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Vor dem CSU-Parteitag
Zwischen Neuordnung und Altlasten

Es ist eine historische Zäsur: Angela Merkel wird nicht am CSU-Parteitag in München teilnehmen. Der Grund: Sie ist nicht eingeladen. Man wolle sich auf die Inhalte des neuen Parteiprogrammes konzentrieren, heißt es vonseiten der CSU. Eine Kampfansage an die Schwesterpartei mit Blick auf die kommende Bundestagswahl sei das aber nicht.

Von Stephan Detjen und Michael Watzke | 03.11.2016
    Logo der CSU an der Parteizentrale in München
    Logo der CSU an der Parteizentrale in München (dpa / picture alliance / Sven Hoppe)
    "Sehr verehrte Bundeskanzlerin, liebe Angela. Ich danke Dir für Deine Rede."
    München vor einem Jahr: Der CSU-Parteitag wird zum Tribunal. Angela Merkel muss sich von Horst Seehofer 15 Minuten lang die Leviten lesen lassen. Im Stehen. Die CSU werde die Schwesterpartei CDU weiter attackieren, gibt Seehofer Merkel zu verstehen.
    "Wenn wir nicht zu einer Obergrenze bei den Flüchtlingen kommen!"
    Merkels Mundwinkel gehen auf Talfahrt. Minuten zuvor hatte die CDU-Chefin in ihrer Rede noch eine Obergrenze ausgeschlossen und stattdessen ein Flüchtlingsabkommen mit der Türkei angekündigt.
    "Mit diesem Ansatz, die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren, schaffen wir es im Gegensatz zu einer einseitig festgelegten Obergrenze, einer nationalen Obergrenze, im Interesse aller zu handeln."
    Die Parteitags-Delegierten im Saal bleiben stumm. Viele sind wütend. Merkel ist der CSU kein Jota entgegengekommen. Nun schlägt Seehofer zurück.
    "Und deshalb kann ich dir nur sagen: Wir sehen uns zu diesem Thema wieder."
    Eine historische Zäsur
    Heute, knapp ein Jahr später, steht fest: Seehofer und Merkel sehen sich nicht wieder. Zumindest nicht beim CSU-Parteitag. Die CDU-Chefin wird dem Delegiertentreffen der Christsozialen fernbleiben. Zum ersten Mal in ihrer Amtszeit. Zum ersten Mal in der Geschichte der Unionsparteien. Die Kanzlerin ist schlichtweg nicht eingeladen. Eine historische Zäsur, deren Bedeutung CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer herunterspielt.
    "Natürlich wird es immer Unterschiede zwischen CDU und CSU geben. Ich habe Host Seehofer und Angela Merkel nie in innigster Umarmung verharren sehen.
    Horst Seehofer will Angela Merkels Abwesenheit für eine zweite Parteitags-Rede nutzen. Eine kämpferische Grundsatzrede, kündigt Seehofers Generalsekretär an. Seehofer werde klarstellen:
    "Dass wir uns schon mal ehrlich machen müssen, welche Herausforderungen wir haben. Humanität für die wirklich Schutzbedürftigen. Integration für die Menschen, die eine Bleibeperspektive haben. Aber auch Begrenzung des Zustroms und bessere Kontrolle und Steuerung.
    Wenn man sich die Alternativen anschaut, dann laufen wir auf rot-rot-grün zu. Wenn wir jetzt nicht alle Kräfte bündeln, zusammenarbeiten und wieder stärker gemeinsam kommunizieren."
    Horst Seehofer, Ministerpräsident von Bayern, antwortet auf Fragen aus dem Auditorium. Er gestikuliert und hebt beide Hände.
