Fotograf: "Einmal den Blick alle vier zu mir bitte." "Nein, noch nicht…"
Die Moderatoren des Duells Claus Strunz, Sandra Maischberger, Maybritt Illner und Peter Kloeppel posieren locker für Fotos in der Mitte des Studios. Es ist Freitag vor dem Aufeinandertreffen zwischen Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel und ihrem Herausforderer Martin Schulz. Für das TV-Duell wurde auf dem Studiogelände in Berlin-Adlershof monatelang geplant und insgesamt fünf Wochen gebaut. Nun wird der Raum für eine dreiviertel Stunde für Journalisten geöffnet. Die Stimmung ist entspannt. Noch geht es ja nur um schöne Bilder und einen ersten Eindruck vom Studio.
Heute Abend wird es ernster zugehen in Berlin-Adlershof. Dann zählt, wer die besseren Argumente hat, wer die Wähler überzeugen kann. Vor allem für die in den Umfragen weit hinter der CDU liegende SPD und ihren Spitzenkandidaten ist es eine der letzten Chancen noch aufzuholen. Merkel wird links im Bild stehen, Schulz rechts, jeweils hinter einem kleinen Pult, ihnen gegenüber: die Moderatoren in Zweier-Pärchen. Im Mittelpunkt sollen aber stets die Kontrahenten sein. Deshalb gibt es außer den Pulten keine Requisiten und kein Publikum. Die dominierende Farbe im Studio: Blau. Das würde sich im Fernsehen grundsätzlich gut machen, weil die Gesichter dadurch sehr frisch aussähen, sagt Jürgen Schmidt-André. Er war bei allen deutschen TV-Duellen im Bundestagswahlkampf für das Bühnenbild verantwortlich.
Das Blau ist die einzige Konstante
"Aber das Hauptthema ist natürlich ein bisschen von der grundlegenden Parteienfarbe wegzukommen. Und wir haben ja nicht ein reines Blau, sondern eher so ein Türkis-Blau, also etwas ins Grünliche gehend. Ja, das ist auch die Idee, im Fond politisch neutral zu bleiben, da unsere Parteien ja alle mit Farben belastet sind."
Tatsächlich ist das Blau die einzige Konstante bei den Duellen, die es seit 15 Jahren im deutschen Fernsehen zur Bundestagswahl gibt. Ein Wahlkampf- und Sendungsformat, das in den USA immerhin ganze 42 Jahre zuvor eingeführt wurde - im Wahlkampf Richard Nixon gegen John F. Kennedy. Hierzulande, in Deutschland, hingegen hieß es 2002 erstmals:
"Herzlich willkommen zum Finale des ersten deutschen TV-Duells um die Kanzlerschaft!" "Und wir begrüßen auch ganz herzlich im Studio unsere beiden Diskutanten, den Bundeskanzler Gerhard Schröder..." "…und den Ministerpräsidenten und Herausforderer, den Kanzlerkandidaten der Union, Edmund Stoiber."
Es war das bislang einzige Duell im Rahmen einer Bundestagswahl ohne die heutige Kanzlerin. 2005 beginnt die Ära Merkel. Ihre Wünsche haben in den vergangenen 12 Jahren das TV-Format maßgeblich mitbestimmt. Aus den zunächst zwei Duellen im Wahlkampf Schröder/ Stoiber, moderiert von jeweils zwei Journalisten, wurde 2005 ein einzelnes Duell mit vier Moderatoren, das zunächst zwei Wochen vor der Wahl und 2013 dann drei Wochen vor der Wahl stattfand.
Zwei Duelle mit jeweils zwei Moderatoren
"Das kann man so als Strategie deuten, den Einfluss des TV-Duells so ein wenig von vornherein zu begrenzen, dass man sagt, nur eins und das so weit weg wie möglich vor der Wahl. Also da kann man schon gewisse Veränderungen, bestimmte Dynamiken erkennen, die das TV-Duell in seiner Macht eher beschränken sollen", sagt der Mainzer Politikwissenschaftler Thorsten Faas.
