Im März 1928 suchte Ernst Josef Aufricht, der neue Pächter des Theaters am Schiffbauerdamm in Berlin, dringend ein Stück für die Eröffnung im August. Bertolt Brecht konnte ihm einen Stoff und ein paar Szenen anbieten: der Kern der späteren "Dreigroschenoper".
"Ich glaube, es ist nicht vermessen, wenn ich sage: es gäbe sie ohne mich nicht."
Das sagt Elisabeth Hauptmann, Brechts Mitarbeiterin. Hauptmann war im Jahr zuvor auf die Londoner Wiederentdeckung der 200 Jahre alten "Beggar's Opera" aufmerksam geworden.
"Ich fing an, das Stück zu übersetzen und so ein bisschen für mich zu bearbeiten, und habe dann Brecht so Szenen, von denen ich dachte, dass sie ihm gefallen würden, so unterschoben - und so allmählich gelang es mir, ihn da hineinzuziehen".
"Beggar's Opera" Vorbild für Brecht
John Gay hatte 1728 eine Parodie auf die Händel-Opern geschrieben. Statt antiker Helden traten in seiner Bettleroper Gauner, Huren und Betrüger auf. In seiner Bearbeitung wies der 30-jährige Dramatiker Brecht auf die Verwandtschaft zwischen kapitalistisch gesinnten Bürgern und der Verbrecherwelt hin:
"Wie vor zweihundert Jahren haben wir eine Gesellschaftsordnung, in der so ziemlich alle Schichten der Bevölkerung, allerdings auf die allerverschiedenste Weise, moralische Grundsätze berücksichtigen, indem sie nicht in Moral, sondern natürlich von Moral leben."
So wie Jonathan Peachum, der ein Heer von Bettlern als Krüppel ausstaffiert, um Mitleid zu erregen und die Einnahmen zu steigern. Auch der Gaunerkönig Macheath, genannt Mackie Messer, zieht Reichtum den hohen Tugenden vor:
"Armut bringt außer Weisheit auch Verdruss, und Kühnheit außer Ruhm auch bittre Müh’n; jetzt warst Du arm und einsam, weis‘ und kühn; jetzt machst du mit der Größe aber Schluss. Dann löst sich ganz von selbst das Glücksproblem: Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm."
Überraschungserfolg mit Hindernissen
Das sang Harald Paulsen, der in der Uraufführung der "Dreigroschenoper" am 31. August 1928 den Mackie Messer spielte. Ihm ist auch der größte Hit zu verdanken, wie Lotte Lenya später erzählte:
"Zunächst mal hat niemand daran geglaubt, dass das ein Erfolg werden kann. Dann gab es auch noch so viele Hindernisse: Der Harald Paulsen, der die Hauptrolle spielte, der hat dann im letzten Moment, zwei Tage vor der Premiere, sich beklagt, dass er erst in der zweiten Szene dran kam, und so entstand die Moritat. Er wollte unbedingt also einen Song haben, wo er eingeführt wird."
So schrieb Brecht über Nacht die Moritat von Mackie Messer, Kurt Weill vertonte sie:
"Und der Haifisch, der hat Zähne, und die trägt er im Gesicht, und Macheath, der hat ein Messer, doch das Messer sieht man nicht."
Auch an den Komponisten Kurt Weill hatte zunächst niemand geglaubt. Bald aber begriffen alle, dass sein Beitrag zu diesem "Stück mit Musik", in dem die Songs oft unabhängig von der Handlung dargeboten werden, mindestens so viel zum durchschlagenden Erfolg der "Dreigroschenoper" beigetragen hatte wie die Texte von Brecht. Weill erfand Schmachtmelodien und brach sie ironisch mit falschen Klängen, harten Rhythmen und Elementen von Jazz, er arbeitete mit Foxtrott und Tango.
Text aus der Zuhälterballade: "Das war so schön in diesem halben Jahr; in dem Bordell, wo unser Haushalt war."
Gefeierte Premiere: "Zuschauerraum in Siedehitze"
Lotte Lenya spielte in der Uraufführung die Spelunkenjenny, die sich hier selig an ihre Zeit mit Mackie als Zuhälter erinnert. Auch sie wunderte sich bei der Premiere, wie verhalten das Publikum zu Beginn reagierte. Erst als Polizeichef Tiger Brown im "Kanonensong" gemeinsam mit Macheath in Kriegserinnerungen schwelgte, änderte sich die Stimmung.
"Der Zuschauerraum taute nicht langsam auf, er geriet in Siedehitze. Klatschend, rufend, trampelnd verlangte man eine Wiederholung."
Text aus dem Kanonensong: "… Von Cap bis Couch Behar./Wenn es mal regnete/Und es begegnete/ihnen 'ne neue Rasse/'ne braune oder blasse/Da machen sie vielleicht daraus ihr Beefteak Tartar."
Großer Applaus nach einem Song mit rassistischem Inhalt? Brecht kamen später selbst Zweifel, ob die Gesellschaftskritik beim Berliner Publikum auch angekommen sei.
Wahrscheinlich ist es gerade dieses Unzweideutige, zwischen Gangsterromantik und Bürgerbeschimpfung Schillernde, das den langanhaltenden Erfolg der "Dreigroschenoper" bis heute bewirkt.