    Keine Einladung für Angela Merkel zum CSU-Parteitag: Horst Seehofer setzt ein deutliches Zeichen. (imago stock&people)
    Horst Seehofer muss die Parteitags-Delegierten von den Bäumen holen, auf die er sie beim letzten Parteitag gejagt hat. Er glaubt, dass ihm die Wieder-Annäherung der Schwesterparteien leichter fällt, wenn Merkel beim Parteitag nicht persönlich zugegen ist. Das Jahrestreffen der Christsozialen ist eine Basis-Veranstaltung. Anders als beim CDU-Parteitag sind bei der CSU viele Bürgermeister und Kommunalpolitiker dabei - dafür weniger offizielle Mandats- und Würdenträger. Große Teile der CSU-Basis sind noch immer nicht mit Merkel versöhnt. Das merkt man zum Beispiel beim Treffen des CSU-Arbeitskreises "Migration".
    80 CSU-Mitglieder diskutieren eine Woche vor dem Parteitag über die Asylpolitik der Kanzlerin. Der Arbeitskreis-Vorsitzende Ozan Iyibas kritisiert leidenschaftlich Merkels Flüchtlings-Deal mit dem türkischen Präsidenten Erdogan.
    "Die aktuelle Türkei ist wie ein verwundeter Grizzlybär. Unberechenbar und gefährlich. Wer glaubt, dass durch das Türkei-Abkommen die Migrationskrise in Europa nachhaltig gelöst wird, den muss ich enttäuschen."
    Deutliche Worte von der Basis
    Iyibas ist ein Bayer mit türkischen Wurzeln und ein Freund deutlicher Worte. Angela Merkel müsse im Ausland mehr Geld für Entwicklungshilfe ausgeben - und daheim die Grenzkontrollen verstärken. Kurz: sie soll auf den bayerischen Kurs einschwenken.
    "Wir als CSU haben die Ängste der Bevölkerung ernstgenommen. Wir distanzieren uns entschieden von rechtspopulistischen Äußerungen – aber auch ganz klar von linksgerichteter, ideologiegetriebener, emotionenbehafteter Sozialromantik."
    Angela Merkel weiß, dass sie mit solchen Äußerungen aus Bayern unmittelbar angesprochen ist. Die Kanzlerin habe nach Jahren auf dem internationalen Parkett die Bodenhaftung zuhause verloren, heißt es nicht nur aus Süddeutschland. Ein typisches Phänomen nach mehr als einem Jahrzehnt im Kanzleramt, bei Kohl sei es am Ende auch nicht anders gewesen - das hat auch Horst Seehofer ihr bei den Krisengesprächen unter vier Augen vorgehalten, berichten Vertraute. Merkel weist das beharrlich von sich. Im vergangenen Sommer sagte sie.
    "Ich sehe, dass viele im Augenblick alles geben. Manche auch am Rande ihrer Kräfte sind. Ich habe jeden Tag Gespräche mit Bürgermeistern, mit Landräten. Manchmal wird ja auch gesagt: 'Weiß die überhaupt, was hier vor Ort los ist?' Ich glaube ich weiß das und ich bin dankbar dafür, was da geleistet wird."
    Berlin, die Position als Kanzlerin, die ständige Präsenz auf der Bühne der Weltpolitik – was aus bayerischer Sicht zu Synonymen für Entfremdung, Abgehobenheit bis hin zur Arroganz geworden ist, bedeutet aus Merkels Sicht zweierlei: herausgehobene Verantwortung sowie eine überlegene Perspektive auf die ganze Dimension der vor ihr liegenden Probleme.
    Es geht um mehr als Sachentscheidungen
    Symbolbild: eine Mauer in Schwarz-Rot-Gold mit Rissen, darauf der Schriftzug "Wir schaffen das" und ein Hand mit Daumen nach unter in den Farben der Europäischen Fahne.
    Ein einfacher Satz ist zum Symbol des Streits um Flüchtlinge und Einwanderung geworden. (imago / Ralph Peters)
    Auch für Merkel aber geht es in der Auseinandersetzung um mehr als Sachentscheidungen. Es ist eine weit darüberhinausgehende Grundhaltung, die auch sie im letzten Jahr nicht nur von der CSU, sondern breiteren Teilen der Unionsbasis entfremdet hat.
