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Vor dem EU-Gipfel
Merkel setzt auf die Türkei

Angela Merkel setzt in der Flüchtlingskrise ganz auf die Zusammenarbeit mit der Türkei. Die Alternative sei die Schließung der griechisch-mazedonisch-bulgarischen Grenze, sagte Merkel. "Mit allen Folgen für Griechenland und die Europäische Union insgesamt und damit den Schengen-Raum." Die Frage nach dem Vorgehen spaltet die EU zunehmend.

16.02.2016
    Bundeskanzlerin Angela Merkel
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (imago stock & people)
    "Ich setze meine ganze Kraft am Donnerstag und Freitag darauf, dass sich der europäisch-türkische Ansatz als der Weg herausstellt, den es sich lohnt weiterzugehen", sagte die Bundeskanzlerin mit Blick auf den EU-Gipfel in dieser Woche. Nur so könnten Fluchtursachen bekämpft und der Schutz der Außengrenze verbessert werden.
    Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei hatten zuvor bei einem Treffen angekündigt, "die illegale Wirtschaftsmigration an den Grenzen von Mazedonien und Bulgarien aufzuhalten", falls Griechenland und die Türkei den Andrang nicht stoppen könnten.
    "Koalition der Willigen" kommt vor dem Gipfel zusammen
    Da die 28 EU-Staaten keine gemeinsame Linie finden, kommt vor dem Gipfel am Donnerstag in Brüssel eine sogenannte "Koalition der Willigen" einschließlich Merkel mit dem türkischen Regierungschef Ahmet Davutoglu zusammen. Dabei geht es um die Umsetzung des im Herbst beschlossenen EU-Türkei-Aktionsplans zur Reduzierung der Fluchtbewegungen, für den drei Milliarden Euro bereitstehen. Diese Länder sollen der Türkei Flüchtlingskontingente abnehmen. Auch EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und der Präsident des Europäischen Parlaments Martin Schulz sollen kommen, auch wenn sie keine Länder vertreten.
    Das Land hat selbst eine große Zahl syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge aufgenommen. Die EU hofft, dass Ankara im Gegenzug für Geld, intensivierte EU-Beitrittsverhandlungen und Visa-Erleichterungen mehr Menschen von der Weiterreise nach Europa abhält.
    Solidarität in Europa stößt an ihre Grenzen
    In der Flüchtlingskrise stößt die europäische Solidarität an ihre Grenzen. Italien und Griechenland klagen seit Jahren, sie würden alleingelassen mit den Menschen, die in kaum seetauglichen Booten an ihren Stränden landen oder aus Seenot gerettet werden. Mittlerweile drängt Deutschland, Ziel vieler Flüchtlinge, auf Solidarität.
    Höchst umstritten ist vor allem das Dublin-Prinzip. Es legt fest, dass jenes Land für das Asylverfahren zuständig ist, in dem ein Migrant erstmals den Boden der EU betreten hat - also oft Italien und Griechenland. Doch inzwischen lässt Deutschland insbesondere syrische Kriegsflüchtlinge ohne große Hürden einreisen. Die osteuropäischen Staaten der Balkan-Route fühlen sich überrumpelt und verweigern eine Beteiligung. Auch in Österreich wächst der Widerstand.
    Merkel gehen die Verbündeten aus. Die beschlossene Verteilung von 160.000 Flüchtlingen aus Italien und Griechenland geht nur langsam voran - nach Monaten haben gerade erst 583 Menschen in anderen EU-Staaten Aufnahme gefunden. Merkel muss davon ausgehen, dass der Plan gescheitert ist. Nicht entscheidend für den Gipfel sei es daher, über weitere Kontingente zur Verteilung der Flüchtlinge zu sprechen. "Wir würden uns auch ziemlich lächerlich machen", sagte Merkel und verwies auf beschlossene, aber kaum umgesetzte Verteilung der 160.000 Flüchtlinge.
    Umfrage sieht Rückhalt für Merkel
    Rückhalt für den Kurs von Kanzlerin Merkel in der europäischen Flüchtlingspolitik zeigte am Dienstag eine Umfrage der Bertelsmann Stiftung. Vier von fünf EU-Bürgern (79 Prozent) wünschen sich demnach wie sie eine faire Verteilung von Flüchtlingen unter den Mitgliedstaaten. In den neuen EU-Ländern, wo sich die Regierungen besonders gegen eine Quote sträuben, sind es demnach allerdings nur 54 Prozent. Befragt wurden mehr als 11.000 Menschen in allen 28 EU-Staaten.
    Deutschland gehört bislang zu wenigen Ländern in Europa, die verhältnismäßig viele Flüchtlinge aufgenommen haben. 2015 waren es mehr als eine Million Asylsuchende. Eine Schätzung für dieses Jahr will die Bundesregierung nicht abgeben. Das Bundesinnenministerium dementierte am Dienstag einen Bericht, wonach für das laufende Jahr mit 500.000 Flüchtlingen gerechnet werde.

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    Innenpolitisch ist eine Einigung mit den Grünen notwendig
    Am Mittwoch wird die Kanzlerin vor dem Bundestag eine Regierungserklärung zum EU-Gipfel abgeben. Das Parlament berät in dieser Woche in erster Lesung zudem über das lang umstrittene Asylpaket, das unter anderem beschleunigte Verfahren für Asylsuchende mit geringer Bleibeperspektive und eine Aussetzung des Familiennachzugs für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz vorsieht.
    Nicht in dieser Woche eingebracht wird dagegen das Gesetz zur Ausweitung sicherer Herkunftsländer um Algerien, Marokko und Tunesien. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Bundestagsfraktion, Michael Grosse-Brömer (CDU), sagte am Dienstag in Berlin, die SPD habe dies nicht gewollt. Dadurch kann das Gesetz voraussichtlich nicht schon am 26. Februar im Bundesrat beraten werden, wie es zunächst geplant war. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Christine Lambrecht, erklärte hingegen, die Sozialdemokraten wären bereit, das Verfahren zu beschleunigen. "Einigen müssen sich CDU, CSU und Grüne", sagte sie.
    Anders als das Asylpaket bedarf die Einstufung sicherer Herkunftsstaaten der Zustimmung des Bundesrats. Eine Mehrheit ist dort nur möglich, wenn auch Länder mit Regierungsbeteilung der Grünen, die dies prinzipiell ablehnen, mit Ja stimmen. Wie die Taz berichtet, ist Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) dazu bereit, wenn es im Gegenzug unter anderem eine Altfallregelung für 20.000 schon länger in Deutschland lebende Flüchtlinge gibt, deren Antrag noch nicht entschieden ist.
    (nch/tzi)