In New York war der 20. Mai 1927 ein nasser, trüber Tag. Dennoch standen frühmorgens hunderte Neugierige auf einem Flugplatz auf Long Island. Kameras hielten fest, wie Charles Lindbergh ins Cockpit seines Flugzeugs kletterte. Kurz vor acht rollte die Maschine über die aufgeweichte Startbahn, gewann mühsam an Höhe, überflog nur knapp eine Telefonleitung und entschwand am grauen Himmel. Lindbergh war auf dem Weg nach Paris. Vor ihm lagen fast sechstausend Kilometer, die Hälfte davon über offener See.
Schon 1919 war den Briten John Alcock und Arthur Brown der Nonstop-Flug von Neufundland nach Irland geglückt. Kaum jemand kennt noch ihre Namen, Lindbergh dagegen wurde ein Superstar.
An seinen Erfolg glaubte keiner
"Als Ansporn für die mutigen Flieger möchte ich einen Preis von fünfundzwanzigtausend Dollar aussetzen für den ersten Flieger aus einem alliierten Land, der den Atlantik in einem Flug von Paris nach New York oder von New York nach Paris überquert."
Auch diese Offerte machte ein New Yorker Hotelier schon 1919. Jahrelang riskierte niemand eine so lange Strecke, doch als die Technik voranschritt, entbrannte 1926 ein Wettkampf um den Preis. Als Lindbergh startete, waren schon sechs Konkurrenten tödlich verunglückt, und ihm traute man den Erfolg am wenigsten zu. Denn der fünfundzwanzigjährige Berufspilot und Reserveoffizier der Luftwaffe wollte als einziger allein fliegen, und nicht mit einer modernen, dreimotorigen Maschine, sondern mit einer kleinen Kiste mit nur einem Motor.
"Lindberghs Flugzeug über Halifax gesehen." - "Lindbergh weit draußen über dem Atlantik, nachdem er die Küste bei St. Johns auf Neufundland verlassen hat."
Ein frühes Massenmedienereignis
Während Lindbergh mit Eisregen, Sturmwolken und Müdigkeit kämpfte, verfolgte Amerika gebannt jede Sichtung seines Flugzeugs. Die Zwanzigerjahre erlebten auch eine Medienrevolution: mit schnell gedruckten Extrablättern, Radio und Kinowochenschauen war das Publikum nun hautnah dabei.
"Geschafft! Charles A. Lindbergh – Lucky Lindy, wie er genannt wird - landet auf dem Flugplatz Le Bourget, Paris, um 5 Uhr vierundzwanzig."
In Paris war es zehn Uhr vierundzwanzig am Abend. Seit Stunden strömten Schaulustige zum Flugplatz hinaus. Als das silberne Flugzeug im Scheinwerferlicht erschien, rannte die Menge die Zäune nieder und überflutete die Landebahn. Zwei Männer schubsten Lindbergh in ein Auto und retteten ihn vor seinen Fans. Bald feierte die ganze Welt seinen Erfolg. Der amerikanische Präsident schickte ein Schlachtschiff über den Atlantik, um den umschwärmten Flugpionier nach Hause zu bringen.
"In der Marinewerft sind fünfundzwanzigtausend Menschen unter einem wunderschönen Himmel. Die Leinen der Memphis sind ausgeworfen, die Jungs machen sie fest. Am Dock wartet man. Lindbergh! Lindbergh kommt die Gangway herunter, er geht langsam, seinen Hut in der Hand, ruhig, würdevoll, ein verdammt netter Junge!"
Ein amerikanischer Held
In Washington empfing Präsident Coolidge den Flieger und verlieh ihm einen Orden. Zwei Tage später begrüßte ihn New York mit der größten Konfettiparade, die die Stadt je gesehen hatte. Lindbergh erhielt Millionen Glückwunschbriefe und unzählige Geschenke, Blumensträuße und Heiratsanträge.
Groß, blond und wortkarg, war er wie geschaffen für die Rolle des amerikanischen Helden. Man bot ihm Werbeverträge und Filmrollen an. Doch Lindbergh wollte eine Mission erfüllen: Der Fortschritt machte die kommerzielle Nutzung der Luftfahrt möglich, und dafür war Kapital und Infrastruktur nötig. Aber wenige sahen die Chancen, die Fliegerei galt noch als Spektakel. Lindbergh ging auf eine große Werbetour durch alle Bundesstaaten.
"Keine Lindbergh-Geschichten mehr, es sei denn, er stürzt ab", soll ein entnervter Redakteur befohlen haben. Aber plötzlich wollte alle Welt fliegen. Städte legten Flugplätze an, Investoren überschütteten Fluglinien und Flugzeugbauer mit Geld.
Lindberghs Heldenruhm strahlte bis zum Zweiten Weltkrieg – da verspielte er ihn mit einer Kampagne gegen den Kriegseintritt der USA.