Daran solle sich der Bund zur Hälfte beteiligen, führte Walter-Borjans aus. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) verweigere sich jedoch bisher in einer nicht akzeptablen Form. Schäuble "sitze auf der schwarzen Null und der Schatulle", was die Länder in eine unangenehme Rolle bringe. "Der Bund ist für die Flüchtlingspolitik zuständig, und wir unterstützen die Kanzlerin, indem wir die Aufgaben nicht von uns weisen", betonte Walter-Borjans. Die Lastenverteilung sei aber nicht fair.
Die Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer kommen am Nachmittag mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammen, um über die Verteilung der Flüchtlingskosten zu sprechen. Der Bund zahlt den Ländern in diesem Jahr rund 3,6 Milliarden Euro. Für die kommenden drei Jahre sind vier Milliarden zusätzlich zugesagt. Merkel äußerte gestern Abend die Ewartung, dass mit den Ländern rasch eine Einigung gefunden werde.
Das Interview in voller Länge:
Dirk Müller: Ein Gezerre ums Geld ist das seit vielen, vielen Monaten. Auch zwei Spitzentreffen zwischen Kanzlerin und Ministerpräsidenten haben keine Lösung gebracht. Wie viele Milliarden soll, muss oder will der Bund an die Länder bezahlen, damit diese ihre Kosten für die Unterbringung, Versorgung und Integration der Flüchtlinge begleichen können.
Acht Milliarden Euro zusätzlich fordern die Bundesländer, allen voran Horst Seehofer, der jetzt vor dem nächsten Spitzentreffen im Kanzleramt heute Abend noch einmal den Druck verschärft hat. Aber Wolfgang Schäuble winkt ab, wir haben das eben gehört, argumentiert, das ist viel zu viel. Dabei ist die Frage offen, auf wie viel Jahre sich die acht Milliarden erstrecken, gibt es immer noch unterschiedliche Angaben.
Am Telefon ist nun der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD). Guten Morgen!
Norbert Walter-Borjans: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Herr Walter-Borjans, wie schön ist das für Sie, jetzt in der Situation auf der Seite von Horst Seehofer zu stehen?
"Das ist ein Spiel, das gefällt insgesamt 16 Ländern nicht"
Walter-Borjans: Ja, es geht um die Sache und da muss man die Bündnisse schmieden, die zum richtigen Ergebnis führen. In diesem Punkt hat der bayerische Ministerpräsident recht. Wir haben hier eine Situation, in der die Kanzlerin die Menschlichkeit verkörpert, der Bundesinnenminister ein sorgenvolles Gesicht macht, dass viele Probleme auch auf uns warten, und der Bundesfinanzminister dann sagt, aber ich sitze auf meiner schwarzen Null und der Schatulle, das was jetzt zu lösen ist, sollen doch bitte die Länder und die Gemeinden lösen. Das führt uns dann in die Rolle, die unangenehmen Partner zu sein, die doch immer alle gegen den Bund sind. Das ist ein Spiel, das mir nicht gefällt, das gefällt Herrn Seehofer nicht, aber das gefällt insgesamt 16 Ländern nicht.
Müller: Das hört sich so an, als hätte die Bundeskanzlerin die Flüchtlinge bestellt und jetzt muss sie auch dafür zahlen.
Walter-Borjans: Nein! Es hört sich so an oder soll sich so anhören, dass der Bund für die Flüchtlingspolitik zuständig ist, dass wir die Kanzlerin, die Bundesregierung ja auch sehr darin unterstützen, indem wir die Aufgaben, die damit verbunden sind, ja nicht von uns weisen. Wir, die Länder sind für die Lehrer, für die Polizisten, für die Gerichte zuständig. Die Gemeinden sind für die Unterbringung zuständig. Niemand sagt, dass wir das nicht tun wollen. Aber dass man das aus dem verfügbaren Geld bestreiten kann, das weiß doch jeder, dass das nicht geht.
Das geht nur, wenn dann andere wichtige Aufgaben liegen bleiben, und für diese großen Aufgaben gibt es eine Bundesregierung und einen Bundeshaushalt und der muss in die finanzielle Mitverantwortung gehen. Wir haben 50 Prozent Beteiligung geboten. Es ist ja nicht so, dass wir sagen, wir machen nichts. Aber wenn dann eine so enge Auslegung des Bundeshaushaltes da ist, dann ist das keine faire Lastenverteilung in dieser so schwierigen Frage.