Auch in diesem Jahr bestimmt die Kanzlerin die Modalitäten für das Duell. Die vier beteiligten Sender, ARD, ZDF, Sat1 und RTL wollten das Format ursprünglich ändern: Zwei Duelle mit jeweils zwei Moderatoren á 45 Minuten waren geplant. Das wurde von Merkels Verhandlern, Regierungssprecher Steffen Seibert und Eva Christiansen, einer engen Vertrauten Angela Merkels im Bundeskanzleramt, abgelehnt. Die Fernsehsender legten zwar Protest ein. Doch blieb es letztlich bei dem Format, das Merkel kennt: Vier Moderatoren fragen zwei Kandidaten. Viel Raum ist dabei nicht für die Fragen - und schon gar nicht für eine Diskussion:
"Wir haben vielleicht acht, neun Fragen pro Moderator und da muss dann alles drin sein", sagt Sandra Maischberger, die für die ARD diese Fragen stellen wird. Welche genau das sein werden, möchte die Moderatorin vorab nicht verraten. Nur so viel steht fest: Es wird vier Themenkomplexe geben: Migration, Außenpolitik, soziale Gerechtigkeit und Innere Sicherheit. Diese Themenblöcke wurden auch den Kandidaten mitgeteilt. Aber während sie beim Format mitreden können, gelten bei den Fragen andere Spielregeln. Was Thema ist, bestimmt allein das Journalisten-Quartett.
"Ich glaube, die wirklich wichtige Frage ist es, schafft man es, sich zu konzentrieren, auch mal nachfassen zu können, darauf zu dringen, dass eine Frage, die einmal gestellt ist, auch beantwortet wird. Da hätte eine Zweier-Konstellation, 45 Minuten, vielleicht eine größere Konzentration gebracht und dann auch nochmal einen kompletten Atmosphärenwechsel vielleicht. Das wäre reizvoll gewesen."
Für die Sender, die das TV-Duell ausrichten, eine schwierige Situation. Hätten sie Merkels Forderungen ignoriert, hätte die Bundeskanzlerin womöglich abgesagt. Ein altbekanntes Spiel, erzählte Nikolaus Brender, ehemaliger ZDF-Chefredakteur vor einigen Tagen im Deutschlandfunk. Er nennt das Duell wörtlich eine "Missgeburt":
"Die Kanzlerin hat immer damit gedroht, es platzen zu lassen. Zwei würde sie sowieso nicht machen, und wenn man drauf bestünde, dann überhaupt keines. Und sie bestand auch darauf, dass die Regeln nach den Vorstellungen des Kanzleramtes durchgesetzt werden."
"Eine Art der Abgehobenheit"
Für Angela Merkel ist das keine Aufregung wert. Schließlich habe sie die Freiheit zu entscheiden, ob sie nun zu- oder absagt, sagte die CDU-Chefin bei ihrem Auftritt in der Bundespressekonferenz in dieser Woche.
"Und dann ist es guter Stil, dass man über die Modalitäten spricht, wie die Dinge ablaufen können und da haben wir bestimmte Vorstellungen gehabt. Ich finde im Übrigen, dass sich die Formate der Vergangenheit sehr gut bewährt hatten."
Eine Haltung, die der CDU-Chefin Kritik einbringt. Allen voran von der SPD. Er würde die Bedingungen der Journalisten akzeptieren und sie ihnen nicht vorschreiben, so Martin Schulz im Sommerinterview der ARD vergangene Woche:
"Dass der Regierungssprecher dieses Landes im Auftrag von Frau Merkel, Ihnen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, Bedingungen stellt für dieses Interview, für dieses Duell, das ist ein einzigartiger Vorgang und immer mehr Menschen, das merk ich, empfinden das als eine Art der Abgehobenheit, die in diesem Wahlkampf noch eine große Rolle spielen wird und auch mobilisierend für meine Wählerinnen und Wähler ist."
