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Vor 930 Jahren
Gebeine des heiligen Nikolaus treffen in Bari ein

Für Kinder ist er ein alter Mann mit Rauschebart und rotem Mantel, der Geschenke bringt. Doch hinter dem Nikolaus steckt eine historische Persönlichkeit: Bischof Nikolaus von Myra. Er wird unter anderem als Schutzpatron der Seeleute verehrt. Seefahrer waren es auch, die seine Gebeine vor 930 Jahren von Myra in die italienische Küstenstadt Bari brachten.

Von Anna Gann |
    Bari Basilika San Nicola-Grabstätte des heiligen Nikolaus
    Basilika der San Nicola-Grabstätte des heiligen Nikolaus in Bari (dpa/Klaus Rose)
    "Evviva San Nicola" – jedes Jahr Anfang Mai steht der heilige Nikolaus in Bari, der Hauptstadt der Region Apulien im Südosten Italiens, drei Tage lang im Mittelpunkt ausgelassener Feierlichkeiten. Nikolaus war Anfang des 4. Jahrhunderts Bischof von Myra in Kleinasien, das heute Demre heißt und in der türkischen Provinz Antalya liegt.
    Über die historische Figur gibt es kaum gesicherte Fakten. Dafür zahlreiche Legenden, in die sich auch Begebenheiten aus dem Leben eines Bischofs mit gleichem Namen mischen, der etwa 200 Jahre später lebte. Eine der bekanntesten Erzählungen: "Ein armer Mann konnte die Mitgift für seine drei Töchter nicht bezahlen. In seiner Not wollte er sie in die Prostitution schicken. Als Nikolaus das hörte, warf er dreimal nachts unerkannt einen Goldklumpen durch das Fenster. Nun konnten die jungen Frauen heiraten."
    Vom Nothelfer zum Gabenspender
    Der Wundertäter und Nothelfer aus dem Volksglauben wurde über die Jahrhunderte zum gestrengen, aber wohlwollenden Gabenspender für Kinder. Sein Gedenktag am 6. Dezember wird in der christlich geprägten Welt in vielfältigen Bräuchen begangen, und immer noch setzen Menschen Hoffnungen auf ihn.
    "Wenn man zum Nikolaus geht, bringt man seine Wünsche und seine Pläne und was einem wichtig ist zu ihm. Und der Heilige beschützt dich. Er hilft dir, wenn du ein Problem hast oder dir was zugestoßen ist."
    Als Höhepunkt des Nikolaus-Festes in Bari wird die lebensgroße Figur des Heiligen in einer feierlichen Prozession zum Hafen getragen und aufs Meer gefahren. Das soll an den 9. Mai 1087 erinnern. An diesem Tag erreichten Seefahrer mit den Reliquien des heiligen Nikolaus die Hafenstadt. Die Gebeine ruhen heute unter der Kirche "San Nicola".
    Listiger Räuberplan
    Der Benediktinermönch Nicerphorus schilderte die Ankunft der kostbaren Fracht: "Alle rannten zusammen, um Zeugen des wunderbaren Schauspiels zu werden. Die Geistlichen, gekleidet in ihre liturgischen Gewänder, eilten hurtigen Schrittes zum Hafen, um den heiligen Körper in Empfang zu nehmen. Dann wurde angeordnet, dass alle Kirchenglocken zu Ehren des Heiligen läuten sollten."
    Denn, so die damalige Überzeugung: "Die sterblichen Überreste eines heiligen Menschen bewirken Segen über den Tod hinaus. Sie lassen an der besonderen Kraft des Verstorbenen teilhaben."
    Blick auf ein restauriertes Fragment der Kirche des Heiligen Nikolaus in Demre, dem früheren Myra, aufgenommen am 09.11.2009. Die Kirche, einst wegen des legendenumwobenen Wirkens des Nikolaus von Myra christlicher Wallfahrtsort, versank in den folgenden Jahrhunderten nach Erdbeben und Absinken der Küste im Schwemmsand des Myros-Flusses.
    Die Reliquien des Nikolaus wurden aus der Kirche des Heiligen Nikolaus in Demre, dem früheren Myra, gestohlen. (picture alliance / dpa / Frank Baumgart)
    Wohlhabende Kaufleute waren auf die Idee gekommen, die Reliquien des Nikolaus in ihre Heimatstadt zu bringen. Myra war Zwischenstopp auf der Handelsroute von Bari, dem "Tor zum Orient", nach Antiochien. Unterstützt von der baresischen Geistlichkeit, schmiedeten die Geschäftsreisenden einen listigen Räuberplan. Zuerst schickten sie zwei mitreisende Pilger aus Jerusalem als Spione vor, um die Ruhestätte des Heiligen zu erkunden.
    Dann drangen sie mit 47 Mann in die Kirche ein, überwältigten die vier Wächter und brachen mit einem Hammer das marmorne Grab auf. Der Zeitzeuge Nicephorus: "Erfüllt von Freude, hoben die Bareser den heiligen Leichnam auf ihre Schultern und gingen, Gott lobpreisend, zurück zu den Schiffen."
    Touristen kommen nach Bari
    Zwar behaupteten die Grabräuber, sie hätten den Heiligen vor muslimischen Eroberern in Myra retten wollen. Doch ihr Geschäftssinn spielte wohl eine mindestens ebenso große Rolle: Bari war eine blühende Handelsmetropole gewesen, drohte aber an Bedeutung zu verlieren. Durch die Gebeine des Heiligen wurde sie zum Anziehungspunkt für lukrative Pilgerströme. Bis dahin war Nikolaus vor allem im östlichen Christentum verehrt worden, zu dem Myra gehörte. Der Raub der Gebeine brachte den Kult auch in die westliche Christenheit.
    Bis heute lockt Nikolaus zahlreiche Gäste nach Bari. Um Touristen geht es womöglich ebenso dem Archäologischen Museum Antalya in der muslimisch geprägten Türkei. Es fordert die Herausgabe der Gebeine. Einige Knochen, die vom heiligen Bischof aus Myra stammen sollen, zeigt das Museum allerdings schon. Sie wurden 1920 zufällig in einer Schachtel entdeckt. Angeblich haben die Räuber sie vor fast 1000 Jahren auf ihrer Seefahrt nach Bari verloren.