    "Und da muss ich Ihnen auch ganz ehrlich sagen: darauf bin ich stolz, dass wir die Flüchtlinge freundlich empfangen. Ich möchte nicht mich an einem Wettbewerb beteiligen 'Wer ist am unfreundlichsten zu den Flüchtlingen' und dann werden sie schon nicht kommen."
    Es ist die Mischung aus sachlicher Problemanalyse und der ethischen Begründung ihrer Politik, die Merkel in der Flüchtlingspolitik so beharrlich erscheinen ließ.
    Auf anderen Gebieten der Politik hatte sie sich in der Vergangenheit stets als wandlungs- und anpassungsfähig gezeigt. Horst Seehofer war sicher, dass der Stimmungswandel in der Bevölkerung, der Verlust ihrer eigenen Popularität und der Druck aus München sie auch jetzt zu einem politischen und rhetorischen Kurswechsel zwingen würde. Doch je länger Merkel die Erwartung des CSU-Chefs enttäuschte, desto unverhohlener trug Seehofer den Zwist nach außen:
    "Dann kam der September und seitdem ist es ein mühsames Feld. Und ich habe ja an anderer Stelle schon öffentlich gesagt, das erfordert von mir große, große Geduld. Sie wird wahrscheinlich das Ähnliche über mich sagen. Aber es ist ein Thema, das mich ungeheuer belastet, vielleicht am stärksten belastet überhaupt in meiner ganzen politischen Tätigkeit. Weil ein so vertrauensvolles Verhältnis in einem so wichtigen Thema wie der Begrenzung gestört ist."
    Es dauerte ein quälend langes Jahr, bis Merkel endlich ein Signal in Richtung München sendete. Ihre Partei hatte in den Meinungsumfragen auf Bundesebene die 30-Prozentmarke erreicht. Ein Sommer mit blutiger Gewalt in Frankreich und nun auch Deutschland lag hinter ihr. Zwei Landtagswahlen – in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin – waren verloren. Da trat Merkel am 19. September in der Berliner CDU-Zentrale vor die Presse und zog eine Bilanz, die aufhorchen ließ. Die Flüchtlingskrise sei weder leicht noch schnell zu bewältigen:
    "Auch, weil wir in den vergangenen Jahren weiß Gott nicht alles richtig gemacht haben. Weil wir auch wirklich nicht gerade Weltmeister bei der Integration waren. Weil wir zum Beispiel auch zu lange gewartet haben, bis wir uns der Flüchtlingsfrage selbst gestellt haben. Wir müssen uns jetzt also gleichsam selbst übertreffen. Auch ich."
    Merkels Erklärung am Morgen nach der Berliner Abgeordnetenhaus-Wahl klang nach einer Zäsur. Die Kanzlerin sprach von Versäumnissen, Fehlern und dem Wunsch, das Rad der Zeit zurückdrehen zu können.
    "Wenn ich könnte, würde ich die Zeit gerne um viele, viele Jahre zurückspulen, um mich mit der ganzen Bundesregierung und allen Verantwortungsträgern besser vorbereiten zu können auf die Situation, die uns dann im Spätsommer 2015 eher unvorbereitet traf."
    Vor allem aber zog sie ihr "Wir schaffen das" aus dem Verkehr. Noch wenige Wochen zuvor hatte sie den Satz auf ihrer Sommerpressekonferenz wiederholt, in einem Interview der "Süddeutschen Zeitung" noch einmal ausführlich begründet. Doch nun befand die Kanzlerin, es sei zu viel in ihn hineininterpretiert worden:
    "So viel dass ich ihn inzwischen am liebsten kaum noch widerholen mag, ist er doch zu einem schlichten Motto, beinahe einer Leerformel geworden und die Diskussion um ihn zu einer immer unergiebiger werdenden Endlosschleife."