Ein Format, das mehr Raum für Diskussion lässt, wäre für Martin Schulz sicher vorteilhaft gewesen. Er, der Herausforderer, ist darauf angewiesen, Merkel in der direkten Auseinandersetzung zu stellen - im Gegensatz zur Kanzlerin. Für sie wäre es im Wahlkampf kein Problem, wenn es das Duell nicht geben würde. Aus ihrer Sicht ist es nur eines von vielen Formaten. So sei es zwar ein wichtiges, meint sie…
"Dennoch ist es in Deutschland ja so, es geht ja hier nicht um eine Personenwahl. Hier wird kein Präsident wie in Frankreich gewählt oder in den Vereinigten Staaten von Amerika, sondern in Deutschland werden Parteien gewählt. Und deshalb glaube ich, dass ein solches Duell und ansonsten viele verschiedene andere Formate die richtige Antwort sind."
"Stoisch ist diese Frau. Also das ist ja das Interessante, dass Angela Merkel sich da nicht sehr groß verändert hat in diesen Duellen in der Form, obwohl sie immer wieder andere Kontrahenten vor sich hatte", beschreibt Moderatorin Maischberger die CDU-Chefin in den vergangenen Duellen. Merkel präsentierte sich bislang in allen Auftritten ähnlich - sogar optisch: Schwarzer Blazer, darunter ein weißes Oberteil mit Rundhalsausschnitt. Die einzige Variable - wie bei den Männern die Krawatte - war ihre Halskette. Das Signal, das davon ausgehen sollte, fasste sie 2013 in einem Satz zusammen:
"Sie kennen mich."
Merkel und Schulz: bislang nur Fernduelle
In diesem Jahr, das sagt sie selbst, soll das nicht die einzige Botschaft sein. Dennoch bietet die Kanzlerin im Wahlkampf nach wie vor wenig Fläche für eine kontroverse Diskussion. Eine Herausforderung für die Moderatoren.
"Und ich glaube trotzdem, dass es da eine Möglichkeit gibt, etwas heraus zu bekommen, was bisher in diesem Wahlkampf nicht war, weil es eben die einzige Begegnung ist", so Maischberger.
Schulz und Merkel haben sich viele Male in ihren jeweiligen politischen Ämtern getroffen. Doch nie zuvor standen sie sich in einer direkten Konkurrenzsituation gegenüber, als Kandidaten, die beide das gleiche Amt bekleiden wollen. Bislang haben sich die beiden nur Fernduelle geliefert. Dabei war vor allem Schulz der Angreifer - der allerdings nie einen echten Punkt landen konnte.
Merkel ist in der Stellung der Stärkeren. Die Umfragewerte sind gut für die Union, die Streitigkeiten zwischen CDU und CSU zumindest für den Wahlkampf beigelegt und auch vom Schulz-Hype des Frühjahrs ist nichts mehr zu spüren. Wie im Judo nimmt Angela Merkel den Schwung eines Angriffs auf, und lässt ihn, ohne viel Energie aufzuwenden, ins Leere laufen. Im Juni beispielsweise wirft Martin Schulz bei einem SPD-Parteitag Merkel vor, einen Wahlkampf ohne Inhalte zu machen, sie halte die Wähler davon ab, zur Wahlurne zu gehen.
"Ich nenne das einen Anschlag auf die Demokratie!"
Bei der CDU empört das so manchen - nicht jedoch Angela Merkel. Sie macht sich noch nicht einmal die Mühe, zurück zu schlagen, als sie ein paar Tage später bei einem Interview mit der Zeitschrift Brigitte darauf angesprochen wird. Stattdessen gibt sie sich überlegen und großzügig:
"Ja, eigentlich habe ich Martin Schulz immer anders erlebt und wahrscheinlich ist Wahlkampf doch auch ganz schön anstrengend. Aber, Schwamm drüber, würde ich sagen."