Müller: Wenn wir das richtig verstanden haben, bietet der Bundesfinanzminister ja 8,5 Milliarden pro Jahr. Reicht das nicht?
Walter-Borjans: Wir haben an den Bundesfinanzminister im Übrigen ja vor einigen Monaten, der bayerische Kollege Söder und ich, auch eine ungewöhnliche Konstellation, gesagt …
Müller: Sie werden noch zum CSU-Freund!
Bundeswehreinsätze im Mittelmeer: "Das kann nicht im Aufgabenbereich von Kommunen liegen"
Walter-Borjans: Nein, es geht um die Sache. Wir müssen darauf achten, dass wir diese wirklich schwierige Aufgabe so lösen, dass wir uns nicht die Probleme von morgen machen. Deswegen müssen wir über das reden, was Länder und Gemeinden zu tun haben und was sie belastet. Und wenn dann der Bundesfinanzminister mit den Bundeswehreinsätzen im Mittelmeer und der Hilfe an die Türkei kommt, dann kann das nicht im Aufgabenbereich von Kämmerern von Kommunen oder von Landesfinanzministern liegen. Die rechnet er aber mit hinein.
Müller: Noch mal die Frage: Acht Milliarden hat er angeboten. Stimmt aber nicht ganz, weil das für andere Dinge ausgegeben wird. Das ist doch für die Länder vorgesehen!
Walter-Borjans: Wir reden im Moment darüber, darüber wird zwar gestritten, aber dass wir in etwa in einer Größenordnung von 20 Milliarden Euro sind, die die Länder und Kommunen ausgeben müssen, um unterzubringen, um zu betreuen, zu versorgen, aber auch für Integration zu sorgen. Das ist unbestritten. Wir können im Augenblick wirklich nicht sagen, sind das 18 Milliarden oder 22 Milliarden. Deswegen die Forderung ja auch an einer hälftigen Beteiligung. Wir wollen doch nicht am Ende an dieser Unterbringung verdienen.
Müller: Jetzt sagt Seehofer, acht Milliarden sollen noch draufkommen. Das sind jetzt nach meiner schnellen Rechnung rund 16 Milliarden. Das wäre nicht die Hälfte.
Walter-Borjans: Ja, aber nicht in einem Jahr. Herr Seehofer hat ja schon in diesem Punkt, ich sage mal, die Forderung der Länder ein Stück zurückgenommen. Da sind die Finanzminister der Länder ja noch nicht mal ganz so glücklich, weil er ja davon spricht, diese zusätzlichen acht Milliarden aufwachsend in drei Jahren zu geben.
Allein ein Land wie Nordrhein-Westfalen hat in seinen drei Haushalten der Jahre 2015, '16 und '17 über zehn Milliarden für die Unterbringung, die Betreuung und die Integration von Flüchtlingen. Da kann sich doch jeder ausrechnen, wenn man nicht in Verschuldung gehen will und nicht an wichtigen anderen Stellen in der Sicherheit, in der Bildung einsparen will, dass das nicht ohne eine Auffassung geht, dass das eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Gemeinden ist.
Müller: Jetzt haben wir eben, Herr Walter-Borjans, ja den Auszug beziehungsweise das Statement von Wolfgang Schäuble gehört, der da sagt, dann sollen die Länder mir endlich mal eine vernünftige, klare, präzise Rechnung vorlegen. Das haben Sie bislang offenbar nicht getan. Warum ist das so schwer?
Walter-Borjans: Weil das die Strategie des Bundesfinanzministers im Augenblick ist zu sagen, ich weiß doch gar nicht, wie viel es wirklich ist. Und dann kommt der zweite Punkt: Da wo Geld ist, ist es nicht alles in einem Rutsch abgeschlossen. Deswegen noch mal: Dann lassen Sie uns über eine Pauschale reden, die hinterher abgerechnet wird, oder zwischendrin mit Abschlägen abgerechnet wird.
Ich will doch dann, wenn es nicht 20, sondern nur 15 Milliarden sein sollen, dann will ich doch nicht immer noch zehn Milliarden vom Bund. Ich möchte, dass er sich beteiligt, weil das, was auf uns zukommt, ist ja nun da, unabhängig davon, ob die Länder im Moment ihre Statistiken einheitlich haben oder nicht. Daran müssen wir arbeiten, ist überhaupt keine Frage. Aber das beschreibt doch nicht das Problem!
