Das Anwesen von Familie Wohlers liegt am Ortsrand von Bargstedt, einem kleinen Dorf im Norden Niedersachsens. Um den Hof gruppieren sich Wohnhaus, Lagergebäude, Melkstand. Klaus Wohlers führt den Reporter herum. Schnell wird klar: Der baumlange Mann ist einer, der zupackt, stets bereit, mit der Zeit zu gehen. Über die Anzahl seiner Kühe im Boxenlaufstall spricht Wohlers nicht so gern – es dürften eher 500 als 50 sein. Doch das Wohl seiner Tiere, versichert er, liege ihm sehr am Herzen: "Wir wollen möglichst viel Platz für das Einzeltier haben. Wir möchten, dass jedes Tier für sich eine Box hat, dass die in Gruppen untergebracht sind. Licht, Luft, Wasser: das ist, was eine Kuh glücklich macht!"
Seit mehr als 200 Jahren bewirtschaftet die Familie den Hof auf der Stader Geest, zunächst als Mischbetrieb mit Getreide und Zuckerrüben. Als Klaus Wohlers 1993 die Geschäfte von seinem Vater übernahm, setzte der Junior um, was ihm vom Bauernverband, von der Politik geraten wurde. Er trimmt seinen sogenannten "Fortschrittsbetrieb" auf Leistung. Ein gewichtiger Faktor im Kalkül: Im April vorigen Jahres schaffte die Europäische Union die Milchquote ab. Das komplizierte Regelwerk hatte das Wachstum zwar nicht unmöglich, aber recht kostspielig gemacht. Für das neue Geschäftsmodell musste ein moderner Stall her, am Ortsrand wurden Flächen hinzugepachtet. Investitionen in Millionenhöhe, deutet Wohlers an: "Wir haben 2010 uns dazu entschlossen, in die Milchproduktion zu 100 Prozent einzusteigen und haben dann eben dementsprechend die Bauanträge gestellt und haben dann nach und nach viel Geld investiert, um das hier so hinzustellen."
Jetzt gehen wir Richtung 20 Cent
Wohlers liefert seine Milch an den größten Molkereikonzern in Deutschland, das Deutsche Milchkontor. Die Molkerei muss seine Milch loswerden. Sie zieht von den Einnahmen ihre Kosten für Transport, Verpackung und Logistik ab. Am Ende kassiert auch der Handel seine Marge und der Staat die Mehrwertsteuer. Was übrig bleibt, kriegt der Bauer. Wohlers hat keinerlei Einfluss auf die Preisgestaltung – und zahlt nur noch drauf. Das Problem: Allein in Niedersachsen produzieren die Betriebe mehr Milch als in ganz Deutschland konsumiert wird. Ein Großteil der Produktion geht deshalb zu Billigpreisen in Schwellenländer. Auf dem Weltmarkt gibt es derzeit zehn Millionen Tonnen Milch zuviel. Höchstens 21 Cent erhalten Landwirte wie Wohlers im Mai 2016 noch für ein Kilogramm Milch. Die Kosten für Tierarzt, Futter, laufende Kredite sind höher als der Ertrag. Wohlers: "Wir haben schon mit einkalkuliert, dass wir Preisschwankungen haben, die hatten wir vorher auch schon innerhalb der Quote - bloß im Moment ist das ja so extrem! Vor zwei Jahren waren wir bei 40 Cent - und jetzt gehen wir Richtung 20 Cent oder vielleicht auch darunter! Im Moment ist Milch billiger als Wasser. Und Wasser gibt es doch eigentlich auch genug. Warum können die Wasser teurer verkaufen als Milch?"
Die Lebensversicherung aufgelöst, die Altersvorsorge geplündert - wie so viele seiner Berufskollegen lebt Wohlers von der Substanz. Noch hält ihm seine Bank die Treue – aber wie lange noch? "Die Mitarbeiter wollen am Monatsende ihr Geld haben, aber ich als Chef muss mir im Moment Gedanken machen," sagt Wohlers, "ob ich Hartz IV. beantragen könnte – weil meine Arbeit wird im Moment nicht bezahlt! Mein Vater hat immer gesagt, Landwirtschaft wäre wie ein Mehlsack: Da kann man immer draufhauen, das staubt ein bisschen. Aber im Moment staubt nichts mehr, da sind keine Reserven mehr!"