Kritik lässt Merkel an sich abperlen, sie reagiert betont gelassen, gibt vor, immer schon einen Schritt weiter zu sein. Fordert Herausforderer Schulz etwa einen weiteren Diesel-Gipfel, sagt die CDU-Chefin, der sei doch schon längst geplant.
Eine ähnliche Situation auch Ende vergangener Woche, als die beiden Kontrahenten am selben Abend in den Sommerinterviews von ARD und ZDF auftreten.
"Wir werden einen nationalen Bildungspakt morgen vorstellen…", kündigt Martin Schulz in der ARD an. Darauf Angela Merkel im Sommerinterview des ZDF, mehr präsidial als eine Kanzlerin im Wahlkampf: "Ja, ich finde das richtig, dass sich alle Parteien mit dem Thema Bildung beschäftigen."
Viele unentschlossene Wähler
Und so ist das einzige TV-Duell vor der Bundestagswahl für Martin Schulz von enormer Bedeutung. Er wird versuchen, Merkel aus ihrem sicheren Terrain zu locken. Hilfreich könnte ihm dabei eine kleine Änderung im Studio sein.
"Wir wissen zwar, dass ein Hauptteil eher Statements sind. Aber um vielleicht diese Option des Duells noch etwas mehr zu beschleunigen und zu unterstreichen sind sie stärker zueinander eingedreht."
Erklärt Studio-Designer Jürgen Schmidt-André. Die Kandidaten schauen also nicht nur in Richtung der Moderatoren, sondern können sich auch einander zuwenden.
Amtsinhaberin und Herausforderer von Angesicht zu Angesicht, ein besonderer, mitunter entscheidender Termin im Wahlkampfkalender - nicht nur für die beiden Kandidaten.
"Das TV-Duell ist das mit Abstand wichtigste Einzelereignis in dem Wahlkampf. Ich mein‘, was zeichnet Wichtigkeit von Ereignissen aus? Das ist erstens die Reichweite und zweitens der damit verbundene potenzielle Effekt. Wenn wir die Reichweite angucken, dann hatten wir TV-Duelle, die gingen in der Zuschauerschaft weit über 20 Millionen, welches andere Ereignis schafft das, welches andere politische Ereignis? Da fällt uns eigentlich nichts ein. Also das zeigt, dass wir es von der Reichweite her wirklich mit einem einzigartigen Ereignis zu tun haben", so Politikwissenschaftler Thorsten Faas.
Die Zahl der noch unentschlossenen Wähler ist Umfragen zufolge wenige Wochen vor der Bundestagswahl enorm hoch. 46 Prozent der Bundesbürger wussten vor wenigen Tagen laut einer Erhebung des Instituts für Demoskopie in Allensbach für die Frankfurter Allgemeine noch nicht genau, welcher Partei sie ihre Stimme geben wollen. Ähnliches beschreiben die Daten, die das Institut Forsa für den Stern ermittelte. Der Mainzer Politikwissenschaftler Thorsten Faas sagt:
"Wenn wir die Zuschauerschaft anschauen, geht damit einher, dass unter diesen vielen, vielen Millionen Zuschauern auch viele sind, die sich vielleicht ansonsten für den Wahlkampf gar nicht so sehr interessieren, die aber dieses zugespitzte, duellhafte Format durchaus wertschätzen. Da können sie in 90 Minuten, wie in so einem Miniaturwahlkampf, die wichtigsten Themen, die wichtigsten Kandidaten eigentlich sehr schön vergleichen. Und gerade diese Gruppe, die ansonsten vom Wahlkampf nicht so viel mitkriegt, die ist natürlich auch potenziell sehr beeinflussbar."
