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Vor 80 Jahren
Deutscher Überfall auf Sowjetunion - Auftakt eines epochalen Verbrechens

Nach dem Beginn des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941, rechneten Adolf Hitler und die Wehrmacht-Führung mit einem Feldzug von höchstens zwei Monaten. Eine grandiose Fehlspekulation: Der Nimbus der Unbesiegbarkeit der Wehrmacht war bald gebrochen.

Von Volker Ullrich |
    Ein historisches Farbfoto zeigt die Trümmer zweier Panzer an der Böschung eines Kanals
    Drei Tage nach dem deutschen Überfall auf die UdSSR - abgeschossene sowjetische Panzer in der Ukraine bei Radziechow, fotografiert am 25. Juni 1941 (picture alliance / akg-images |)
    Am 22. Juni 1941, um 3.15 Uhr, fielen 160 deutsche Divisionen mit mehr als drei Millionen Soldaten und über 3.000 Panzern in die Sowjetunion ein. Zwei Stunden später erklangen über alle deutschen Sender zum ersten Mal Fanfarentöne aus Franz Liszts "Les Préludes".
    Anschließend verlas Propagandaminister Joseph Goebbels Hitlers "Proklamation an das deutsche Volk". Darin wurde der Überfall auf die Sowjetunion gerechtfertigt als präventive Abwehr einer angeblich von Moskau ausgehenden Bedrohung:
    "Niemals hat das deutsche Volk gegen die Völkerschaften Russlands feindselige Gefühle gehegt. Allein seit über zwei Jahrzehnten hat sich die jüdisch-bolschewistische Machthaberschaft von Moskau aus bemüht, nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa in Brand zu stecken (…) Wenn ich aber bisher durch die Umstände gezwungen war, immer wieder zu schweigen, so ist doch jetzt der Augenblick gekommen, wo ein weiteres Zusehen nicht nur eine Unterlassungssünde, sondern ein Verbrechen am deutschen Volke, ja an ganz Europa wäre."

    Hitlers strategisches Kalkül

    Seinen Entschluss, die Sowjetunion anzugreifen, hatte Hitler bereits im Sommer 1940 gefasst. Der überraschend schnelle Erfolg des Westfeldzugs hatte zwar zum Ausscheiden Frankreichs aus dem Krieg geführt, aber England nicht friedensbereit gemacht. Alles deutete darauf hin, dass die Briten unter Premierminister Winston Churchill ihren Widerstand entschlossen fortsetzen würden.
    "Ist aber Russland zerschlagen, dann ist Englands letzte Hoffnung getilgt. Der Herr Europas (…) ist dann Deutschland",

    Tarnname "Fall Barbarossa"

    eröffnete Hitler den Spitzen der Wehrmacht am 31. Juli 1940. Mit dem strategischen Kalkül verband sich die Aussicht, das schon lange geplante Ziel einer Eroberung von "Lebensraum im Osten" zu verwirklichen. Endgültig fest legte sich der Diktator nach dem Besuch des russischen Außenministers Molotow in Berlin im November 1940, der keine Verbesserung in den zunehmend angespannten Beziehungen gebracht hatte. Am 18. Dezember unterzeichnete Hitler die "Weisung Nr. 21" für den "Fall Barbarossa", wie der Tarnname lautete. Darin hieß es einleitend:
    "Die deutsche Wehrmacht muss darauf vorbereitet sein, auch vor Beendigung des Krieges gegen England Sowjetrussland in einem schnellen Feldzug niederzuwerfen."
    Das Unternehmen mit dem Decknamen "Barbarossa"
    Auf den Überfall Hitler-Deutschlands auf die Sowjetunion folgte ein grausam geführter Vernichtungskrieg, den die Sowjetunion unter Stalin zwar gewann, aber um einen hohen Preis.

    Von Beginn ein rassistischer Vernichtungskrieg

    Am 30. März 1941 versammelte Hitler die gesamte höhere Generalität in der Neuen Reichskanzlei, um sie auf den Feldzug einzuschwören. Dabei ließ er keinen Zweifel daran, dass das "Unternehmen Barbarossa" von Anfang an als ein beispielloser rassistischer Eroberungs- und Vernichtungskrieg geführt werden sollte. Generalstabschef Franz Halder hielt in seinem Tagebuch fest:
    "Kampf zweier Weltanschauungen gegeneinander (…) Wir müssen vom Standpunkt des soldatischen Kameradentums abrücken. Der Kommunist ist vorher kein Kamerad und ist nachher kein Kamerad. Es handelt sich um einen Vernichtungskampf."

    Goebbels versprach einen "Siegeszug ohnegleichen"

    Dennoch äußerte keiner der Generäle Bedenken. Im Gegenteil: Die Wehrmachtführung beeilte sich, Hitlers Vorgaben für den "Weltanschauungskrieg" in konkrete Anweisungen zu übersetzen, darunter den sogenannten Kommissarbefehl, der den Truppenführern zur Pflicht machte, gefangene sowjetische Politkommissare auf der Stelle zu liquidieren. Und Goebbels prophezeite wenige Tage vor Beginn des Feldzugs:
    "Es wird ein Massenangriff allergrößten Stils, wohl der gewaltigste, den die Geschichte je gesehen hat (…) Der Bolschewismus wird wie ein Kartenhaus zusammenbrechen. Wir stehen vor einem Siegeszug ohnegleichen."

    Fast 27 Millionen Kriegstote in der Sowjetunion

    Doch Hitler und seine Ratgeber hatten die Widerstandskraft der Roten Armee gröblich unterschätzt. Mit dem Steckenbleiben des deutschen Angriffs vor Moskau und dem Beginn der russischen Gegenoffensive Anfang Dezember 1941 war das "Unternehmen Barbarossa" gescheitert und der Nimbus der Unbesiegbarkeit der Wehrmacht gebrochen. Fast 27 Millionen Menschen kamen in der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg ums Leben.
    Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier besucht anlässlich des 80. Jahrestags des Überfalls Deutschlands auf die Sowjetunion die Ausstellung "Dimensionen des Verbrechens" im Deutsch-Russischen Museum Berlin-Karlshorst.
    Beck (Grüne) - "Für Steinmeiers Rede hätte ich mir einen anderen Ort gewünscht"
    Das Deutsch-Russische Museum sei nicht der richtige Ort für die Rede des Bundespräsidenten zum 80. Jahrestags des deutschen Überfalls, sagte die ehemalige Grünen-Abgeordnete Marieluise Beck. Russland werde zu stark in den Vordergrund gerückt.
    Kein anderes Land hat so unter der barbarischen deutschen Kriegführung und der ebenso barbarischen Besatzungsherrschaft gelitten. Erst die beiden Wehrmachtausstellungen des Hamburger Instituts für Sozialforschung von 1995 und 2001 haben einer breiteren Öffentlichkeit in Deutschland vor Augen geführt, dass dieser Vernichtungskrieg ein epochales Verbrechen war.