    War das nun die Kehrtwende, der rhetorische Canossa-Gang, auf den Horst Seehofer und die CSU so lange gewartet hatten? Andreas Rinke, Chefkorrespondent der Nachrichten Agentur Thompson Reuters hat auch den Auftritt im Adenauer-Haus verfolgt.
    "Ich glaube aus Sicht von Angela Merkel war es eine rhetorische Frontbegradigung und ein Signal Richtung München, dass man auf die provokantesten Formulierungen, die man gemacht hat, verzichtet, weil einen der Streit dort nicht weiterführt."
    In der Sache aber glaubt Rinke, hat sich Merkel keineswegs auf Seehofer zubewegt.
    "Ich glaube, dass sie in der Flüchtlingspolitik überhaupt nicht das Gefühl hat, dass sie eine Kursänderung vorgenommen hat."
    Tatsächlich lässt sich die Rede auch ganz anders wahrnehmen, als sie zunächst interpretiert wurde: als eine Bekräftigung ihres ausdrücklichen Festhaltens an gerade jenen Entscheidungen, die das Zerwürfnis der Schwesterparteien herbeigeführt haben. Dem Abschied von ihrem "Wir schaffen das" stellte sie ein Bekenntnis zu dem Satz voran:
    "Der Satz 'Wir schaffen das' ist Teil meiner politischen Arbeit. Er ist Ausdruck von Haltung und Ziel."
    'Der Satz ist', nicht: 'Der Satz war', sagte Merkel. Lediglich die Fehler, von denen sie ebenfalls sprach, datierte Merkel "viele, viele Jahre" zurück.
    "Das bedeutet aber nicht, dass in der konkreten Entscheidungssituation des vergangenen Jahres Entscheidungen nicht richtig gewesen wären. Ich stehe voll zu diesen Entscheidungen."
    In München wurde Merkels Erklärung vom September schnell als mea-culpa-Rede gedeutet, als Ausdruck der Erkenntnis, dass Seehofer eben doch recht gehabt habe. Tatsächlich aber hatte sich der CSU-Chef längst damit abgefunden, dass er und Merkel im Flüchtlingsstreit nicht mehr zusammenkommen würden.
    "Was Sie als Zorn beschreiben, ist bei mir eine tiefe Enttäuschung."
    Die Störung im Verhältnis der Parteivorsitzenden hatte im letzten Jahr eine höchstpersönliche Note angenommen. Wo Seehofer seinem Verdruss öffentlich Luft machte, verstummte Merkel. Die Kanzlerin hatte es schlicht aufgegeben, den CSU-Chef in der Flüchtlingspolitik zu interpretieren. Sie setzt inzwischen ganz darauf, dass sich die Schwesterpartei wieder anderen Themen zuwendet, nicht zuletzt sich selbst.
    Kein zufälliger Titel
    "Hatten Sie sonst noch viele Änderungen? Nichts Gewaltiges mehr? Gut. Schreiben wir beim zweiten Mal männlich und weiblich."
    Markus Blume telefoniert in diesen Tagen fast pausenlos. Der junge CSU-Landtagsabgeordnete ist Vorsitzender der Grundsatz-Kommission. Kommenden Samstag, beim CSU-Parteitag, wird er das neue Grundsatz-Programm der Christsozialen vorstellen. 700 Parteimitglieder haben Änderungs-Anträge gestellt. Die meisten Merkel-Kritiker in der CSU beklagen, dass die Kanzlerin in der Flüchtlingskrise die staatliche Ordnung aufgegeben habe. Nicht zufällig trägt das neue Grundsatz-Programm der CSU den Titel: "Die Ordnung".
    "Ordnung ist nicht nur eines der zentralen Themen. Ordnung ist DAS Thema. Ordnung ist der Leitbegriff, den wir setzen. Weil Ordnung in Bedrängnis ist. Ordnung ist das, was die Menschen vermissen.