Einschaltquote eines wichtigen Fußballspieles
Doch wie groß ist die Gruppe der Beeinflussbaren? Elf Prozent, also knapp sieben Millionen Wahlberechtigte, schwankten noch vor zwei Wochen laut Allensbach ganz konkret zwischen SPD und Union, so die Demoskopen. Stimmen, um die die beiden Bewerber für das Spitzenamt der deutschen Exekutive auch im TV-Duell buhlen könnten. Angela Merkel muss sich jedoch entscheiden: Will sie der SPD die Wähler abspenstig machen? Oder - die Gruppe ist laut Allensbach ebenfalls elf Prozent groß - eher um jene Wähler kämpfen, die auch bei der FDP statt der CDU ihr Kreuz machen könnten? Und auch Martin Schulz muss sich überlegen, um wen genau er kämpft: Diejenigen, die unentschlossen sind zwischen Rot und Schwarz, oder jene, die zwischen Rot und Grün unentschieden sind?
Die Komplexität der möglichen Nachwahlperspektiven, von Schwarz-Grün über Jamaika, Groko und Ampel bis hin zum derzeit unwahrscheinlichen Rot-Rot-Grün ist auch für die Kandidaten im TV-Duell eine Herausforderung.
"Wir sehen erstmal, dass das TV-Duell mobilisiert. Also wer das Duell guckt, der nimmt mit höherer Wahrscheinlichkeit an der Wahl teil. Und zwar auch aufgrund dessen, dass er das TV-Duell geschaut hat."
Tatsächlich hat das TV-Duell die Einschaltquote eines wichtigen Fußballspieles der Nationalmannschaft - was jedoch fehlt, ist das unmittelbare Publikum im Studio. Die Sender wollten das, aber auch das hat die Kanzlerin offenbar abgelehnt. Allerdings: Still bleiben viele Zuschauer des Geschehens nicht.
Immer mehr Menschen nutzen die Möglichkeit, sich während und kurz nach dem Duell über digitale Kanäle auszutauschen. "Second Screen" nennen das Forscher wie Jan-Hinrik Schmidt vom Hans-Bredow-Institut für Medienforschung in Hamburg.
"Es ist halt inzwischen möglich, sich einem Second Screen, also einem zweiten Bildschirm, zuzuwenden und mit Menschen zu kommunizieren, die zur gleichen Zeit das gleiche sehen aber eben nicht am gleichen Ort sind."
"Sicherlich einer der wichtigen Faktoren in diesem Wahlkampf. Wir werden das im Duell nicht widerspiegeln können. Sondern in der Tat dann danach darauf eingehen können, in den unterschiedlichen Sender oder eben dann auch in der medialen Begleitung im Netz", sagt Moderatorin Sandra Maischberger.
Internetnutzer stellen nicht Gesamtbevölkerung dar
Doch schon während des Duells werden unterschiedliche Akteure - unabhängige Beobachter, Sympathisanten und Kritiker der einen oder anderen Seite - dort aktiv sein. Und nicht zuletzt jene, die das Netz als Verlängerung des Gesagten begreifen:
"Also wer da auf jeden Fall auf dem Second Screen, wenn man so möchte, also in den sozialen Medien aktiv ist, sind die Wahlkampagnen selber. Das heißt, es wird dann also in den Momenten zu bestimmten Aussagen der Kandidaten, wird aller Voraussicht nach Material nachgeliefert, so nach dem Motto ‚Schulz hat jetzt gerade das-und-das zum Bildungssystem gesagt - hier ist die Statistik, wie sich das in den letzten Jahren verändert hat‘. Oder ‚Merkel sagte gerade, die Bundesregierung hat in den letzten Jahren Dies-und-das getan, hier sind Zahlen, die belegen, dass sie richtig lag oder falsch lag‘."
Dem Gesehenen in der Bewertung einen Spin, einen bestimmten Dreh im eigenen Interesse zu geben, dass es dazu kommen wird, davon ist auch Jan-Hinrik Schmidt vom Hans-Bredow-Institut überzeugt, "indem versucht wird, Meinungen zu setzen oder Beurteilungen zu setzen. Also zu sagen, jetzt mal ein banales Beispiel: 'Klarer Punktsieger…' - und dann wird wahrscheinlich das CDU-Lager sagen: 'Klarer Punktsieger Merkel!'. Oder das SPD-Lager wird sagen: ‚Klarer Punktsieger Schulz!‘ Aber da wird versucht, möglichst dann die Deutungshoheit zu gewinnen, an welchen Stellen der jeweils eigene Kandidat dann am besten punkten konnte - in der Hoffnung, dass diese Deutungsmuster sich dann auch in den sozialen Medien weiterverbreiten, dass also andere Nutzer das dann übernehmen, vielleicht teilen, selber bestimmte Argumente übernehmen und damit bei ihren eigenen Netzwerken oder ihren eigenen Publika und Kontakten dann agieren."