Der Markt ist aus den Fugen geraten
Wohlers pumpt seine Milch in einen Markt, der aus den Fugen geraten ist. Und je mehr Milch hineinkommt, umso tiefer purzelt der Preis. Jetzt lädt Agrarminister Schmidt zum Krisengipfel. Im Gespräch ist eine Branchenlösung, bei der sich die Molkereien zu einem höheren Milchpreis verpflichten, den der Einzelhandel dann durchsetzt - doch Wohlers ist skeptisch: "Wenn wir vor der eigenen Haustür jetzt weniger machen, was angestrebt wird - wir sollen ja freiwillig weniger liefern. Ich sehe das so, dass das nicht funktionieren wird. Wir haben europäische Nachbarn, die wollen teilweise mit staatlicher Unterstützung mehr produzieren. Wenn wir europäisch nichts machen, dann nützt das nichts wenn wir in Deutschland Alleingänge machen!"
Ortswechsel: Auf ihrem Hof bei Verden schaut Johanna Böse-Hartje zu, wie ihre Herde von 120 Kühen von der Weide zum Melkstand trottet. Sie spricht auch für die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Die Initiative versteht sich als Opposition zum Deutschen Bauernverband. Böse-Hartje denkt eher kleinteilig und in Kreisläufen. Vor einer kleinen Ewigkeit, als die Pachtpreise für Grünland noch erträglich waren, stellte sie ihren Betrieb auf Biomilch um. Sie setzte früh auf einen Markt, der überschaubar ist: Nur zwei bis drei Prozent des in Deutschland produzierten Volumens ist Biomilch, was bereits einen Großteil des heimischen Bedarfs abdeckt: "Die Biomilch, das hat es noch nie gegeben", sagt sie, "dass die sich so abkoppelt vom konventionellen Markt. Wir haben schon noch Auszahlungspreise von 48, 49 Cent pro Kilo Milch. Das ist jetzt noch keine Vollkosten-Deckung, aber es ist so, dass wir unsere Rechnung damit bezahlen können."
"Dann ist es mir auch egal, ob da Gen-Mais wächst"
In der aktuellen Krise gibt es nur Verlierer, sagt die streitbare Bäuerin. Wohl fünfmal mehr Milchviehbetriebe als bisher schon werden aufgeben, prophezeit sie düster. Die Industrialisierung der Branche werde die Kultur im ländlichen Raum dramatisch verändern: "Die Krise ist gewollt! Wir haben zum Teil schon Betriebe, die komplett von Investoren übernommen werden, und dann geht auch diese nachhaltige Bewirtschaftung verloren. In dem Moment, wo ich dieses Land nur noch als Kapitalanlage sehe, ist es mir auch egal, ob da Gen-Mais wächst, dann ist mir egal, ob da Glyphosat gespritzt wird, und dann ist mir auch egal, ob ich da Monokulturen habe."
Johanna Böse-Hartje bezweifelt, dass Liquiditätshilfen für die bedrängten Landwirte der richtige Ansatz sind. Aus ihrer Sicht müssen europaweit Instrumente geschaffen werden, um die Produktion kontrolliert zurückfahren zu können: "Wir reden da um zwei bis drei Prozent vielleicht - und nicht um mehr! Im Krisenfall müssen wir Regularien haben, um Zugriff auf die Menge zu kriegen - und das muss einfach europaweit passieren."
Befürworter staatlicher Eingriffe sitzen nicht mit am Verhandlungstisch
Wie ihr konventionell wirtschaftender Kollege Klaus Wohlers hat auch Johanna Böse-Hartje ihre Erwartungen an den Berliner Krisengipfel heruntergeschraubt. Die Befürworter staatlicher Eingriffe – darunter auch die Agrarminister der Länder – sitzen nämlich nicht mit am Verhandlungstisch: "Das ist sozusagen ein Milchgipfel ohne Beteiligte, die viel mit Milch zu tun haben, die eigentlich die Urproduzenten sind", sagt sie: "Jeder der was anders wollte oder sich vorstellen könnte, wird gar nicht eingeladen. Und da ist praktisch eine Farce ist das!"