"Ich küsse Ihre Hand Madame und träum‘, es wär‘ ihr Mund,
ich bin ja so galant Madame, doch das hat seinen Grund."
ich bin ja so galant Madame, doch das hat seinen Grund."
Werbeplakate hatten es verkündet: "Harry Liedtke singt!" Für Stummfilm gewohnte Zuschauer eine Sensation. Als der Film "Ich küsse Ihre Hand, Madame!" des österreichischen Regisseurs Robert Land am 17. Januar 1929 in Berlin Premiere feierte, stürzten vor allem weibliche Fans in die Kinos, um ihr bisher stummes Leinwandidol den Schlager-Hit des Jahres singen zu hören. Die Filmzeitung Lichtbildbühne kommentierte:
"Man hat um den Schlager herum ein Manuskript geschrieben, das den Massen ihren Liebling Harry so zeigt, wie sie ihn sehen wollen: russischer Graf in blendend sitzendem Frackmantel, immer Gentleman, immer diskreter Mittelpunkt aller weiblichen Sehnsüchte."
Typ des galanten Verführers
Harry Liedtke, seit Jahren einer der beliebtesten deutschen Stummfilm-Stars, war auf den Typ des galanten Verführers festgelegt. Geschickt hatte die Produktionsfirma seine Popularität genutzt, um von dem starken Interesse am neuartigen Tonfilm aus Amerika zu profitieren. Seit dort "The Jazz Singer" für Furore sorgte, stand die Kinobranche in Deutschland Kopf.
Voller Ungeduld stritt man um Tonfilmpatente und suchte nach Standard-Techniken. Mit "Ich küsse Ihre Hand, Madame" feierte das Berliner Tobis-Lichtton-System schließlich den deutschen Start in das Tonfilmzeitalter.
"Madame, ich lieb´ Sie seit vielen Wochen, wir haben manchmal auch davon gesprochen. Was nützt dies alles, mein Pech dabei ist, dass, ach, Ihr Herzchen leider nicht mehr frei ist."
Harry Liedtke bewegte nur die Lippen
Dabei war das Rührstück um einen verarmten russischen Grafen, der als Kellner in Paris arbeitet und in den sich eine wohlhabende, geschiedene Frau verliebt, ein typischer Stummfilm mit Zwischentiteln. Neu war nur die kurze drei Minuten lange synchrone Tonspur. Opernsänger Richard Tauber hatte dazu den Gesang geliefert, der Harry Liedtkes Lippenbewegungen unterlegt wurde.
Allerdings wurde auch leidenschaftlich über den künstlerischen Sinn solcher "Tonfilm-Sensationen" diskutiert. Manche Filmkritiker wie der einflussreiche Rudolf Arnheim sprachen von "Tonfilm-Verwirrung".
"Jeder Tag bringt neue Systeme. Man verspricht sich vom Tonfilm eine gewaltige Hebung des Geschäfts und überblendet diese Hoffnung geschickt in jene andere, der Tonfilm sei auch berufen, den stummen Film künstlerisch zu bereichern. Aber wie lange wird der Reiz der Neuheit vorhalten? Was bei uns bisher an spärlichen Einzelproben zu sehen war, ist wenig geeignet, dem Laut-Film Anhänger zu werben."
Für die Hamburger Stummfilm-Historikerin Corinna Müller gab es neben den künstlerischen und ästhetischen Einwänden vor allem einen einfachen Grund für diese Skepsis.
"Der Tonfilm wurde eingeführt, als die Technik dafür noch überhaupt nicht ausgereift war. Das Kino hatte sehr große Schwierigkeiten umzustellen auf den Tonfilm, allein schon aus raumakustischen Gründen, aber auch aus vielen, vielen technischen. Und man hatte es sehr oft, dass man fast kein Wort verstehen konnte, was natürlich dann Filme betroffen hat, die viel Dialog hatten."
Aus Verlegenheit entstand ein neues Filmgenre
So entstand aus einer technischen Verlegenheit ein neues Filmgenre: der Musikfilm. Während Dialoge in den meisten alten Stummfilm-Palästen unverständlich blieben, war es bei Gesang nicht unbedingt wichtig, dass man jedes Wort verstand. In "Ich küsse Ihre Hand, Madame" war aber selbst Taubers Liedeinlage vorsichtshalber noch mit Zwischentiteln unterlegt, so dass der Zuschauer ohne Verständnisprobleme die Affäre um den charmanten Grafen und die attraktive Madame verfolgen konnte. Letztendlich aber war es weniger die banale Handlung, die Kritikern im Gedächtnis blieb, als vielmehr der Auftritt einer bisher unbekannten Schauspielerin.
"Was den Film pikant macht: Er präsentiert einen neuen Frauentyp: Marlene Dietrich. Ihr Format ist nicht übel, wenn sie, trotz des matten Augenaufschlags, Rache schmecken lässt. Erotik und doch Stil haben, Madame sein und doch durchbrennen können, das ist der neue Typ!"
Für Marlene Dietrich startete bald die Weltkarriere
Der Stern Harry Liedtkes dagegen befand sich im Sinkflug. Groß war die Enttäuschung darüber, dass er gar nicht selbst gesungen hatte und noch größer, als man in den ersten längeren Tonfilmen seine modulationsarme echte Stimme hörte. Marlene Dietrich aber sollte ein Jahr später als Lola Lola in "Der blaue Engel" ihre Weltkarriere starten.