Müller: Das stimmt, wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, dass die Länder auch unterschiedliche Kosten da einfügen? Beispielsweise die einen machen die Polizeikosten auch als Bestandteil dieses Pakets und die anderen wiederum nicht, geht ein bisschen drunter und drüber.
"Der eine hat die schwarze Null, die anderen haben den schwarzen Peter"
Walter-Borjans: Nein, es geht nicht drunter und drüber, sondern das ist nun mal auch Teil des Föderalismus, dass wir erst mal den Finanzministerien der Länder zugestehen müssen, dass sie sich einen Überblick über ihren Haushalt verschaffen. Und wenn dann der eine sagt, ich habe bislang die zusätzlichen Lehrer noch nicht dazugerechnet, dann muss er das im Nachhinein noch tun.
Aber wir haben als Länder im Übrigen dem Bund ja eine Rechnung vorgelegt und wir sind als Länder auch sehr dabei, das zu vereinheitlichen. Nur noch mal: Sich dann darauf zurückzuziehen und zu sagen, ja dann nehme ich das erst mal überhaupt nicht als Kosten wahr, das ist nicht die Lösung, sondern dann müssen wir darüber reden.
Der Bund, die Länder sind bereit zu sagen, die Hälfte übernehmen wir ja mit, die Ausgaben übernehmen wir vollständig, aber die Größenordnung, in der die Aufgaben auf uns zukommen, die können wir nicht aus dem Bestand bezahlen. Da ist der Bund gefordert und dann kann sich nicht einer hinsetzen und sagen, ich lasse mich feiern dafür, dass ich meine Kasse zusammenhalte, wenn die Gesamtkasse von Bund, Ländern und Gemeinden dann aus den Fugen gerät, nach dem Muster, der eine hat die schwarze Null und die anderen haben den schwarzen Peter.
Müller: Wenn Sie sagen, Herr Walter-Borjans, das ist unterschiedlich, die Finanzminister müssen sich da einen Überblick verschaffen, und es ist auch immer die Frage, welche Kosten werden wirklich reingerechnet, dann kann das schon sein, dass dieses Argument greift, gerade aus Sicht des Bundesfinanzministers, wenn er dann sagt, im Grunde soll ich den Ländern - das haben Sie im Grunde ja gerade auch gesagt - einen Blankoscheck ausstellen und am Ende des Jahres wird dann noch mal geguckt, was ist wirklich reingekommen, was ist da reingeflossen und was nicht. Ist das seriöse Finanzpolitik?
Walter-Borjans: Wir machen das ja auch gar nicht so. Wir machen es im Augenblick so, dass wir vorrechnen. Wir haben doch Haushaltsführungen. Die kann man sich doch angucken. Wir können ja auch gerne noch zwei oder drei Runden darüber reden, ob zusätzliche Lehrer bedingt sind durch die Zuwanderung von Flüchtlingen. Da sage ich Ihnen ganz klar, natürlich! Wir haben bisher eine Haushaltsrechnung gehabt, in der wir davon ausgegangen sind, dass wir eine zurückgehende Zahl von Kindern haben. Die wird jetzt ansteigen, und das hat natürlich damit zu tun.
Walter-Borjans: Länder können Betrag von 20 Milliarden nicht unterschreiten
Müller: Was kostet das beispielsweise in NRW, mehr Lehrer wegen der Flüchtlingskinder?
Walter-Borjans: Wir haben jetzt in den letzten drei Jahren an die 9.000 Lehrer zusätzlich eingestellt. Es kommt allen zugute. Und deswegen: Wir können gerne darüber reden, in welchem Anteil das am Ende in eine Rechnung einfließt. Aber wir können nicht darüber reden, dass wir, was die Ländergesamtheit angeht, einen Betrag von, ich sage jetzt mal, ungefähr 20 Milliarden unterschreiten werden.
Müller: Geben Sie uns noch mal ein Beispiel, Dimension, Größenordnung, beispielsweise bei den Lehrern oder auch beim Kita-Personal. Wie teuer wird das für Nordrhein-Westfalen?
