Urban II., im Jahr 1088 vom Konklave in Terracina gewählt, ist ein Papst, der die Kirche reformieren will. Wie seine Vorgänger ist er erbitterter Gegner des deutschen Königs Heinrich IV., der die päpstliche Gewalt missachtet und Bischöfe nach seinem Gutdünken ernennt. Der Streit zwischen Krone und Papst eskaliert. Dazu Gerhard Lubich, Professor für Geschichte des Früh- und Hochmittelalters an der Ruhr‑Universität Bochum:
"Das Resultat ist, dass Heinrich IV. den Papst für abgesetzt erklärt und einen eigenen Papst einsetzt, das ist Wibert von Ravenna, auf der anderen Seite aber die Reformkirche nach wie vor daran festhält, einen eigenen Papst zu haben."
Eigentlich steht die Kirchenreform auf der Agenda
Um den königlichen Gegenpapst infrage zu stellen, die Bischöfe auf seine Seite zu ziehen, aber auch um die Reformpolitik der römischen Kirche weiterzuführen, ruft Urban II. verschiedene Synoden ein.
So auch am 18. November 1095 im französischen Clermont. Über 300 Erzbischöfe, Bischöfe und Äbte reisen mit ihrem Gefolge an. Die Stadt in der Auvergne platzt aus allen Nähten. Den Anlass erklärt Gerhard Lubich:
"Gegenstand dieser Synode ist nach wie vor die Kirchenreform. Es geht um Ämterkauf, es geht um Priesterehen, es geht um Fragen der Liturgie, es geht auch ganz aktuell um kirchenpolitische Sachen. Man exkommuniziert den französischen König. Der hat eine zu nahe Verwandte geheiratet, also wird er aus der Gemeinschaft der Glaubenden ausgeschlossen."
Byzanz ruft um Hilfe
Nach etwas mehr als einer Woche hat man die wichtigsten Programmpunkte abgearbeitet. Doch der eigentliche Höhepunkt kommt erst noch. Hintergrund ist ein Hilferuf aus dem byzantinischen Konstantinopel, das seit der Kirchenspaltung von 1054 Metropole der Ostkirche ist. Gerhard Lubich:
"Byzanz fühlt sich bedroht. In der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts tauchen neue Kräfte aus dem ferneren Osten auf, das sind die Seldschuken. In Kleinasien geht schon Gebiet verloren. Und deswegen bittet man auch die westliche Christenheit immer wieder um Hilfe."
Urbans folgenreiche Brandpredigt
Der abgespaltenen Ostkirche Beistand zu leisten, würde die Machtposition des Papstes enorm stärken. Hinzu kommt, dass die muslimischen Seldschuken seit längerer Zeit das Heilige Land kontrollieren und Christen daran hindern, nach Jerusalem zu pilgern. Auf der Synode von Clermont nutzt Urban II. die Gunst der Stunde. Er tritt vor die vielen Bischöfe und Zaungäste und hält eine emotionale Predigt. Zwar ist deren genauer Wortlaut nicht überliefert, doch aus Fragmenten lässt sich folgender Inhalt rekonstruieren:
"Ein gottloses Volk hat das Vaterland des Herrn in seiner Gewalt. Bewaffnet Euch mit dem Eifer Gottes, gürtet eure Schwerter an die Seiten. Ziehet aus und der Herr wird mit euch sein. Wendet die Waffen gegen die Feinde des christlichen Namens und Glaubens. Für jedermann, der sich um des Glaubens willen nach Jerusalem aufmacht, um die Kirche Gottes zu befreien, soll dieser Weg als vollständige Bußleistung angesehen werden."
"Deus lo vult!" – "Gott will es!
Der päpstliche Appell verbreitet sich wie ein Lauffeuer. "Deus lo vult!" – "Gott will es!", wird zum Schlachtruf für den Kreuzzug nach Jerusalem. Schon im Frühjahr 1096 bricht eine marodierende, mit jedem Kilometer anwachsende Horde in den Südosten Europas auf. Zu ersten Opfern der blutrünstigen Meute werden die jüdischen Bürger von Mainz, Worms und Speyer. Gerhard Lubich ist sich indes sicher:
"Dass die ersten Bewegungen, die es gab, den Papst mitunter entsetzt haben. Er dachte, glaube ich, vergleichsweise idealistisch darüber und sah das als ein Elitenunternehmen, das in geordneten Bahnen abläuft, die Heiligen Stätten befreit, das politische Problem im Vorderen Orient irgendwo löst und zugleich seine Position festigt."
1099: Einnahme Jerusalems
Erst einige Wochen nach dem Mob brechen geordnete Truppen von Frankreich aus zum ersten offiziellen Kreuzzug auf, der aus christlicher Sicht erfolgreich wird. Byzanz erhält die erhoffte militärische Unterstützung, die Muslime können zurückgedrängt werden und Truppen um Gottfried von Bouillon schaffen es, Mitte Juli 1099 Jerusalem zu erobern.
Ob Papst Urban II. vom Erfolg der Mission erfährt, die er ins Leben rief, weiß man nicht. Er stirbt zwei Wochen nach der Einnahme Jerusalems.
Frieden kehrt im Heiligen Land nicht ein. Sechs weitere Kreuzzüge folgen. Die beiden letzten von 1248 und 1270 werden für die christlichen Ritter zum militärischen Fiasko.