Eine Freundin hatte zwar unter der Folter Irenas Tarnnamen verraten: Jolanta. Doch die Gestapo vermochte ihn nicht mit Irena Sendler zu identifizieren.
"Die Deutschen wussten, dass eine geheime Organisation existierte, die Juden rettete. Aber sie kannten keine Einzelheiten – weder ihren Namen noch ihren Sitz, noch ihre Mitarbeiter. Man versprach mir, mich sofort zu entlassen, wenn ich alles verriet."
Trotz schwerster Folterung verriet sie nichts
Aber die Sozialarbeiterin und Krankenschwester Irena Sendler, die sich mit diesen Worten an den Tag ihrer Verhaftung in Warschau erinnerte, verriet nichts, trotz schwerster Folterungen. Ihre Peiniger erfuhren nichts von ihrer konspirativen Mitgliedschaft in der Polnischen Sozialistischen Partei oder gar von ihrer Leitung des Kinderschutzreferates innerhalb des Zegota, des Rates für die Unterstützung der Juden – einer geheimen Organisation, die sich im okkupierten Polen der Rettung von Juden verschrieben hatte.
Diese Aufgabe bekam eine neue, radikale Dringlichkeit, nachdem die Deutschen ab Mitte 1940 mit gewohnter Brutalität einen "Jüdischen Wohnbezirk in Warschau" einzurichten begannen: das Warschauer Getto, ein Sammellager für polnische und deutsche Juden, aber auch für solche aus den von der Wehrmacht bis dahin besetzten Ländern. Nach ihrer Deportation in diese Hölle verhungerten die Menschen, sie starben durch Seuchen oder wurden erschlagen und erschossen. Wer das überlebte, verlor sein Leben im deutschen Vernichtungslager Treblinka:
"Als die Deutschen beschlossen, das jüdische Volk zu vernichten, konnte ich das nicht gleichgültig hinnehmen. Um den bedürftigen Juden helfen zu können, mussten wir wissen, wie wir sie am schnellsten erreichen. Und wir mussten hunderte Dokumente fälschen. Für mich und meine Kollegin Irena Schultz besorgte ich Dienstausweise der Sanitätskolonne, zu deren Aufgaben die Bekämpfung ansteckender Krankheiten gehörte. Solche Ausweise legalisierten bis April 1943 unseren Zutritt zum Getto."
Organisation der Rettung jüdischer Kinder
Und ermöglichten erst die Rettung der Kinder. Die mit einem leichten Schlafmittel sedierten Babys und Kleinkinder wurden oft in Koffern und Kisten transportiert, mit den älteren suchte man einen Weg durch die Kanalisation. Noch am Tag ihrer Verhaftung blieb für Irena Sendler nur eins von Bedeutung: Die Liste mit den bis dahin 2.500 geretteten Kindern aus dem Warschauer Getto war nicht in die Hände der deutschen Mörder geraten. Im letzten Moment hatte sie das Einmachglas mit dem Verzeichnis verbergen können.
Notiert waren hier nicht allein die Namen, sondern auch die Herkunft der Kinder. Irena Sendler hatte die kühne Hoffnung, den geretteten Kindern einmal den Weg zurück zu ihren Eltern zu ermöglichen oder doch wenigstens deren Namen und Lebensdaten zu erhalten. Auf dem geheimen Papier waren zudem die Helfer und Unterstützer verzeichnet. Denn bei der unermüdlich organisierten Ausschleusung konnte es nicht bleiben, die Geretteten mussten auch irgendwo unterkommen.
Auch dabei half Irena Sendler, sie brachte die Kinder mithilfe des Zegota in sogenannten Ersatzfamilien unter, in von den Deutschen geduldeten Heimen oder auch in Partisanengruppen, wo schließlich etwa 100 Jugendliche zwischen 15 und 16 Jahren eine Bleibe fanden. Bis an ihr Lebensende hatte sie das Schicksal der Kinder im Sinn:
"Oft dachte ich darüber nach, wie ihr weiteres Leben wohl sein würde. Ich wusste, dass die schrecklichen Kriegserlebnisse ihr künftiges Leben prägen würden. Dieser Zustand lässt sich bei allen beobachten, die die Hölle der nationalsozialistischen Verbrechen überstanden haben. In ihnen dauert das Drama des Krieges bis heute an."
Irena Sendler starb, schließlich hochgeehrt, 2008 im Alter von 98 Jahren.