Walter-Borjans: Ich habe im Haushaltsentwurf des Jahres 2017, den wir in dieser Woche im Kabinett verabschiedet haben, einen Teil von 4,1 Milliarden, der diesem Thema zusätzliche Belastungen durch die Aufnahme, Unterbringung und Integration für Flüchtlinge und auch die Zahlungen, die wir an die Gemeinden leisten, gewidmet ist. Der umfasst 4,1 Milliarden.
Müller: 4,1 Milliarden. - Ich muss Sie noch was anderes fragen, war mir gestern aufgefallen, weil uns ja auch der Brief vorliegt, den Sie geschrieben haben an Wolfgang Schäuble, gemeinsam mit Markus Söder, also der Finanzminister Nordrhein-Westfalen mit dem Finanzminister Bayern. Da steht dann ganz förmlich oben drauf: "Sehr geehrter Herr Bundesminister!" Vielleicht lohnt sich das. Ich habe noch eine andere Frage, dass man so förmlich ist: Duzen Sie Wolfgang Schäuble?
Walter-Borjans: Nein! Wir haben ein hin und wieder, wie man hier sieht, streitiges Verhältnis, das ein sehr gutes, kollegiales Verhältnis ist. Das gilt im Übrigen unter den Finanzministern und Finanzministerinnen der Länder insgesamt. Aber das ist nicht der Grund, jetzt zusammenzusitzen und zu sagen, Wolfgang, schick mal die Milliarden.
Müller: Aber Sie sitzen ja oft gemeinsam zusammen?
Walter-Borjans: Ja.
Müller: Das hat sich dann nie ergeben, dass man sagt, wir müssen ja irgendwie gemeinsam zurande kommen, gerade auch in Zeiten der Großen Koalition. Das hat das Verhältnis nicht verändert?
Walter-Borjans: Das Verhältnis war, das muss ich sagen, von Anfang an ein sehr solides, ein sehr kollegiales, aber wie wir sehen in der Sache auch hart geführtes, und ich finde, da ist die Form, sich dann zusammenzusetzen und zu sagen, Herr Bundesfinanzminister, durchaus die richtige.
Müller: Wenn Sie so offen antworten, wie ist das mit Markus Söder?
Walter-Borjans: Genauso.
Müller: Genauso. Und das soll auch so bleiben?
"Hohe Lasten, die zu über 80 Prozent bei Ländern und Gemeinden liegen"
Walter-Borjans: Ja! Es gibt natürlich auch unter den Finanzministern persönliche Beziehungen, die etwas enger und etwas weiter sind, übrigens ganz unabhängig von der Parteizugehörigkeit. Nehmen wir mal als Beispiel meinen Stellvertreter in der Finanzministerkonferenz, den hessischen Kollegen Thomas Schäfer. Den duze ich. Wir telefonieren und klären Dinge ab, die wir zu klären haben. Aber der Sache tut das keinen Abbruch oder beschleunigt sie auch nicht.
Müller: Aber das wollte ich gerade fragen. Spielt das nicht auch teilweise eine Rolle, wenn man vielleicht direkt zum Telefon greifen kann und sagt, XY, Du und so? Kann man dann schneller Probleme lösen oder ist das Quatsch?
Walter-Borjans: Nein. Ich kann auch direkt zum Telefon greifen, den Bundesfinanzminister anrufen und ihn siezen.
Müller: Das tun Sie ja dann auch?
Walter-Borjans: Ja, ja.
Müller: Aber Sie haben bis jetzt noch keine Einigung gefunden?
Walter-Borjans: Nein! Aber die hängt nicht davon ab, ob wir uns siezen oder duzen. Wir sind hier in einem Punkt, bei dem ich noch mal sagen muss, hier sind unbestreitbar hohe Lasten, die unbestreitbar zu über 80, bis jetzt sogar eher bei 85 Prozent bei Ländern und Gemeinden liegen, und da ist mir jetzt egal, ob Du oder Sie: Der Bundesfinanzminister verweigert sich da in einer nicht akzeptablen Form bisher.
Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Norbert Walter-Borjans (SPD), Finanzminister von Nordrhein-Westfalen. Vielen Dank für das Interview, für die Zeit, die Sie geopfert haben, für die offenen Worte. Schönen Tag noch!
Walter-Borjans: Gerne! Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.