    Erschließt sich jedem sofort: Wir leben in einer Welt der Unordnung, sprichwörtlich. Da gibt es eine gewisse Sehnsucht nach Positionen, die klar machen, wofür wir stehen: Nämlich neue Gewissheiten geben in Zeiten großer Unsicherheit."
    Ein vergiftetes Angebot?
    Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) spricht am 09.12.2015 während einer Plenarsitzung im bayerischen Landtag in München (Bayern)
    Markus Söder - wird er Horst Seehofers Nachfolger als bayerischer Ministerpräsident? (dpa / picture-alliance / Matthias Balk)
    Unsicherheit herrscht auch in der CSU – bei der Frage, wer Horst Seehofer beerben soll. Der Parteichef und Ministerpräsident hatte vor Wochen erklärt, er könne nicht ewig den Libero machen. Später präzisierte Seehofer:
    "Ich wäre bereit, mein Amt als Parteivorsitzender nächstes Jahr zur Verfügung zu stellen. Um unsere personelle Basis zu verbreitern und in Berlin ein Stück mehr Durchschlagskraft zu bekommen.
    Wenn es nötig wäre, verzichte ich auch früher darauf. Nicht, weil ich amtsmüde bin, sondern weil ich eine ganz starke Aufstellung will für den nächsten Bundestagswahlkampf. Der wird für die CSU existentiell. Ich persönlich strebe dieses Amt des Spitzenkandidaten nicht an."
    Seehofers Angebot ist vergiftet, sagen viele in der CSU. Vor allem, weil Seehofer Ministerpräsident bleiben will. Mindestens bis 2018.
    "Ja, das habe ich auch der Bevölkerung versprochen. Da müsste schon der Himmel über Bayern einstürzen."
    Den bayerischen Himmel wiederum dürfte nicht mal ein Himmelsstürmer wie Markus Söder zum Einsturz bringen. Ihn, den bayerischen Finanzminister hätten zwar viele in der CSU gern als Seehofers Nachfolger. Aber nicht alle. Seehofer zum Beispiel nicht. Im Gegenteil: er will Söder unbedingt verhindern. Deshalb lockt er ihn als CSU-Vorsitzenden nach Berlin. Geht der Franke darauf ein, ist er höchstwahrscheinlich aus dem Rennen um das bayerische Ministerpräsidentenamt.
    Söder will aber beides werden: Parteivorsitzender und Ministerpräsident und: er will in Bayern bleiben. Die Parteibasis diskutiert das Thema kontrovers. Dass die CSU mit einem eigenen Programm in den Bundestagswahlkampf zieht, ist sicher. Der kommende Parteitag zeigt bereits, wohin die Reise geht: Leitantrag 1 gegen Rot-Rot-Grün, Leitantrag 2 gegen den politischen Islam. Eine weitere Forderung: Volksabstimmungen auf Bundesebene – etwa zu Verfassungsänderungen. Über dieses Thema will die CSU per Mitgliedervotum am Vorabend des Parteitages entscheiden. Es wäre ein weiterer Streitpunkt mit der CDU und Angela Merkel. Denn: Die Kanzlerin lehnt Volksentscheide ab.
    Eine Partei der klaren Sprache
    Markus Blume, der CSU-Landtagsabgeordnete, blättert durch das Grundsatzprogramm. Die Tonlage des CSU-Papiers unterscheidet sich deutlich von der Schwesterpartei CDU:
    "Ich sag's mal altbayerisch: bei uns ist der Sound etwas knackiger. Wir waren immer eine Partei der klaren Sprache. Was uns wichtig ist, sprechen wir deutlich an."
    Dann blättert Blume – wie zum Beweis – die Seite 15 im CSU-Grundsatzprogramm auf. Dort ist mehrfach von Leitkultur die Rede – ein Begriff, den Angela Merkel noch nie in den Mund genommen hat. Warum nicht?
