"Das Experiment war so konzipiert, dass Gewicht und Preis möglichst niedrig sind. Forschungsgelder waren damals ein großes Thema. Sie waren äußerst limitiert."
1930, das California Institute of Technology. Der junge Physiker Carl David Anderson schraubt eine Apparatur zusammen, die ein damals rätselhaftes Phänomen sichtbar machen soll - die kosmische Strahlung, ein Hagel aus schnellen Teilchen aus dem All, der laufend auf die Erde trifft. Ihre Spuren lassen sich mit speziellen Geräten festhalten, den Nebelkammern. Mit seinem Billig-Modell will Anderson die kosmische Strahlung näher erforschen - zunächst mit mäßigem Erfolg, wie er sich 1966 in einem Interview mit dem American Institute of Physics erinnert:
"Ich habe die Teilchenspuren fotografiert. Doch die Aufnahmen waren nicht sehr gelungen. Das Hintergrundlicht war zu hell, und ich hatte Probleme mit der Bildschärfe."
Ein unerwarteter Fund
Nach und nach verbessert Anderson seine Apparatur. Schließlich kann er wie erwartet beobachten, wie Elektronen, also elektrisch negativ geladene Teilchen, durch seine Nebelkammer schießen, wobei ihre Bahn von einem starken Magneten gekrümmt wird. Doch dann, am 2. August 1932, fällt ihm auf einem der Fotos etwas Seltsames auf, so Georg Weiglein, Teilchenphysiker am Forschungszentrum DESY in Hamburg.
"Da ist etwas durch meine Apparatur durchgegangen, das eine positive Ladung trägt. Und von der Krümmung her konnte man sehen, dass die Masse in etwa die des Elektrons sein müsste. Das war sehr überraschend."
Anderson hatte ein Teilchen entdeckt, das ebenso schwer war wie ein Elektron, dabei aber positiv geladen statt negativ. Ein obskurer Fund, auf den sich zunächst niemand einen Reim machen konnte. Doch dann erinnerte sich die Fachwelt daran, dass der britische Theoretiker Paul Dirac ein paar Jahre zuvor die Existenz eines positiv geladenen Elektrons vermutet hatte. Ebendiese Prophezeiung fand sich nun durch Andersons Experiment bestätigt - unbeabsichtigt und zufällig.
"Es war jedenfalls eine Entdeckung, die dann dazu geführt hat, dass man dieses Teilchen auch wirklich ernst genommen hat und erkannt hat, dass es da eben ein Partnerteilchen zum Elektron gibt."
Anderson hatte das Antiteilchen des Elektrons gefunden. Auf Anregung eines Kollegen bezeichnete er es als Positron.
"Für die Physik ist das ein enormer Fortschritt gewesen. Was da gefunden wurde, ist keine spezielle Sache, die nur das Elektron betrifft. Sondern jedes Teilchen, das wir kennen, hat einen Partner, ein Antiteilchen. Und dieses Zusammenspiel zwischen Materie und Antimaterie in der Natur ist also etwas ganz Fundamentales."
Normalität mit umgekehrten Vorzeichen
Antimaterie ist die Spiegelversion der normalen Materie. Antiteilchen sind wie Teilchen - nur mit umgekehrten Vorzeichen, etwa was die elektrische Ladung anbelangt. Dass es aus Sicht der Physiker Antimaterie geben muss, liegt letztlich an Albert Einstein, genauer gesagt an seiner Gleichung E=mc2. Das E steht für Energie, das m für Masse. Die berühmteste Formel der Welt besagt also, dass sich Energie - etwa in Form von Licht - in Masse umwandeln kann und umgekehrt. Allerdings klappt das nur unter einer Bedingung.
"Ladung, elektrische Ladung, kann nicht einfach erzeugt werden oder verschwinden. Sondern die Gesamtladung ist erhalten. Das Photon, das Lichtteilchen, trägt keine elektrische Ladung. Das heißt aus dem Photon kann ein Elektron werden, dass elektrische Ladung -1 trägt. Aber dann brauche ich etwas dazu, dass positive elektrische Ladung hat, sodass die Summe wieder bei Null ist."
Und dieses Etwas ist das Positron. Als Gegenspieler des Elektrons sorgt es für eine ausgeglichene Bilanz - die Natur ist in dieser Hinsicht ein pedantischer Buchhalter. In Beschleunigern lässt sich Antimaterie gezielt erzeugen, wenn auch nur in winzigsten Mengen. Auch beim Zerfall von radioaktiven Präparaten können Positronen entstehen. Genau das machen sich Mediziner zunutze, wenn sie mit sogenannten PET-Scannern nach Tumoren im Frühstadium fahnden. Und es gab auch schon Spekulationen, dass irgendwo im Universum ganze Galaxien aus Antimaterie bestehen.
"Es lässt sich nicht völlig ausschließen. Aber in dem für uns beobachtbaren Teil des Universums gibt es also keinerlei Hinweise darauf, dass sowas im Universum irgendwo existieren könnte."
Mit 31 Jahren mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet
Und Carl David Anderson? 1936 erhielt der damals 31-Jährige den Physik-Nobelpreis. Nur dass er sein Teilchen als Positron bezeichnet hatte, sollte er später bereuen. Denn vom Namen her ist das Positron ein Ausreißer - alle anderen Antiteilchen beginnen schlicht mit der Vorsilbe "Anti".
"Vielleicht wäre Anti-Elektron der bessere Name gewesen - Elektron und Antielektron."