Dass die Reichweite einer Botschaft von der Aktivität der anderen Nutzer abhängt, das ist eine Besonderheit der Kommunikation im Netz. Doch das, was während und nach dem Duell vor allem bei Twitter, aber auch bei Facebook und anderen Plattformen zu lesen ist, sei eines nicht, sagt Schmidt repräsentativ. Schließlich stellen die Internetnutzer nicht die Gesamtbevölkerung dar - und die Teilmenge der Social Media-Nutzer tut das erst recht nicht, sagt der Soziologe. Weshalb ein Twitter-Sieger noch lange kein Wahlzettel-Sieger sein muss. Aber was ist das überhaupt, ein Sieger im TV-Duell? Der Mainzer Politikwissenschaftler Thorsten Faas:
"Damit es für die beiden einen Effekt in die eine oder andere Richtung haben kann, muss natürlich einer der beiden am Ende auch aus diesem Duell quasi mit Vorteilen, man könnte sagen als Sieger, hervorgehen. Und da lehrt uns die Vergangenheit eigentlich, dass die beiden Kontrahenten, Kontrahentinnen extrem professionell, eigentlich praktisch fehlerfrei agiert haben."
Nonverbale Kommunikation wird wahrgenommen
Dass das aber auch bei Merkel gegen Schulz so bleibe, sei keineswegs garantiert, meint Faas. Und nicht allein der Inhalt, auch das Auftreten der Kandidaten fließt in die Bewertung des Publikums ein, so der Politikwissenschaftler. Ein weiteres Element sei die nonverbale Kommunikation. Auch die werde wahrgenommen. Thorsten Faas sieht Martin Schulz insgesamt leicht im Vorteil, denn…
"…für den Herausforderer, in dem Fall eben Martin Schulz, ist es rein von der Symbolik her vielleicht ein bisschen leichter, aus dem Abend Vorteile zu ziehen, einfach weil er noch etwas weniger bekannt und vertraut ist und deswegen vielleicht die Menschen eher von sich überzeugen kann, dass er mit der Kanzlerin auf Augenhöhe agieren kann. Also professionelle Leistung, Auftritte, haben wir bisher immer gesehen, aber das heißt trotzdem, dass damit so ein gewisser struktureller Vorteil für den Herausforderer verbunden ist, weil von der Kanzlerin erwartet man das in gewisser Weise. Der Herausforderer kann damit so ein bisschen mehr überraschen."
Es geht also nicht unbedingt darum, wer besser argumentiert. Sondern darum, die Erwartungen des Publikums zu übertreffen, die sich aber in Hinblick auf beide Kandidaten jeweils unterscheiden können. Ansonsten gilt es Fehler zu vermeiden. Während Angela Merkel dafür auf die Erfahrung aus drei TV-Duellen zurückgreifen kann - gegen Gerhard Schröder, Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück -, während die amtierende Kanzlerin mit dem Format also aufs Beste vertraut ist, hat Martin Schulz bislang nur ein TV-Duell absolviert: 2014, zur Europaparlamentswahl. Sein Gegner damals: Jean-Claude Juncker.
Damals hieß es: Schulz habe gekämpft, sei offensiv gewesen. EU-Kommissionschef aber wurde schließlich der Luxemburger. Ob das TV-Duell für den damaligen Wahlausgang eine große Rolle spielte? Wohl eher nicht. Das Aufeinandertreffen mit Angela Merkel an diesem Sonntagabend dürfte da entscheidender sein.