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Vor 80 Jahren
Als die sowjetischen Massendeportationen aus dem Baltikum begannen

In einem geheimen Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Pakts von 1939 stand, dass die baltischen Staaten im Kriegsfall an die Sowjets fallen würden. Kurz darauf bereitete Moskau die Annexion vor. Ab dem 14. Juni 1941 wurden 50.000 Menschen verhaftet und in Güterzügen nach Sibirien deportiert.

Von Otto Langels |
    Ein Farbfoto zeigt eine Anhöhe auf einer Wiese übersät unzähligen Metallkreuzen jeglicher Größe
    Der Berg der Kreuze nahe Šiauliai. Hier sollen unzählige Kreuze an die Opfer der sowjetischen Besatzung Litauens erinnern. Der Wallfahrtsort wurde zum politischen Symbol gegen die Herrschaft der Sowjets in Litauen (picture alliance / Zoonar / Konrad Weiß)
    "Die Reichsregierung und die Sowjetregierung sind übereingekommen, einen Nichtangriffspakt miteinander abzuschließen. Der Reichsminister des Äußeren von Ribbentrop begab sich auf dem Luftwege nach Moskau, um die Verhandlungen zum Abschluss zu bringen."
    Am 24. August 1939 unterzeichneten der deutsche und sowjetische Außenminister den sogenannten Hitler-Stalin-Pakt. In einem geheimen Zusatzprotokoll wurden Polen und die baltischen Staaten in Interessensphären aufgeteilt. Große Teile Polens fielen im Kriegsfall an Nazi-Deutschland [*], das Baltikum an die Sowjetunion.
    Monografie - "Der Pakt"
    Am 23. August 1939 besiegelten die Sowjetunion und das Deutsche Reich einen Nichtangriffspakt, den sogenannten Hitler-Stalin-Pakt. Ein geheimes Zusatzprotokoll regelte die Aufteilung Polens.
    Nach dem Überfall der Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939 begannen in Moskau die Vorbereitungen zur Annexion Estlands, Lettlands und Litauens. Deren Außenminister wurden in die sowjetische Hauptstadt beordert, um ihnen mitzuteilen, dass die baltischen Staaten den militärischen Rückhalt der Sowjetunion benötigten. Dazu der Osteuropa-Historiker Joachim Tauber von der Universität Hamburg.
    "Die Sowjets fordern also diesen bilateralen Beistandsvertrag, das Eigentliche ist aber, sie fordern im Rahmen dieser Beistandsverpflichtung die Stationierung der Roten Armee in allen drei baltischen Staaten in exterritorialen Basen."

    1940 begann das sowjetische Terrorregime im Baltikum

    Während die Wehrmacht Westeuropa überrollte und im Juni 1940 kurz vor Paris stand, besetzten Truppen der Roten Armee das Baltikum und errichteten ein Terrorregime. 50 Jahre später erinnerte der estnische Staatspräsident Arnold Rüütel an den Juni 1940:
    "Mit der Annexion der baltischen Staaten im Sommer 1940 begann die Zurückdrängung und auch die Vernichtung des Volkes. In den Jahren 1940 und 41 wurden die Staatsmänner, Politiker und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die Offiziere und Beamten sowie der aktive Teil der Intelligenz ausgeschaltet."
    Eine Kariktatur von David Low, der Hitler (r.) und Stalin zeigt, nachdem sie ihren Nicht-Angriffspakt unterzeichnet haben.
    Hitler-Stalin-Pakt - Russlands Heroisierung der Vergangenheit
    Am 23. August 1939 unterzeichneten Hitler-Deutschland und die Sowjetunion einen Nichtangriffspakt. Stalin wird dafür nach heutiger russischer Lesart kein Vorwurf gemacht.
    Stalin-treue Regierungen übernehmen die Macht, weil – so die sowjetische Begründung - die bisherigen reaktionären Regierungen Politik gegen Moskau betrieben. Am 14. Juni 1941 beginnen die Razzien und Massendeportationen von vermeintlichen und tatsächlichen Sowjet-Gegnern. Joachim Tauber zitiert aus den Aufzeichnungen eines damals 12-jährigen Jungen:
    "Der hat 1990 seine Erinnerungen geschrieben, dass die also kommen, ein örtlicher Parteifunktionär, Rotarmisten, die Wohnung nachts stürmen, einen Durchsuchungsbefehl vorlegen, und sein Vater springt aus dem Fenster im ersten Stock und versucht zu fliehen. Und der Rotarmist schießt also dann.". Der Vater ergibt sich, die Familie wird festgenommen, auch der 12-jährige Sohn.

    Deportationslisten nach Sibirien

    Die Verhaftungskommandos kommen ohne Vorwarnung mit vorbereiteten Listen in die Wohnungen, nehmen die Menschen mit und bringen sie in Lkw zu Sammelstellen an den Bahnhöfen. Einige können jedoch entkommen. Vytautas Landsbergis, ehemaliger Präsident Litauens erinnert sich:
    "Bei uns im Haus wurden Leute versteckt, die auf der Deportationsliste nach Sibirien standen. Viele Freunde sind als Partisanen in die Wälder gegangen, aber es gab auch Litauer, die mit den Russen gegen ihr eigenes Volk paktierten."

    Tausende starben durch Hunger oder Zwangsarbeit

    Schätzungsweise 50.000 bis 65.000 Menschen werden in ungeheizten Viehwaggons nach Sibirien transportiert, darunter Angehörige dieser Litauerin:
    "Meinen Vater haben sie nach Sibirien deportiert, er ist dann irgendwann zurückgekommen, aber lange gelebt hat er nicht mehr. Und genauso erging es der Tante von meiner Freundin hier, die ist auch deportiert worden."
    Unter den Deportierten sind viele Frauen, Kinder und ältere Menschen. Die Männer stellt man vor Untersuchungsausschüsse, Hunderte werden zum Tode verurteilt und erschossen. Andere sterben an den Folgen von mangelnder Ernährung, Kälte und Zwangsarbeit.
    Angehörige der russischsprachigen Minderheit in Lettland gedenken am sowjetischen Siegesdenkmal in Riga dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Sieg Russlands über Nazi-Deutschland
    Komplizierte Geschichte - Lettland und seine russischsprachige Minderheit
    Etwa ein Viertel der lettischen Bevölkerung sind russische Muttersprachler. Das hängt überwiegend mit der sowjetischen Okkupation nach dem Zweiten Weltkrieg zusammen. Und führt in dem kleinen Land im Baltikum bis heute zum Streit.
    Noch während der Deportationen überfällt die deutsche Wehrmacht am 22. Juni 1941 die Sowjetunion und besetzt kurz darauf die baltischen Staaten. Einsatzgruppen und SS ermorden mehr als 200.000 Juden. Nach der Rückeroberung des Baltikums durch die Rote Armee veranlasst Moskau weitere Massendeportationen in den Jahren 1945 und 49. Die Überlebenden können erst nach Stalins Tod Ende der 1950er-Jahre aus Sibirien in ihre Heimat zurückkehren.
    Erst nach dem Untergang der Sowjetunion erlangen Estland, Lettland und Litauen ihre Unabhängigkeit zurück. Seitdem ist der 14. Juni im Baltikum ein offizieller Gedenktag.

    [*] Anm. d. Redaktion: An dieser Stelle haben wir die Ortsangabe präzisiert.