"Die 'Eiserne Lunge' ist erfunden worden als Not-Instrument zur künstlichen Beatmung", sagt der Heidelberger Medizinhistoriker Wolfgang Eckart.
"Am nächsten Morgen, als das Mädchen schon im Koma lag, wurde es in die Maschine geschoben. Nach ein oder zwei Minuten kam es wieder zu sich. Wenig später fragte es nach Eiskrem. Fast alle, die dabei waren, brachen in Tränen aus", erinnert sich der US-amerikanische Kinderarzt Charles McKhann. Am 11. Oktober 1928 war ein achtjähriges Kind ins Children’s Hospital in Boston eingeliefert worden. Die Diagnose: Kinderlähmung. Polio. Das Kind litt unter Lähmungen, es rang nach Atem. Sein Zustand schien aussichtslos.
Erfolgreiche Premiere am 12. Oktober 1928
McKhann wusste: In direkter Nachbarschaft, an der Bostoner Harvard University, war der Ingenieur Philip Drinker mit der Entwicklung einer Beatmungsmaschine beschäftigt. Gedacht war sie eigentlich zur Behandlung von Opfern von Stromschlägen und Gasvergiftungen. McKhann überzeugte Drinker, das neuartige Gerät auszuprobieren. Die Premiere am 12. Oktober 1928 glückte: "Obwohl die erste Patientin einige Tage später an Lungenentzündung starb, war das Prinzip der externen Atemhilfe damit eingeführt." Philip Drinker entwickelte seine Erfindung weiter. 1929 meldete er sie zum Patent an und stellte sie der Öffentlichkeit vor.
Kernstück des Gerätes, dem Journalisten schnell den Namen "Eiserne Lunge" gaben, war ein Metallzylinder. In diesem lag der Patient. Nur der Kopf schaute heraus, so der Heidelberger Medizinhistoriker Wolfgang Eckart: "Und der Hintergrund war der, dass man versucht hat, Unterdruck in einer Kammer herzustellen, um den Brustkorb anzuheben und ihn dann regelmäßig durch Überdruck wieder fallen zu lassen. Das heißt also, die Funktion des Brustkorbs zu imitieren und zu übernehmen. Und mit dieser Methode konnten die Patienten dann wirklich überleben. … Das war eine richtige passive Beatmung mit massiven technischen Geräten. Die ersten ‚Eisernen Lungen‘ wogen fast eine Tonne, waren unglaublich schwer…"
Lebensretter "Eiserne Lunge"
Behandelt wurden mit der "Eisernen Lunge" vor allem Menschen mit Kinderlähmung. Seit Ende des 19. Jahrhunderts kam es immer wieder, alle fünf bis sechs Jahre, zu weltweiten Polio-Epidemien. Wolfgang Eckart "Sie trat regelmäßig in den Sommermonaten auf, und das Perfide bei dieser Krankheit ist: Sie tritt extrem plötzlich auf. Ein Kind oder ein Erwachsener geht abends vollkommen gesund ins Bett und wacht morgens mit schweren Lähmungen auf. An den Armen meistens zuerst, dann an den Extremitäten und dann auch sehr schnell im Atmungsbereich. Diese Patienten ersticken zwangsläufig, wenn man ihnen nicht hilft."
Anfang der 30er Jahre brach in den USA erneut eine Polio-Epidemie aus. "Die hat dazu geführt, dass man überlegte: Wie können wir die Stückzahlen vergrößern und auch den Preis dieser 'Eisernen Lunge' reduzieren?", erläutert Wolfgang Eckart. Die "Eisernen Lungen" wurden leichter - und damit transportabel. Die Stromversorgung der Geräte wurde verbessert. Die "Eiserne Lunge" ging in die Serienproduktion. Erste Beatmungszentren für Polio-Patienten entstanden.
"Viele haben Platzangst bekommen. Viele haben sich lebendig begraben gefühlt in diesen Kapseln, und sich an ein Leben in diesen Maschinen zu gewöhnen, stelle ich mir vor, muss sehr schwer gewesen sein", sagt Wolfgang Eckart. Die "Eiserne Lunge" rettete Leben. Aber: Die Patienten waren in dem Gerät gefangen. "Das ist keine Isolationsfolter. Auf den Hochphasen der Epidemie wurden zum Teil ganze Turnhallen mit diesen 'Eisernen Lungen' gefüllt. Das heißt, dass dann bis zu hundert 'Eiserne Lungen' in einer solchen Turnhalle standen. Einsam waren die nicht in der Lunge - aber bewegungsunfähig."
60 Jahre in der "Eisernen Lunge"
Viele Patienten benötigten die maschinelle Atemhilfe nur kurze Zeit. Einige Tage oder Wochen. Bis sie wieder aus eigener Kraft atmen konnten. Wolfgang Eckart: "Aber es gab eben auch Fälle, in denen Patientinnen und Patienten Jahrzehnte in diesen 'Eisernen Lungen' zugebracht haben. Und da kann man schon sagen: Die sind im wahrsten Sinne des Wortes von diesen Maschinen geschluckt worden."
Mitte der 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts wurde es möglich, Kinder vor einer Ansteckung mit Polio zu schützen. "Kinderlähmung ist grausam. Schluckimpfung ist süß." Große Impfkampagnen führten nach und nach zum Verschwinden der Krankheit in der westlichen Welt. Damit ging auch die Ära der "Eisernen Lunge" zu Ende. Die Produktion der Geräte wurde 1970 eingestellt. Die Wartungsverträge liefen 2004 aus. Die letzte Patientin, die Australierin June Middleton, starb 2009. Sie hatte 60 Jahre lang in der "Eisernen Lunge" gelebt.