    "Da wär' es vielleicht gut, wenn Sie die CDU selber fragen. Das fragen wir uns auch manchmal."
    Die Kernfrage für beide Unionsparteien aber bleibt, hinter wem sie sich im kommenden Jahr zur Bundestagswahl zusammenschließen können – oder müssen.
    Noch vor kurzem sah es so aus, als werde sich die CSU wenn überhaupt nur widerwillig auf eine vierte Kanzlerkandidatur Angela Merkels einlassen. In den vergangenen Wochen aber häuften sich auch die bayerischen Stimmen, die sich offen für eine weitere Amtszeit der CDU-Vorsitzenden aussprachen und persönliche Unterstützung versprachen.
    Gute Laune: Kanzlerin Angela Merkel lacht.
    Noch ist offen, ob Angela Merkel erneut als Kanzlerkandidatin bei der kommenden Bundestagswahl antritt. (imago/IPON)
    In Unionskreisen gilt es als ausgemachte Sache, dass Merkel noch einmal antritt. Allein authentische Äußerungen oder wenigstens Andeutungen der Kanzlerin selbst sind nicht überliefert. Und so gibt es auch Beobachter, die meinen, Merkel könne die Welt auch mit einem Rückzug überraschen. Der Essener Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte ist einer von ihnen.
    "Kommunikativ könnte sie das gut noch darstellen. Denn die Erwartungshaltung, dass immer noch etwas Unerledigtes ist, wird es in der Politik immer geben. Und die große Zäsur des letzten Sommers abzubinden, vor den Wähler zu treten und eine demokratische Legitimation für die Einwanderungspolitik herbeizuführen, könnten auch andere Kandidaten für die Union durchsetzen."
    Merkel, so glaubt Politikwissenschaftler Korte, könne es sich zum Ziel gesetzt haben als "Heldin des Rückzugs" in die Geschichte einzugehen.
    "Ich kann mir ein Übergangszenario klug vorstellen, auf dem kommenden Bundesparteitag als Vorsitzende noch mal anzutreten und zu sagen, die Kandidatur ist davon unabhängig, das wird im nächsten Frühjahr entschieden. Und sie könnte dann beispielsweise auf Wolfgang Schäuble setzen - der problemlos und anerkannter Weise als der Sicherheitskonservative - und es wird sicherheitskonservativ gewählt – für eine Legislaturperiode zusammenstehen würde."
    Spontane Abwehrreflexe
    Gerade in Bayern aber lösen auch Namen wie Schäuble oder von der Leyen, die als mögliche Nachfolger Merkels genannt werden, spontane Abwehrreflexe aus. Für Namen sei es noch zu früh, wiegelt auch CSU-Chef Seehofer die Frage nach einer Unterstützung für eine weitere Kandidatur Merkels ab. Zunächst müssten die Streitfragen in der Sache geklärt werden, sagt der bayerische Ministerpräsident und macht zugleich in letzter Zeit deutlich, dass man nicht in allen Punkten zusammenfinden müsse.
    "Ich sage Ihnen, wir werden Sie hinbekommen. Das braucht seine Zeit. Aber es wird vielleicht den einen oder anderen Punkt geben, wo auch im nächsten Wahlkampf die Bayern einen eigenen Akzent setzen."
    Zwischen den Zeilen deutet auch Horst Seehofer schon an, dass es am Ende darum gehen werde, sich noch einmal hinter der Kanzlerin zu versammeln.
    "Ich glaube ohnehin, dass nach der Erfahrung der letzten Monate, dass es zu den wichtigsten Aufgaben den Union gehört, mit der Kanzlerin an der Spitze die gespaltene Gesellschaft wieder zusammenzuführen."
    Mit solchen Hinweisen hat Seehofer den Weg zum Parteitag in München gewiesen. Er weiß, dass er nur ein Etappenziel ist auf dem Weg zur Wiederannäherung an die große Schwesterpartei und ihre Vorsitzende.